Ausgabe 03/2016
So etwas gibt’s beim Online-Buchen nicht
So etwas gibt's beim Online-Buchen nicht
Marlis Nöske, 62, arbeitet an der Tageskasse des Musical-Theaters am Potsdamer Platz in Berlin
Ich komme jeden Tag gern in meinen Glaskasten. In der Regel sind bei uns zwei der drei Kassenplätze besetzt. Mein Platz ist schon immer der in der Mitte. Wir öffnen um elf. Eine halbe Stunde vorher wird der Computer hochgefahren, wir bereiten die Vortags-Einnahmen zur Abholung vor. Als Kassenleiterin habe ich auch die Kontoauszüge zu kontrollieren und die Kassenbücher zu führen. Einmal im Monat wird alles an die Zentrale eingeschickt, virtuell natürlich. Die Computerprogramme sind im Unternehmen, der Stage Entertainment GmbH, einheitlich, das gilt auch für die elektronische Kartenausgabe. Es gab dafür schon verschiedene Systeme, wir mussten etliche Male umlernen, haben es aber immer gepackt.
Ich kam 1999 ins Haus. Eine Freundin hatte mir den Tipp gegeben. Beworben hab ich mich an einem Sonntag, am Dienstag konnte ich schon anfangen. Die ersten zwei Wochen waren schrecklich, weil ich mit der Technik haderte. Doch die anderen haben mir toll geholfen. Wir sind schon lange ein eingeschworenes Kassenteam, verstehen uns prächtig. Und das gilt eigentlich für alle Beschäftigten im Haus. Das schönste an meiner Arbeit ist aber, dass ich täglich mit anderen Menschen zu tun habe, Besucher berate und ihnen etwas verkaufen kann, von dem ich sagen kann, dass ich wirklich dahinterstehe.
Ich komme ursprünglich aus dem Handel. Der Kundenkontakt, die Beratung - das ist es, was mir Spaß macht. Ich hab schnell ein Gefühl dafür, was jemand sucht; ich stelle mich auf die Leute ein. Zum Jahreswechsel, zu Ostern oder in Ferienzeiten ist bei uns ohnehin Hochbetrieb. Aber sonst landet hier mancher auch zufällig. Dann kann ich erst mal vom Stück erzählen, Neugierde wecken. Sieben verschiedene Produktionen hatten wir bisher im Haus, seit fünf Jahren wird das Berlin-Musical Hinterm Horizont gespielt. Ich sage den Kunden auch ehrlich, wo die schönsten Plätze sind, es müssen nicht die teuersten sein. Und wenn dann jemand zurückkommt und sich bedankt, wenn er sagt, dass mein Tipp gut war, bin ich restlos zufrieden. So etwas gibt's beim Online-Buchen nicht.
Touristen freuen sich, dass hier an der Kasse 'ne echte Hauptstädterin sitzt. "Die Ber- liner sind netter als ihr Ruf", heißt es dann mitunter. Natürlich sehen wir auch Prominente, Udo Lindenberg war mehrfach da, immer freundlich. All das hält jung. Ich würde hier gern bis zur Rente weitermachen.
Umso schlimmer war der Schock, dass unser schönes Haus im August geschlossen werden soll. Bei der Mitarbeiterversammlung gab's Tränen wie auf einer Beerdigung. Mir selbst geht das auch unheimlich nahe. Doch im Betriebsrat haben wir inzwischen ein umfangreiches Konzept zur Erhaltung des Spielbetriebs erarbeitet und dem Arbeitgeber vorgelegt.
Protokoll: Helma Nehrlich