Das erledigen die Klickarbeiter

Eine Freundin hat ihr von der neuen Art zu arbeiten erzählt. Und sie stieg ein. Wie Renate Hafemann besorgen sich immer mehr Menschen ihre Arbeit auf Plattformen im Internet. Ein Besuch in der neuen Arbeitswelt

Eigentlich macht sie das alles der Pferde wegen. Renate Hafemann wohnt mit ihrem Mann Jürgen in einem kleinen Dorf in der Nähe von Preetz in Schleswig-Holstein. Der Himmel ist hier weit und oft tagelang grau. Dafür hört man abends die Wildgänse übers Haus fliegen, sagt Renate Hafemann. Sie mag die Wasservögel und Schmuddelwetter und die gemütlichen Stunden, wenn Hagelkörner ans Fenster schlagen: "Dann ist es bei uns schön."

So fühlt es sich an, wenn man irgendwohin gehört. Einen Job hat man darum noch lange nicht, so weit ab vom Schuss.

Renate Hafemann hat vier Kinder großgezogen und elf Jahre lang ihre Mutter gepflegt. Inzwischen sind die Kinder aus dem Haus. Die Mutter ist gestorben. Renate Hafemann ist 63 und nennt sich häufig "alt". Aber da sind noch zwei, die sie brauchen. Chiva, ein weißes Reitpony, und eine dunkle Holsteinerstute namens Prima. Betagte Gäule, die auf einer Weide in der Preetzer Feldmark stehen. Gnadenbrotpferde. Angewiesen darauf, dass sich jemand um sie kümmert. Wie die Hafemanns, Hartz IV-Empfänger, nicht ganz gesund, tierlieb. Leute, die sich noch bei schlechtestem Wetter dick einpacken, auf die Weide gehen und nach den Tieren gucken, weil Pferde auf die Wiese gehören, nicht auf den Schlachthof.

Zunächst eine Win-Win-Situation

Ein Auto, zwei alte Pferde, Hartz IV: Das Geld der Hafemanns reichte hinten und vorne nicht. Da erzählte vor etwa fünf Jahren eine Freundin aus einem Pferdeforum von einer neuen Art zu arbeiten. Im Internet, in der sogenannten Crowd (Menschenmenge). Unternehmen, die ihre Arbeit früher von Festangestellten machen ließen, lagern sie ins Netz aus, Klickarbeiter erledigen sie, egal wann und wo. Der Auftraggeber spart Geld, der Selbstständige kommt an Aufträge. Zunächst: Eine Win-Win-Situation. Auf jeden Fall ein Markt, der wächst.

Den Hafemanns gefiel das. Sie bewarben sich um Mitarbeit auf einer Plattform, die Texter suchte. Verlangt war, merkwürdig genug für eine Seite im weltweiten Netz, ein kleiner Text zum Thema "Heimat". Renate Hafemann schrieb darüber, dass sie den Sturm liebt und das Geschrei der Wasservögel, ihr Mann über eine Ecke in der Stadt, in der er früher gern ausging. Und irgendwo, auf der anderen Seite, saß jemand am Bildschirm, las die Texte und fand sie gut.

Seither fährt Renate Hafemann morgens gegen halb neun Uhr den Computer hoch und bearbeitet Textaufträge, die auf der Plattform vergeben werden. Sie recherchiert und schreibt, was Kunden haben wollen: Werbeprosa, die Ferienhäuser in Spanien anpreist oder Blumenkübel aus Beton, technische Anleitungen, Kochrezepte, am liebsten Texte über Tiere und Pflanzen. Auf ihrer Homepage nennt sich Hafemann "Freelancer im Bereich der Autorentätigkeit im Internet".

Sie hat eine Nummer, der Kunde auch; die Leute, für die sie arbeitet, bekommt sie nie persönlich zu Gesicht. Das macht ihr nichts aus. Ihr genügt es, einen Kunden mit ihrem Text so zufrieden zu machen, dass er sie erneut bucht. Sogar Weihnachtsgrüße sind schon hin- und hergegangen, zwischen ihr und einer Kundin in Holland.

Zugreifen, wenn ein neuer Job hochpoppt

Es ist ein Zuverdienst, nicht mehr, aber auch nicht weniger. 50 bis 100 Euro verdient sie in etwa pro Woche. Sie tippt schnell. Aber natürlich dauert es länger, Informationen aus dem Netz zusammenzuklauben und zu Texten zusammenzustricken, die eine bestimmte Zahl an Wörtern umfassen müssen. Wie lange genau, weiß man erst hinterher.

"Es kann sein, dass ich für zehn Euro eine halbe Stunde brauche. Oder einen halben Vormittag", sagt Hafemann. Man muss sofort zugreifen, wenn ein neuer Job hochpoppt - ohne zu wissen, ob der Aufwand lohnt. Dafür kann Hafemann Aufträge in den Pool zurückschicken, wenn sie merkt: Das lässt sich in einer vernünftigen Zeit nicht lösen. Eine Plattform, auf der das nicht möglich war, hat sie inzwischen verlassen. Sie wollte sich nicht gängeln lassen, wenn das Briefing des Kunden nicht stimmt oder seine Ansprüche unerfüllbar sind.

Aber eigentlich macht ihr die Arbeit Spaß. Oft, sagt sie, schreibe ein Kunde "toll" oder "klasse" in die Kommentarzeile. Beim Rating der Plattform hat sie sich mit der Zeit von drei auf vier Sterne verbessert, ihr Mann von zwei auf drei. Fünf Sterne, vermutet sie, bekommen nur Journalisten - und sie ist schon ganz nah dran.

Die Pferde haben zu fressen, das Auto kriegt Benzin, das Geld reicht, wenn auch knapp. Alles wäre in trockenen Tüchern, hätten die Hafemanns nicht diese Sorge, runtergestuft zu werden, weil man mal schlecht drauf ist und die Arbeit nicht gut von der Hand geht. Von jedem einzelnen Text hänge ab, ob sie weiter an Aufträge komme. "Du kannst Pech haben, jemand liest deinen Text und er gefällt ihm nicht. Dann ist es vorbei."

Jeden Sommer ist Flaute

Dazu die wechselnde Auftragslage: Manchmal sitzt Renate Hafemann am Computer und greift einfach nichts ab. Jeden Sommer ist Flaute. Sie glaubt zu spüren, dass die Studenten Semesterferien haben und die besten Aufträge kassieren. Die Hafemanns verdienen dann wenig bis nichts.

Renate Hafemann sagt: "Wir brauchen ein dickes Fell und müssen durchhalten."

Der Markt, auf den sie sich eingelassen haben, ist aber auch kompliziert. Er ändert sich laufend, er wächst, neue Plattformen kommen hinzu, andere verschwinden. 70 Prozent derer, die so arbeiten, verdienen weniger als 500 Euro im Monat. Das hat eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung ermittelt. Es gibt winzige Klickjobs, die nebenbei mit dem Handy erledigt werden können. Man fotografiert Wasserschäden an Häusern, beurteilt neue Marketingstrategien und verfasst Schlagworte für Texte und Bilder. Etwas anspruchsvoller ist es da schon, Produkte und Apps zu testen. Und wenn etwas designt oder programmiert werden soll, so die Böckler-Stiftung, sind die Anforderungen in der Regel sehr hoch.

Renate Hafemanns Job gehört eher in die mittlere Kategorie. Sie weiß: "Das wird sicher nie ein gigantisches Geschäft werden." Natürlich würde sie gern besser bezahlt. 1,3 Cent, auch mal 2,7 Cent bekommt sie pro Wort. "Aber ich glaube, es wäre nicht gut, wenn sich die Gewerkschaft für höhere Wortpreise einsetzt", sagt sie. Schon jetzt beauftragen viele Plattformkunden weltweit Freelancer in Ländern, in denen ein einfacher Euro das Vielfache wert ist. Wer ortsungebunden ist, kann von überallher texten. Aus Ägypten genauso wie aus Goa - bei gleicher Qualität. Renate Hafemann fürchtet: Würde die Arbeit besser bezahlt, käme eine neue Konkurrenz hinzu. Journalisten könnten auf den Markt drängen, Besserqualifizierte, Jüngere, Schnellere. "Dann sind wir weg vom Fenster!"

Sicherheit wäre schön

Hafemann teilt das Schicksal aller Freien, auf der Hut zu sein und mit allem rechnen zu müssen. Sie arbeitet zwar gern selbstbestimmt. Ein gewisser Schutz wäre aber noch besser. Was ihr gut täte? "Sicherheit", sagt Renate Hafemann, "Sicherheit wäre schön."

Wie man Crowdworker sozial absichern kann, ist zur Zeit ein wichtiges Thema der Gewerkschaft. Noch fehlen allerdings weitgehend Informationen darüber, wer in der Crowd wie arbeitet. "Wir schauen uns das gerade genau an", sagt Karl-Heinz Brandl von der ver.di-Bundesverwaltung, der am Projekt "Herausforderung Cloud und Crowd" mitarbeitet. Sicher ist: "Die Situation stellt sich differenziert dar." Zwar entstünden in Cloud und Crowd neue interessante Geschäftsmodelle, Unternehmen und Plattformen entledigten sich so allerdings ihrer Verpflichtung als Arbeitgeber. In vielen Bereichen habe man es mit Lohndumping zu tun. Mindesthonorare, sagt er, seien anzudenken, räumt aber ein: "Das ist ein schwieriges Unterfangen. Denn welcher Mindestlohn soll gelten, wenn eine Plattform weltweit agiert?" Eine andere Idee sei es, die Auftraggeber anteilig an den Sozialabgaben zu beteiligen - nicht einfach allerdings, wenn die Aufträge winzige Klickjobs sind.

Ein paar lukrative Aufträge

Rund 600 Kilometer südlich von Renate Hafemann lebt Carola Herbst (Name geändert). Anders als Renate Hafemann und die große Mehrheit der Crowdworker versucht die studierte Ethnologin, vom Texten und Übersetzen zu leben. Sie hat das Know-how und die Kompetenz. Um "gut gerüstet zu sein", steckte sie 2012, mit Ende 50, nach einer Kündigung viel Zeit und Geld in ein englisches PR-Diplom und eine Weiterbildung zum Social Media Manager. "Die Kommunikation hat sich total verändert. Wer nicht mit dem Netz umgehen kann, hat schlechte Karten", sagt sie.

Durch Zufall entdeckte sie die Möglichkeit für sich, auf Plattformen Geld zu verdienen. "Ich war ganz begeistert", erzählt sie. Es lief gut für sie, ihre Kenntnisse waren gefragt, sie fand lukrative Aufträge, nicht selten im vierstelligen Bereich. Einem Professor half sie bei einer Recherche, einer amerikanischen Versicherung bei ihrer PR-Strategie in England. Zwischendurch las sie auch mal für ein paar Stunden einen Text Korrektur oder übersetzte. Umständliche Akquise entfiel, das Geld kam sofort, alles lief wie am Schnürchen. "Mir hat gefallen", sagt sie, "wie schnell man zur Sache kommt." Sie hatte viel mit Menschen aus fernen Ländern zu tun. Auch das Feedback der Kunden stimmte, "so viel Lob kannte ich aus dem Angestelltenverhältnis nicht".

Sie dachte, dass das immer so weitergehen würde. "Es konnte nur besser werden!" Aber dann verschmolz die amerikanische Plattform, für die sie tätig war, mit einer zweiten. Die wichtigsten Kunden machten die Veränderung nicht mit. Für Carola Herbst läuft es seither nicht mehr so gut, sie spricht von schlechter gewordenen Zeiten.

Allzu mies bezahlte Aufträge schließt sie selbstverständlich aus, etwa, wenn für ein übersetztes Wort lediglich ein amerikanischer Cent bezahlt wird. "Ich mache auch nicht irgendwelche Clickjobs." Klar ist: Die Firmen leben davon, Arbeit dorthin auszulagern, wo sie am billigsten erledigt werden kann. "Jemand in Bangladesh freut sich über drei Dollar die Stunde." Sie allerdings wohnt in Frankfurt am Main, ein teures Pflaster. "Mit 2.000 Euro brutto komme ich hin, bei 3.000 bis 4.000 würde ich aufatmen", sagt sie. Nach Aufatmen sieht es allerdings gerade nicht aus.

Die Studie der Böckler-Stiftung macht deutlich: Wie ihr geht es vielen der hochqualifizierten Crowdworker. Ihr mittleres Einkommen im Hauptberuf beträgt rund 1.500 Euro. Mehr als die Hälfte derjenigen, die ihr Haupteinkommen in der Crowd erzielen, sorgen der Studie zufolge nicht fürs Alter vor.

Carola Herbst wird eine Rente bekommen, sie hat lange festangestellt gearbeitet. Auch die Künstlersozialkasse ist ein Segen für sie. Trotzdem würde sie gern etwas zur Seite legen. Aber daran ist im Moment nicht zu denken.

Wenn da nur genug Arbeit wäre

Grund zu resignieren hat sie trotzdem nicht. Ihr Unternehmen ist ja noch jung. Carola Herbst arbeitet allein, von zu Hause aus, und ist nur für sich selbst verantwortlich. Ihr Kurs lässt sich leicht korrigieren. "Ich kann selbst für meine Arbeit sorgen und muss keine Angst haben, eine Stelle zu verlieren. Das ist das Positive", sagt sie. Wenn da nur genug Arbeit für sie wäre. Wie so viele Freie wünscht sie sich "einen steten Fluss von Aufgaben und Einkünften."

Die Sorge, zu wenig Geld zu verdienen, sitzt ihr im Nacken. So muss sie sich manchmal zwingen, nicht bis tief in die Nacht vorm Rechner zu sitzen und herumzusurfen, auf der Suche nach Kunden. Noch arbeitet sie so viel wie möglich auf der Plattform. Aber sie hat auch eine Entscheidung getroffen.

"Ich muss mich wieder auf das konzentrieren", sagt sie, "was jenseits der Plattformen passiert."

Cloud und Crowd bei ver.di

ver.di führt derzeit drei Umfragen zum Crowdworking durch, und zwar für ver.di-Mitglieder, Betriebsräte und Gewerkschaftssekretär/innen: https://crowdwork.verdi-umfrage.de Wer Beratung sucht, findet die auf der ver.di-Beratungs-Plattform für Crowd- und Cloudworker unter: www.ich-bin-mehr-wert.de/support/cloudworking/