2raumwohnung: "Nacht & Tag"

Merkel oder Schulz? Wie stark wird die AfD? Fliegen die Grünen aus dem Bundestag? Wie sie ausgehen wird, die Wahl im September, das steht in den Sternen. Sicher ist immerhin: Inga Humpe wird ihre Stimme abgeben, denn: "Wer heute nicht wählt, der ist ein Arschloch. Weil er die Demokratie gefährdet." Und sie weiß auch schon, wen sie wählen wird, nämlich weder Merkel noch Schulz, sondern die Grünen - wie immer: "Ich fürchte, ich komme da nicht mehr von runter."

Nicht, dass die grüne Stammwählerin Humpe, deren Band 2raumwohnung Mitte Juni mit Nacht & Tag ein neues Album veröffentlicht, etwas gegen die Kanzlerin hätte. Im Gespräch in einem Berliner Café sagt sie zwar, die CDU sei "grauenhaft", outet sich aber als "Merkel-Fan". Humpe lobt den Pragmatismus und die Arbeitsauffassung der Regierungschefin, und gesteht sogar: "Es ist mir zwar ein wenig peinlich, aber ich fühle eine gewisse Verwandtschaft zur Kanzlerin."

So sieht‘s aus: Die Königin des deutschen Techno-Pop fühlt eine Seelennähe zu Angela Merkel. Damit ist Humpe einen langen Weg gegangen. Denn begonnen hatte die musikalische Karriere der mittlerweile 61-Jährigen noch im von der Mauer umzäunten Westberlin in Punkbands wie den Neonbabies, bei denen sie eine Zeit lang mit ihrer älteren Schwester Annette spielte. Während der Neuen deutschen Welle sang sie Nummer-Eins-Hits wie Codo, später ging sie nach England und wähnte sich kurzzeitig auf dem Weg zum Weltstar. Dann fiel die Mauer, Humpe zog durch die Techno-Clubs des wiedervereinigten Berlin, lernte 1993 mit Tommi Eckart nicht nur den musikalischen Partner kennen, mit dem sie das Erfolgsprojekt 2raumwohnung gründete, sondern auch einen Lebensgefährten, mit dem sie seitdem in einer offenen Beziehung lebt. Dass vor wenigen Monaten die Polyamorie von den Medien zum Trend erhoben wurde, amüsiert sie: "Endlich sagt mir mal jemand, wie das heißt, was ich schon ewig mache."

Sex spielte, mal verschlüsselt, mal recht unverblümt, immer eine große Rolle in den Songs von 2raumwohnung, die mit sicherem Gespür die leicht melancholische Berlin-ist-schon-geil-Stimmung der Arm-aber-sexy-Ära abbildeten. Auf Nacht & Tag tritt dieses Thema erstmals ebenso in den Hintergrund wie der unerschütter-liche Party-Optimismus, mit Tanzen die Welt retten zu können, den 2raumwohnung aus Love-Parade-Zeiten herüber gerettet hatte. Stattdessen fragt Humpe nun singend: "Was ist mit der Welt, will sie untergehn?" Im Interview gibt sie Entwarnung: "Die Welt geht immer nur ein bisschen unter, dann geht sie wieder auf." Darauf muss man hoffen, ganz egal auch, wie die nächste Wahl ausgeht. Thomas Winkler

CD, IT SOUNDS/ROUGH TRADE


Banda Internationale: Kimlik

Noch bis neulich hieß sie Banda Comunale. Als die hat sich die Dresdner Brass Band mit dem kosmopolitischen Repertoire in den vergangenen 15 Jahren einen Namen gemacht. Mit dem verstärkten Aufkommen rechtsextremer Kräfte in ihrer sächsischen Heimat hat das weltoffene Konzept der Dresdner Musiker indes besondere Bedeutung erlangt. So haben sie mit ihrer alternativen Blaskapelle immer wieder gegen Vorurteile, Ausgrenzung und Hass der Pegida-Umzüge angespielt und sich für die Verständigung zwischen Alteingesessenen und Neuankömmlingen eingesetzt. Gemeinsam mit afrikanischen und arabischen Musikern aus der Flüchtlingsszene hat sich die Banda Comunale inzwischen zur fast 20-köpfigen Banda Internationale aufgestockt und den Sound von Cello, Geige sowie arabischen Instrumenten wie der Laute Oud und der Trapez-Zither Kanun integriert. Eine Mis- sion, die nicht nur ehrenwert ist und der Formation etliche Auszeichnungen eingebracht hat, sondern mit ihren Grenzen sprengenden Balkan-, Klezmer-, Orient- und Karibik-Grooves auch enormen Spaß bereitet. Peter Rixen

CD, TRIKONT / INDIGO


Fleet Foxes: Crack-Up

Buschige Bärte, Strickmützen über dem halblangen Haar, schlabbrige Karohemden, Hochwasserröhrenjeans: Für dieses in Szene-Vierteln omnipräsente, absichtsvoll ungepflegte Erscheinungsbild sind auch die Fleet Foxes mitverantwortlich. Man muss der Band aus Seattle allerdings zugute halten: Sie entwarf nicht nur den Look des urbanen Hipsters, sondern auch einen infektiösen Klang, der zum Soundtrack der späten Nullerjahre wurde. Der ist auch auf ihrem neuen Album Crack-Up in schönster Pracht zu bewundern: Während die Instrumente meist wenig Aufregendes aus dem Folk-Bereich veranstalten, ranken sich die Harmoniegesänge in die Höhe wie präch- tige Blumengirlanden. Die Männerstimmen umschlingen sich innig, verschränken sich ineinander wie die Liebenden in den Songs, die dann aber doch meistens nur die Unmöglichkeit einer Liebe erkennen müssen. Dieses wert- konservative Klangbild, durch das Erin- nerungen an Crosby, Stills, Nash & Young, an Simon & Garfunkel oder weihevolle Mönchsgesänge wehen, stellt sich die Manufactum-Generation gern ins mit Öl behandelte Naturholzregal neben die Getreidemühle. Dafür aber können natürlich die Fleet Foxes nichts, sie machen einfach Musik - und die ist wunderschön. Thomas Winkler

CD, NONESUCH RECORDS / WARNER