Leichen pflastern seinen Weg. Briefzusteller und Krimiautor Schnabel im Dienst

Von Tina Spessert

Seinen turbulenten Berufsweg begann Andreas Schnabel (62) mit einer Ausbildung zum Rettungssanitäter bei der Berliner Feuerwehr. Das war 1968, rund zehn Jahre hat er in der Notfallrettung gearbeitet. Dann hatte er genug von all dem Elend, das man dabei tagtäglich sieht, und machte sich mit einem Taxi selbstständig. Ganz nebenbei veröffentlichte er damals schon Gedichte.

Anfang der 80er wechselte er ins Mediengeschäft und wurde Autor beim Sender Freies Berlin, 1984 wechselte er zu RTL. Als fest angestellter Redakteur und Producer war er unter anderem verantwortlich für die Formel 1 und die Grand-Slam-Turniere im Tennis. Nach knapp zehn Jahren legte man ihm nahe, künftig mit einer eigenen Firma für den Sender zu arbeiten. Doch die Aufträge gingen immer mehr zurück. Der Klassiker: erst ausgegliedert, dann hängengelassen.

Es begann eine schwierige Zeit, in der seine Frau Elke hinter ihm stand. Als Lehrerin verdiente sie den Lebensunterhalt, er kümmerte sich um die beiden Söhne. Mit Anfang 50 kamen die Herzprobleme. Zwei Infarkte, Bypass-OP, 30 Prozent Behinderung. Keine guten Voraussetzungen für einen Neustart. Die Arbeitsagentur empfahl die Frührente.

Festanstellung mit 58

Doch die kam für Schnabel noch nicht in Frage. Die Deutsche Post AG suchte 2008 gerade Briefzusteller, hier tat sich eine Perspektive auf. "Die schriftliche Bewerbung hab' ich mir geschenkt. Die wäre ja eh in der Rundablage gelandet." Schnabel stellte sich gleich persönlich vor. Die Mitarbeiterin der Personalabteilung verbarg ihr Erstaunen nur mühsam: "Mit Mitte Fuffzig wird man bei uns eher beerdigt, als neu eingestellt." Doch Schnabel mit seiner lebendigen Art überzeugt, und er erhielt seine Chance. Zunächst als Aushilfe mit Zeitvertrag, vier Jahre später wurde er dann - im zarten Alter von 58 - in eine Festanstellung übernommen. Halbe Stelle, aber das kam ihm gerade recht. Kriminalromane schreiben sich nicht von allein.

Schon 2005 - noch im Krankenhaus - hatte Schnabel mit dem Schreiben eines Theaterstücks begonnen: Amnesie wurde bereits ein Jahr später in Wuppertal aufgeführt; sein neues Stück Femme Banal feiert demnächst Premiere in Düsseldorf. Doch inzwischen hat er sich überwiegend auf das mörderische Geschäft verlegt. 2009 erschien sein erster Mallorca-Krimi, fünf weitere folgten - und im April kommt der nächste in die Buchhandlungen. Dann hat er in sieben Jahren neun Bücher veröffentlicht.

Rostige Diensträder

Mit seinem aktuellen Krimi Post Mortem hat er nun sogar eine eigene Nische gefunden - den Betriebskrimi. Hier spielt er in der Deutschen Post AG: "Ich wollte zeigen, was so ein kleiner Briefzusteller alles leistet. Ich beantworte in dem Roman im Grunde die Fragen, die mir während der Arbeit auf der Straße gestellt werden." Es geht um die Arbeitswelt der ganz normalen Beschäftigten. "Das ist der Unterschied zu den Wirtschaftskrimis, die eher von den Schweinereien der Bosse erzählen", sagt Schnabel. Spannend, mit reichlich Leichen im Spiel, berichtet er aus dem Innenleben des Unternehmens: Logistik, Alltag und auch Probleme in der Briefzustellung.

Auch einige Kolleg/innen aus dem wirklichen Leben spielen mit und tragen zu einem furiosen Finale bei. Dazu gehört auch Lucia L. (43) aus Leverkusen. "Erst war das schon seltsam, so als Nebendarstellerin in einem Krimi." Aber das Buch gefällt ihr gut, vor allem, "weil es so realistisch von unserem Job berichtet". Den Kollegen Schnabel beschreibt sie als meist gut gelaunt und immer mit einem lustigen Spruch auf den Lippen.

Sein Arbeitgeber war zunächst leicht irritiert von dem Roman. "Gleich am Anfang steht nämlich was von rostigen Diensträdern, und das wollten die nicht so recht glauben. Ich hab dann ein paar Fotos geschickt, die sie von der Realität überzeugt haben", sagt Schnabel. Schleunigst wurden erste Rosträder ausgetauscht, auch die Mitarbeitermedien berichteten nun über ihren schreibenden Briefzusteller.

Vier Seiten am Tag

Durch die Arbeit bei der Post ist er auch zu ver.di gekommen. Früher hatte er die Gewerkschaft nicht so auf dem Schirm. Das änderte sich, als er selber erlebt hat, was die Post-Kolleg/innen an der Basis alles leisten - "und das wird immer mehr!" Vor kurzem musste er sich entscheiden - ver.di-Post oder ver.di-Schriftsteller. "Ich hab gedacht, bei den Schriftstellern kann ich mehr bewirken. Auch wenn ich da als Krimiautor so ein Außenseiter bin, wie etwa der Silbereisen unter den Philharmonikern", stellt er lächelnd fest.

Der heute 62-Jährige schreibt meist nach der Arbeit in seinem Reihenhaus nahe Köln, oft bis spät in die Nacht. Vier Seiten am Tag ist sein Mindestpensum. Dabei sitzt er an drei Bildschirmen. Der erste zeigt den roten Faden, die Story. Am zweiten schreibt er den Text. Auf dem dritten läuft Street View, damit die regionale Verortung stimmt. Außerdem führt er Buch über seine Protagonisten, damit ein Charakter nicht versehentlich aus dem Ruder läuft.

Beide beruflichen Seiten sind Andreas Schnabel wichtig. Das Schreiben ist seine Leidenschaft, er kann längst nicht mehr anders. Der Post-Job garantiert die Bodenhaftung, hält ihn fit - "Herzsportgruppe adé!" - , inspiriert ihn und bringt Geld in die Kasse. Autoren werden zumeist prozentual an ihren Büchern beteiligt. Fünf bis zehn Prozent des Nettoverkaufspreises sind üblich. Lukrativ ist das erst bei richtig hohen Auflagen.

Meilenweit zum Mindestlohn

Er hat mal nachgerechnet, was er mit dem Schreiben pro Stunde verdient - und ist mit allem Drumherum bei knapp 20 Cent gelandet. "Der Mindestlohn von Achtfuffzig ist für uns Autoren etwa so weit weg wie ein Sechser im Lotto", sagt er. Wieso tut man sich das dann an, gegen jede wirtschaftliche Vernunft? "Reine Mordlust", gesteht Schnabel und lacht. Gepaart mit dem Spaß am Geschichtenerfinden, und vielleicht auch ein wenig Stolz und Eitelkeit, wenn man dann das Buch in der Hand hält.

Gut drei Jahre hat Schnabel noch bis zur Rente, "solange bleibe ich auch bei der Post an Bord" - dann aber ist Feierabend. Aber das bedauert er jetzt schon und denkt über einen künftigen Zweit-Job nach. Er will nicht nur im stillen Kämmerlein dichten, sondern auch weiter an den Menschen dran sein, die ihm Geschichten aus dem prallen Leben liefern. Bis es aber soweit ist, radelt er weiter bei Wind und Wetter durch seinen Bezirk - ebenso wie die anderen rund 80.000 Kolleg/innen in der Briefzustellung bei der Deutschen Post, denen er Post Mortem gewidmet hat.


Rezension Post mortem

Schwer was los im Speckgürtel westlich von Köln. Erst taucht ein blutiger Finger im Briefzentrum auf, dann der dazugehörige Postbote - tot und in einen dieser grauen Kästen am Straßenrand gestopft. Schlimm genug, doch das ist erst der Anfang einer grausigen Serie, die immer weitere Kreise zieht. Die Tochter des Opfers und ein Post-Kollege tun sich zusammen, um gemeinsam mit der Mordkommission Licht in die Sache zu bringen. Nach und nach wird klar, dass die Untaten tief im - gestrigen und immer noch vorhandenen - Nazi-Sumpf des Kleinstadt-Idylls gründen. Dieser Handlungsstrang beruht auf Fakten, die der Autor im regionalen Umfeld recherchiert hat. Und das kam nicht überall gut an, wie so oft bei diesem Thema. Ein seltsamer Anrufer riet ihm, besser die Finger davon zu lassen. Auch der Handel mit südamerikanischen Sexsklaven spielt eine Rolle, auch dies basierend auf realen Geschehnissen. Alles spannend verknüpft, actionreich, immer wieder witzig und sogar etwas romantisch.

Andreas Schnabel, Post mortem, Monogramm Verlagsgesellschaft, 427 S., 13 €

Gewinnspiel: 10 x Post mortem

Wir verlosen zehn signierte Exemplare von Andreas Schnabels Postkrimi. Neun Bücher werden standesgemäß mit der Post zugestellt. Das Zehnte bringt der Autor höchstpersönlich vorbei - verbunden mit einer Lesung, zu der Sie Freunde und Bekannte einladen können. Zuhause im Wohnzimmer, in einem Café, einem Vereinsheim, einer Schule oder sonstwo. Vielleicht gegen einen kleinen Eintritt. Der Erlös würde dann für einen gemeinnützigen Zweck gespendet - wie z. B. der Flüchtlingshilfe der Deutschen Post. Viel Glück!

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