Ausgabe 03/2018
Das Ziel: mehr Selbstbestimmung
Die IG Metall (IGM) hat einen Abschluss erzielt, der den Beschäftigten nicht nur ein deutliches Lohnplus bringt. Sondern auch die Möglichkeit, die Wochenarbeitszeit für bis zu zwei Jahre von 35 auf bis zu 28 Stunden zu reduzieren - mit Rückkehrrecht zur Vollzeit. Zudem können 27,5 Prozent eines Monatslohns in acht zusätzliche freie Tage für Kindererziehung, Pflege von Angehörigen oder - für Schichtarbeiter - zur Erholung umgewandelt werden. Also keine kollektive Arbeitszeitverkürzung, sondern eine Flexibilisierung zum Vorteil der Beschäftigten. Bedingung für diese Arbeitszeitverkürzung ist allerdings, dass im Gegenzug Hochqualifizierte, zum Beispiel Ingenieure, die das wünschen, ihre Arbeitszeit auf bis zu 38 Stunden pro Woche erhöhen. Die betriebliche Gesamtarbeitszeit wird also nicht verkürzt.
Im Organisationsbereich von ver.di wären solche Regelungen in den meisten Betrieben kaum umsetzbar. Zum einen haben wir in den meisten Tarifverträgen noch keine 35-Stunden-Woche. Eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit um drei Stunden für bestimmte Beschäftigte würde daher zu einem Aushebeln der 40-Stunden-Woche und damit des Acht-Stunden-Tages führen. Eine der größten Errungenschaften der Gewerkschaftsbewegung aufzugeben, das kommt für ver.di nicht in Frage. Zum anderen werden solche Regelungen in kleinen Betrieben mangels Masse an Hochqualifizierten kaum umsetzbar sein. Da hat die IGM ganz andere Voraussetzungen als ver.di. Ihr Organisationsbereich ist geprägt von Betrieben mit mehr als 500 Beschäftigten und großen Entwicklungsabteilungen.
Das Ziel, per Tarifvertrag selbstbestimmtere Arbeitszeiten zu ermöglichen, sollte ver.di aber nicht aus den Augen verlieren. Und von der Kampagnenführung der IGM können auch wir ver.dianer mit Sicherheit etwas lernen: Die IGM hat zur Vorbereitung der Tarifrunde 2017/18 zwei großangelegte Beschäftigtenbefragungen gemacht. Ergebnis: Den Beschäftigten, egal ob Schichtarbeiter oder Angestellte, sind selbstbestimmtere Arbeitszeiten sehr wichtig. Und die IGM hat dafür gesorgt, dass die Arbeitszeitthematik zum Auftakt der Tarifrunde in den Betrieben präsent war. Übrigens auch optisch: 850.000 rote Wecker mit der Aufschrift "Mein Leben, meine Zeit" wurden am Arbeitsplatz an IGM-Mitglieder verteilt.
Dass die IGM mit der Forderung nach selbstbestimmterer Arbeitszeit richtig lag, zeigt der hohe Mobilisierungsgrad: Fast 500.000 Metaller/innen haben sich an den ganztägigen Warnstreiks im Januar und Februar beteiligt.
Harald Pürzel, Bezirksvorsitzender ver.di München & Region