Egon Schiele - Tod und Mädchen

Ob ihn im Sterbebett Schuldgefühle überkommen haben? Jedenfalls fällt es Egon Schiele am Ende seines kurzen Lebens wie Schuppen von den Augen, dass er in Gestalt eines Mannes in schwarzer Kutte auf einem seiner letzten Bilder der Tod ist, umarmt von seiner Lebensliebe Wally. Er hat die rotblonde Muse, die ihn unter allen Modellen am meisten inspirierte, ins Unglück gestürzt mit seinem überraschenden Entschluss, eine Andere zu heiraten - für ein paar Begünstigungen beim Militär. Der Künstler ist eben nicht nur ein Genie, sondern auch ein großer Egoist. Das erfahren auch andere Frauen, die für ihn arbeiten, sei es die Schwester Gerti, die er nach dem Tod des Vaters terrorisiert, oder ein minderjähriges Bauernmädchen, an dem er sich sexuell vergangen haben soll. Dieter Berner porträtiert Schiele facettenreich in seiner ganzen Ambivalenz, in seiner historischen Bedeutung für den Wiener Expressionismus mit viel Lokalkolorit, aber auch als einen Menschen mit charakterlichen Schwächen. Newcomer Noah Saavedra geht in dieser Rolle des ebenso euphorischen wie herrischen Rebellen wunderbar auf. Kirsten Liese

A/Lux 2016. R: Dieter Berner, D: Noah Saavedra, Valerie Pachner, Maresi Riegner u.a., 110 Min., Kinostart: 17. November


Florence Foster Jenkins

Ihre Gesänge ziehen einem die Schuhe aus. Mit falschen Tönen gackert sich Florence durch ihre Arien, unfreiwillig parodistisch muten ihre Koloraturen an. Regisseur Stephen Frears hütet sich gleichwohl, seine Heldin zu denunzieren, der niemand die Wahrheit sagt, bis ihr 1944 der größenwahnsinnige Auftritt in der berühmten New Yorker Carnegie Hall vernichtende Kritiken einträgt. Dank der wunderbaren Meryl Streep lernt man "die schlechteste Sängerin aller Zeiten" nicht nur als eitle, geltungssüchtige, extravagante Scharteke kennen, sondern vielmehr auch als eine schicksalsgebeutelte, reiche Erbin, die großzügig geldklamme Künstlerstars wie den Dirigenten Toscanini unterstützt und klaglos an der Syphilis leidet. Mit unverwechselbarem Charme macht zudem Hugh Grant glaubhaft, dass sein Clair Bayfield nicht nur des Geldes wegen eine eheähnliche Beziehung mit der Exzentrikerin führt und stets Claqueure engagiert, die ihre schrillen Darbietungen beklatschen. Eine tolle Hommage, schräg, skurril und ungeheuer amüsant! Kirsten Liese

USA/GB 2016. R: Stephen Frears, D: Meryl Streep, Hugh Grant, Simon Helberg u.a., 110 Min., Kinostart: 27. November


Jeder stirbt für sich allein

Ein Jahr nach Kriegsende griff Hans Fallada den Fall des Widerstands-Ehepaars Otto und Elise Hampel auf, schrieb den gesamten Roman in vier Wochen unter Einfluss von Morphium, Kokain und Alkohol herunter und starb nur vier Wochen später. Angeregt hatte den Stoff Johannes R. Becher, sein Nachbar vom Kulturbund der DDR, bei dem er wegen des Morphiums, das ihm der Arzt und Dichter Gottfried Benn beschaffte, mit 3.000 Mark in der Kreide stand. Das ältere Arbeiterehepaar Hampel, bei Fallada heißen sie Quangel, hatte von 1940 bis 1942 subversive Parolen gegen den Kriegstreiber Hitler in mühevoller Kleinarbeit geschrieben und unauffällig in den Fluren öffentlicher Behörden Berlins ausgelegt. Die Kriminalpolizei stand vor einem Rätsel. Am Ende der zwei Jahre hatten die beiden knapp 300 Karten ausgelegt, von denen die Duckmäuser um sie herum nur 18 Karten nicht zur Polizei gebracht hatten. 1943 wurden beide in Plötzensee hingerichtet, nicht ohne sich vorher noch gegenseitig zu beschuldigen. Eine Wendung, die die etwas brave und herausgeputzte Verfilmung von Vincent Perez ausblendet. Da schon der Roman die Figuren kaum psychologisch feinzeichnet, konzentrieren sich auch die Schauspieler allein auf die allgegenwärtige Angst in der Diktatur und das Misstrauen, mit dem sich jeder begegnete, was insbesondere Fallada zusetzte. Jenny Mansch

D/F/GB 2016. R: Vincent Peres, D: Brendan Gleeson, Emma Thompson, Daniel Brühl u.a., 100 Min., Kinostart 17. November