Auf der letzten Leserbriefseite hatten wir einen Brief von ver.di-Mitglied Josef Mannefeld veröffentlicht, in dem er sich dazu bekannte, die AfD gewählt zu haben. Seine Begründungen haben unter unseren Leser/innen eine Debatte ausgelöst. Wir haben uns entschieden, eine Auswahl der Zuschriften zu dokumentieren. Die Redaktion

Zunächst einmal bedanke ich mich für die mutige Veröffentlichung dieses Leserbriefs - zeigt er doch deutlich, dass auch wir in den Gewerkschaften sehr wachsam sein müssen. Dies beinhaltet für mich zum einen die Bereitschaft zur präzisen inhaltlichen Auseinandersetzung und Diskussion, zum anderen aber auch die Notwendigkeit, klar und deutlich Position zu beziehen gegen die Ideologie der AfD. Bemerkenswert, dass Kollege Mannefeld es offenbar besser weiß als die Wissenschaftler der Forschungsgruppe Wahlen: So teilt er uns mit, dass seines Erachtens eher 50 Prozent als 15 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder AfD gewählt haben. Mal abgesehen davon, dass sich Kollege Mannefeld bereits länger im Ruhestand befinden dürfte (Beitritt 1960!) und daher nicht gerade den allerbesten Einblick haben dürfte, lässt sich an diesem Beispiel ein gängiges Argumentationsmuster der AfD geradezu mustergültig beobachten: Das Produzieren alternativer "Fakten" ermöglicht es erst, unbelastet von Fakten haarscharf am Thema vorbei zu diskutieren und letztlich zu abenteuerlichen Schlussfolgerungen zu gelangen. Da kann ich nur sagen: Willkommen im postfaktischen Zeitalter! In meinen Augen handelt es sich bei diesem Leserbrief um einen Versuch, AfD-Propaganda in die Gewerkschaften hineinzutragen.

Matthias Hennig, München

Unter Gewerkschaftern und politischen Linken ist heute Konsens, dass sich die "Reformen" der Agenda 2010 gegen die Interessen der Arbeitnehmer gerichtet und allein den Kapitalisten genutzt haben. So kann ich auch verstehen, dass aus Protest gegen solche Politik neue Parteien gewählt werden, vor ein paar Jahren waren es Die Linke, dann die Piraten, nun die AfD. Nur akzeptieren kann ich in der derzeitigen politischen Lage das massenhafte Wählen der AfD nicht - gerade von Gewerkschaftsmitgliedern. Was versprechen Sie sich, Kollege Mannefeld, von der Wahl der AfD? Dass sie die arbeitnehmerfeindliche Politik unter Schröder zurücknimmt und den Sozialstaat der 1970er Jahre wieder herstellt? Schauen Sie in das Wahlprogramm und Sie werden sehen, dass diese wirtschafts- und sozialpolitisch mit der neoliberalen FDP auf einer Wellenlänge schwimmt. Beides sind Parteien, die Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte eher beschneiden wollen. So, ich habe weder die Nazi- noch die Rassismuskeule geschwungen, obwohl ich die reale Gefahr sehe, dass wir uns bei einer AfD-Regierung gefährlich nahe in Richtung faschistischer Politik der 1930er Jahre bewegen.

Stefan Dorl, per E-Mail

An der sozialen Schieflage, die letztlich zu den natürlichen Folgen unseres Gesellschaftssystems gehört, würde die AfD auch nichts ändern, wohl eher im Gegenteil. Wenn ein Mitglied einer wirklichen Gewerkschaft, also keiner rechten Tarnorganisation, diese Partei wählt, erinnert mich das an den SA-Mann, der Hitler als den "deutschen Lenin" bezeichnete (siehe Wilhelm Reich: "Die Massenpsychologie des Faschismus"). Und das Schicksal des linken SA- und NSDAP-Flügels nach der Machtübernahme ist bekannt, von dem der wirklichen Linken und diverser anderer Bevölkerungsgruppen ganz zu schweigen. Für bestimmte Politikerkreise sind Flüchtende und Asylbewerber natürlich ein geeigneter Sündenbock für gesellschaftliche Probleme.

Peter Löffler, Osterfeld

Dem Brief des Kollegen Mannefeld kann ich voll beipflichten. Deutsche, die Jahrzehnte gearbeitet haben, werden mit Minirenten abgespeist oder müssen sich von Tafeln mit Essen versorgen. Für Ausländer regnen die Millionen nur so vom Himmel.

Kurt Willemsen, Nordhorn

Da bin ich voll des Lobes für den Leserbriefschreiber Mannefeld, in dem er feststellt, dass die Gewerkschaften untätig zugesehen haben, wie die SPD in der Groko mit dazu beigetragen hat, dass die Reichen immer reicher wurden und die Armen ärmer. Auch für den größten Sozialabbau in der Geschichte der Bundesrepublik durch die Agenda 2010 ist die SPD mitverantwortlich. Und dann schreibt er, dass er die AFD gewählt hat. Eine Partei die - abgesehen von ihrer braunen Gesinnung - einen noch größeren Sozialabbau vorhat. Armer Kollege. In der ver.di publik stehen immer randvoll die neuesten Maßnahmen sozialer Ungerechtigkeit und Willkür und welche neuen Sauereien auf die Arbeitnehmer zukommen. Und es werden immer mehr. Wer das ernst nimmt und gleichzeitig in der neoliberalen SPD ist, kommt nicht umhin, eine leichte Schizophrenie auszubilden.

Werner Montel, Hattingen

Vielleicht sollte sich Kollege Mannefeld mal die Realität vor Augen führen und eine Asyl-Unterkunft besuchen. Und ganz schnell wird er feststellen, dass es dort nicht so rosig aussieht. Das Problem ist doch nicht die Ankunft von knapp einer Million Geflüchteter, sondern der global grassierende Kapitalismus. Er sorgt für Krieg, Flucht und Vertreibung. Hier muss angesetzt werden, um allen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen. Und die AfD? Sie ist eine Partei des neoliberalen Turbokapitalismus. Ein zweites Problem habe ich mit seinen Äußerungen hinsichtlich der Behauptung, der Großteil der Gewerkschaften wären nahezu untätig gewesen bei den angesprochenen Themenfeldern. Dem stimme ich in Teilen zu. Jetzt aber richte ich mich direkt an Kollege Mannefeld: Ja, hierzulande läuft viel falsch. Was aber hast Du getan? Warst Du auf den zahlreichen, von Betroffenen organisierten Montags-Demos gegen Hartz IV? Hast Du vielleicht mal einen Protest selbst auf die Beine gestellt, einen offenen Brief geschrieben? Für mich liest sich das so, als ob Du einer derjenigen Mitglieder bist, die lieber darauf schimpfen, wie doof alles läuft, anstatt selbst den Hintern hochzukriegen! Gewerkschaft - das brauch ich Dir ja nicht zu erzählen, der seit 1960 dabei ist - lebt vom Engagement seiner Mitglieder! Vielleicht fängst Du damit an und sammelst Unterschriften für die Kampagne "Abrüsten statt aufrüsten". Die Erklärung findest Du auf Seite 9 der letzten ver.di publik.

Thilo Ostra, per E-Mail

Was mich ärgert, ist, dass Kollege Mannefeld als Hindernis für die Beseitigung der offenkundigen Skandale wie Kinder- und Altersarmut in einem der reichsten Länder der Welt die plötzliche Flüchtlingswelle 2016 ausmacht. Natürlich weiß er, dass schon vorher jahrelang eine systematische Bevorzugung der Multis (11 Prozent Unternehmenssteuer gestrichen!) und eine Verarmung der kommunalen Vorsorge stattgefunden hat und die Schere zwischen Reich und Arm sich gewaltig geöffnet hat - auch ohne den Zustrom armer Menschen. An der Armut bzw. Perspektivlosigkeit dieser Millionen ist ja die Globalausbeutung auch unserer Konzerne nicht unbeteiligt! Schon 2009 / 2010 hat unser - angeblich zahlungsunfähige - Staat die kriminellen Banken mit weit über 500 Milliarden Euro vor der Pleite bewahrt und deren Schulden zu öffentlichen Schulden gemacht, wo wirklich ein Aufstand fällig gewesen wäre. Auch die letzten fünf Jahre mit unerwartetem Steuermilliardenplus haben nicht die Situation der Schulen und Krankenhäuser verbessert, sondern weiter die Reichen noch reicher gemacht. Wie also kommt der Kollege Mannefeld da zu der Annahme, dass die Gelder, die wir eventuell durch den Rausschmiss bedürftiger Menschen aus Arabien, Afghanistan und Afrika einsparen, für die Bedürfnisse unserer Normalbevölkerung verwandt werden und nicht wieder auf źig Umwegen bei unseren Steuerhinterziehern landen? Nein, eine Umkehrung dieser völlig richtig als Katastrophe eingeschätzten Politik erreichen wir nicht durch unsolidarische Frontstellung gegen die noch Ärmeren, sondern nur durch gemeinsamen Kampf gegen die dünne Schicht der Profitmacher und ihrer Polithelfer.

Bernd Bücking, München

Kollege Mannefeld beklagt sich: "Geld in Milliarden-Höhe für Asylanten ist unmittelbar verfügbar, trotz der ‚Schwarzen Null‘." Ich wäre neugierig, wie er sich zur erklärten Absicht der Bundesregierung stellt, die Rüstungsausgaben binnen weniger Jahre fast zu verdoppeln, also 30 Milliarden mehr, trotz der "Schwarzen Null". Ich jedenfalls zahle lieber Steuern für Kriegsflüchtlinge als für zusätzliches Tötungsgerät.

Stephan Richter, Neuendorf

Die Privatisierung staatlicher Versorger soll laut AfD fortgesetzt werden und erzwingt Gewinnmaximierung auf Kosten der Arbeits-und Lebensbedingungen. Solidarität ist dann nur noch für die Mottenkiste. Jetzt braucht es starke Gewerkschaften und selbstbewusste Mitglieder, die sich für eine Politik des Gemeinwohls (Felber) stark machen. Leute, die Umweltschutz, Frauen-und Minderheitenrechte und die allgemeinen Menschenrechte aufs Spiel setzen und die AfD wählen, haben sehr wohl eine rechte und rassistische Grundhaltung.

Jutta Holstein, per E-Mail

Warum schließen AfD-Wähler nur ständig von sich auf andere? Nein, Herr Mannefeld, ich glaube nicht, dass 50 Prozent der ver.di-Mitglieder AfD gewählt haben. Die meisten können nämlich gut zwischen eigenen und fremden Fehlern unterscheiden. Syrische oder albanische Flüchtlinge haben nicht anno '98 Goldkettchen-Gerd an die Macht und später wiedergewählt. Sie sind nicht Schuld an Hartz IV, maroden Straßen, Schulen, Krankenhäusern und all den katastrophalen Missständen in unserem Land. Die haben die Wähler sich selbst eingebrockt. SPD-Wähler wie Sie. Da kann man auch nicht der Gewerkschaft die Schuld geben, wenn sie gegen den Wählerwillen nichts ausrichten kann. Und dann zu kritisieren, dass für Asylbewerber Geld bereitstünde, erkennt auch ein Alien vom Mars als fremdenfeindlich - da brauchen wir die Keule gar nicht auszupacken. Oder die Rute. Frohes Fest.

M. Bloßei, per E-Mail

Dass Hartz-IV-Gesetze schlecht für viele Arbeitnehmer sind, ist unstrittig. Aber als ehemaliger Willy-Brandt-Anhänger die AfD zu wählen, ist für mich ein Unding. Politikwissenschaftler verorten die AfD seit 2014 im politischen Spektrum rechts von den Unionsparteien. In ihrem Grundsatzprogramm befürwortet sie zwar eine soziale Absicherung für Geringverdiener, aber einen gesetzlich festgelegten Mindestlohn lehnt sie ab. Sie versucht, durch das Schüren von Rassismus die Gesellschaft zu spalten und Lohnabhängige gegeneinander auszuspielen. Und wenn ich den dritten Absatz des Leserbriefes lese, frage ich, welches Fass wird zum Überlaufen gebracht? Die Industriestaaten der nördlichen Erdhälfte beuten weiterhin die "armen" Länder der Südhalbkugel aus und wundern sich, dass von dort Flüchtlinge kommen? Wenn Herr M. Bedenken hat wegen Manipulationen und Verdrehungen - ich empfehle "www.nachdenkseiten.de".

W.-Dieter Herbst, per E-Mail

Ich kann die zunehmende Politikverdrossenheit und Wut verstehen, aber inhaltlich nicht nachvollziehen. Dass jetzt die Flüchtlinge für die soziale Schieflage in Deutschland herhalten müssen, ist nicht akzeptabel und auch grundlegend falsch. Die Verantwortung tragen die politisch Handelnden. Die Huldigung der "Schwarzen Null" hat zu einem Investitionsstau geführt, der die dringend notwendigen Investitionen in unsere Infrastruktur, den sozialen Wohnungsbau etc. verhindert. Dass die AfD rassistische und antisemitische Parolen verbreitet, ist längst bekannt. Darüber hinaus verfügt diese Partei nicht mal ansatzweise über eine konkrete Lösungsidee, was sie der sozialen Misere in Deutschland entgegensetzen möchte. Dann will sie auch noch das Abtreibungsrecht kippen und wieder das Schuldprinzip bei Ehescheidungen einführen. Also, wenn ihr schon Protest wählen wollt, dann aber richtig und nicht AfD.

Nadine Zeidler, per E-Mail

Sie kritisieren zu Recht die Haltung der SPD in der Agenda 2010 und der großen Koalition. Auch Ihrer Kritik am Stillhalten der Gewerkschaften würde ich mich anschließen. Die Gewerkschaften sollen wieder Kampforganisationen sein. Leider ziehen Sie aus meiner Sicht die falschen Schlüsse daraus und wählen ausgerechnet die AfD. Die ist nicht nur ausländerfeindlich, sie ist auch zutiefst unsozial, um nicht zu sagen antisozial. Abschaffung der Arbeitslosenversicherung und Erbschaftssteuer, etc.. Das Geld, das den Ausländern weggenommen wird, bekämen eben nicht die deutsche Unter- und Mittelschicht, sondern die Superreichen. Ich finde, dass Die Linke aus gewerkschaftlicher Sicht eine wirklich naheliegende Alternative wäre, oder man suche sich eine passende Kleinstpartei. Die Linke ist die einzige im Bundestag vertretene Partei, die wirklich steuerlich die Reichen belasten will und die Mittel- und Unterschicht entlasten würde und mit Ihren rentenpolitischen Forderungen weite Teile der Bevölkerung besserstellen würde.

Bastian Lutterjohann, per E-Mail

Der Leserbrief von Herrn Josef Mannefeld spricht mir zutiefst aus der Seele. Die Politik macht den brutalen Fehler, dass sie die Zeitbombe der "sozialen Ungleichheiten" in ihrer vollen Dimension nicht zur Kenntnis nimmt, unter den Teppich kehrt und offenbar bewusst die Augen verschließt; sie redet die Realität klein und schön, manipuliert bzw. verdreht die Tatsachen. Dies geschieht vor allem über die Medien. Ich glaube, jeder von uns weiß, wo überall dringend gehandelt werden muss... Wenn unsere Möchtegern-Regierenden nicht noch rechtzeitig diese Zeitbombe entschärfen, dann heißt es wirklich armes Deutschland!!!!!

Michael Elbel, per E-Mail

Nicht einmal zum generellen Protest taugt diese Partei, weil sie den Nutznießern des Staats- und Sozialabbaus nur eine Nachricht überbringt - dass all der Raub an den arbeitenden Menschen schon in Ordnung geht, solange nur die Migranten fort seien. Ein Klares Ja zur Verlagerung des sozialen Konflikts aus der Vertikalen, wo einiges zu gewinnen wäre, in die Horizontale, wo zwar nichts zu holen ist, aber man sich immerhin der Illusion von Größe hingeben kann, indem man die noch weniger Privilegierten weiter herabsetzt. Anteil an den Früchten der eigenen Arbeit ist mit der Rechten (i.e. den Parteien der Herrschenden, der Kapitalseite) nicht zu haben, die ausschließlich symbolisch verteilt; ein rein vorgestelltes Stück des Vaterlandes oder der (Volks-)gemeinschaft, von dem sich niemand etwas kaufen kann. Lassen Sie sich abspeisen, viel Spaß. Oder aber genießen Sie einfach die unappetitliche Melange aus Kitsch und Horrorshow, den Pathos, die erstarrten Gesten ohne Verweisungsgrund? Nichts anderes haben diese Machtvehikel vermögender Narzissten, die (absurd!) im Namen der Armen sprechen, als wäre es das Natürlichste der Welt, zu bieten.

Das zur Sache. Noch ein Wort zur unsäglichen Form. Der billige Versuch, sich vorab gegen Kritik zu immunisieren, indem man die erwarteten Angriffe vorwegnimmt ("Nazi- und Rassismuskeule!!!", "...nicht veröffentlichen..."), ist mindestens unredlich und eben die übliche Einnahme der Opferpose, ohne die nichts geht, will man aggressiv werden und aber doch sich auf der richtigen Seite wissen; Notwehr und verfolgte Unschuld, schon klar. Weiß der Himmel, was sie einst an die SPD gebunden hat...

Florian Kortemme, per E-Mail


Wir freuen uns über jeden Leserbrief. Die Redaktion behält sich Kürzungen vor. Leserbriefe geben nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder. ver.di publik Leserbriefe, 10112 Berlin, Fax 030/6956-3012, E-Mail: leserbriefe@verdi.de