Alphaville: Strange Attractor

Sie waren einmal zwar nicht "Big in Japan", aber doch fast überall sonst auf der Welt ganz groß. Das ist lange her, sehr lange, und von der Originalbesetzung von Alphaville ist nur mehr Sänger Marian Gold übrig geblieben. Hits von damals wie Forever Young oder Sounds Like A Melody sind mittlerweile Evergreens, bei deren regelmäßigen Wiederaufführungen so viele sentimentale Fans dabei sein wollen, dass Gold davon gut leben kann. Ein vergleichbarer Knaller ist ihm aber seit mehr als drei Jahrzehnten nicht mehr gelungen - und er findet sich auch nicht auf dem neuen Album Strange Attractor, dem erst siebten in der so langen wie wechselvollen Bandgeschichte. Der Einstieg, das unheilvoll düstere Giants ist noch gelungen, danach aber klingen Alphaville so, wie man es von ihnen erwarten durfte, also wie eine Popband, die ihre beste Zeit in den Achtzigerjahren hatte: brave Synthies und die Rhythmen stets im gemütlichen Midtempo. Bisweilen aber, in den besten Momenten, schwingen sich Gold und sein immer noch ziemlich zart schmelzender Bariton zu theatralischen Melodien auf, die das Pathos gerade so sanft streifen, wie es Alphaville in ihren größten Zeiten einige Male so großartig gelang. Thomas Winkler

CD, POLYDOR/UNIVERSAL


Sookee: Mortem & Makeup

HipHop hat keinen allzu guten Ruf in diesem Land. Und das hat seinen Grund, denn folgt man den Schlagzeilen, hat man scheinbar nur die Wahl zwischen dem Gangsta-Rap von Kleinkriminellen und dem Party-Geplapper von Dauerkiffern. Dass HipHop nicht chauvinistisch sein muss, sondern antikapitalistisch, klug und elaboriert und, ja, sogar politisch sein kann, ohne peinlich zu werden, das versuchen schon seit Jahren die sogenannten Zecken-Rapper nachzuweisen. Deren feministisches Aushängeschild ist die Berlinerin Sookee, die auf ihrem aktuellen Album Mortem & Makeup, wie es sich für eine Rapperin gehört, schwer authentisch aus ihrem Leben berichtet und dabei kaum ein belastendes Detail aus ihrer schwierigen Kindheit ausspart. Soweit, so üblich im Rap. Aber Sookee, auch neben der Musik politisch engagiert in Initiativen gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus wie #ausnahmslos, geht - im Gegensatz zum Großteil ihrer Kollegen - einen Schritt weiter zur gesellschaftlichen Analyse, sie schlüpft in fremde Rollen, in die Köpfe von Reichsbürgern und Aluhutträgern, sie liest der institutionellen Politik die Leviten und freut sich über die Auflösung der Geschlechtergrenzen. Vor allem aber hat Sookee eine Botschaft für alle da draußen: Intelligenter HipHop ist möglich. Thomas Winkler

CD, BUBACK/INDIGO


Sväng: Hauptbahnhof

Seit den 1820er Jahren gibt es sie, so aber hat man die Mundharmonika noch nicht gehört. Sväng heißt das Mundharmonika-Wunder aus Finnland. Mit Instrumenten in allen Größen und Tonlagen spielen sich vier verrückte und zugleich brillante Finnen durch ein musikalisches Universum. Das reicht von Folklore aus der finnischen Region Karelien über Tango, Blues und Balkan-Grooves bis hin zum japanischen Walzer. Hauptbahnhof ist der vorläufige Höhepunkt des quirligen Quartetts, das mit seinen komplexen Arrangements wie ein kleines Orchester klingt und bei dem man nichts vermisst. Nicht einmal ein sattes Bass-Fundament! Dabei hatte vor anderthalb Jahrzehnten alles ganz unspektakulär angefangen, nämlich als Abschlussprüfung an der Musikakademie in Helsinki. Die haben sie mit Bravour bestanden; seither tourt die Viererbande in aller Welt und überrascht mit ihrem akustischen Zauberwerk ein atemlos staunendes Publikum, das die Mundharmonika bisher nur als Kinderspielzeug oder maximal als Bob-Dylan-Quäke kannte. Durchgeknallt wie ein früher Kaurismäki-Film, aber zugleich umwerfend virtuos und poetisch. Peter Rixen

CD, GALILEO MC