Ausgabe 08/2016
Musik
Carminho: Carminho Canta Tom Jobim
Antônio Carlos Jobim (1927-1994) verdanken wir Songs mit Ewigkeitswert wie The Girl from Ipanema. Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre schafft der Brasilianer mit der schwerelosen Bossa Nova eine Populärmusik mit Tiefgang, einen coolen Sound, der noch heute als Lounge-Kulisse funktioniert. Scheinbar beiläufig, aber gleichzeitig von hoher kompositorischer und spielerischer Qualität. Der Airport von Rio de Janeiro trägt schon lange Jobims Namen. Zum 90. Geburtstag am 25. Januar 2017 werden dem Bossa-Nova-Erfinder nun natürlich etliche Ehrungen zuteil. Außergewöhnlich ist die Hommage des portugiesischen Fado-Stars Carminho, die auf ausdrückliche Anregung der Jobim-Familie ins Rollen kam. Statt portugiesischer Melancholie zelebriert die stimmgewaltige Carminho hier ein Fest der brasilianischen Leichtigkeit. Mit Jobim-Klassikern wie A Felicidade, Meditação und O Grande Amor. Und mit authentischer Unterstützung durch eine Handvoll großer Namen der brasilianischen Musikszene, darunter die Jobim-Söhne Paulo und Daniel an Gitarre und Piano. Peter Rixen
CD, Warner Music
Antilopen Gang: Anarchie und Alltag
Wer die Antilopen Gang erklärt haben will, fragt am besten die Experten: die Antilopen Gang selbst. Gleich im ersten Stück ihres dritten Albums Anarchie und Alltag analysiert die ursprünglich aus Düsseldorf stammende Polit-Rap-Combo hellsichtig das eigene Phänomen. Man gelte den "Medien als moralisches Gewissen" und genieße "Narrenfreiheit", denn "auf die Quoten-Rebellen kann sich jeder irgendwie einigen". Das eigene Image fassen sie in wenigen Worten ironisch zusammen: "ein bisschen frech, aber schlau und so witzig und politisch." Diesen Status als politisch korrekte Alternative zum Gangsta-Rap von angsteinflößenden Kleinkriminellen mit Fitnessstudiofigur sei aber, so behaupten sie, nur eine geschickte Tarnung: "Wir haben viel dafür getan, es in die Schweinewelt zu schaffen, mit dem einzigen Ziel, sie dann einstürzen zu lassen." Darum geht es also: um nicht weniger als die Revolution. Auch dafür hat das Trio einen guten Tipp in Reimform: "Jeder Revolutionär/ Braucht nur Pizza und Gewehr." Aha. Man sieht: So ganz ernst ist das alles nicht gemeint. Doch schon auch. Denn während die Punk-Gitarren wüten, heißen Polizisten hier noch "Bullen", werden ständig Songs von Ton Steine Scherben zitiert und gesellschaftliche Zusammenhänge aufgezeigt. Ja, es stimmt eben: Die Antilopen Gang ist nicht nur ein bisschen frech, ganz schön schlau, ziemlich witzig und so politisch, wie man heute sein muss. Thomas Winkler
CD, JKP/Warner
Klez.e: Desintegration
Man muss das nicht wissen, aber damals, 1989, in dem Jahr, in dem die Mauer fiel, brachten The Cure ein Album namens Disintegration heraus. Damals war Tobias Siebert Teenager, Cure-Fan - und plötzlich nicht mehr DDR-, sondern Bundesbürger. Nun, mehr als ein Vierteljahrhundert später, nennt Siebert, mittlerweile erfolgreicher Musiker und Produzent, das neue Album seiner Band Klez.e in Anlehnung an Cure eingedeutscht Desintegration und beginnt zu singen: "Draußen vor den Mauern fängt es an sich zu bewegen." Alles kein Zufall: Desintegration ist ein Konzeptalbum. Der Gitarrist und Sänger verarbeitet die Erfahrungen, die er als in der DDR Aufgewachsener in den vergangenen Jahren in diesem neuen Deutschland gemacht hat. Die Songs heißen Requiem, Schwarz, November oder Nachtfahrt, sie handeln von Antidepressiva und Fukushima-Lachs, von Sprachlosigkeit und bösen Lobbyisten, vom Drohnenkrieg und Kindern, die in Trümmern spielen. Siebert, der in seinem Berliner Studio schon Bands wie Kettcar, Philip Boa oder Me And My Drummer als Produzent das passende Klangbild schneiderte, verschränkt das Private mit dem Politischen, während seine Gitarre in die tiefsten Mollabgründe vordringt. Man kann sie hören, die Verzweiflung, die Trostlosigkeit, die ganze Beschissenheit dieser Welt auf diesem Album, das so deprimierend wie großartig ist. Thomas Winkler
CD, Staatsakt/Caroline International