Ausgabe 03/2018
Der Wurm im angebissenen Apple
Attac-Protest in Star-Wars-Kostümen vor dem Apple-Store in Paris gegen die Steuertricks des US-amerikanischen Konzerns
Die "Apple-Stores" in den Großstädten der westlichen Welt gleichen stillen Tempeln, in denen der Besucher nach langer Wartezeit von jungen, dynamischen Angestellten exklusiv und vertraulich am Einzeltisch beraten wird. Neuerdings allerdings wird die andächtige Stimmung gelegentlich gestört. In den letzten Monaten wurde das Geschäft in mehreren Städten Frankreichs und Deutschlands, zuletzt in Frankfurt am Main, kurzzeitig durch laute, schrille Aktionen des globalisierungskritischen Netzwerks Attac unterbrochen. Vor und in dem Laden riefen die Demonstranten: "Rückt die Steuern raus!" Auch an die Schaufenster wurde die Parole gemalt, "mit auswaschbaren Farben", wie die Aktivisten betonten.
Apple findet das nicht lustig. Nachdem in Paris eine Flashmob-Aktion Apple zur Evakuierung und vorübergehenden Schließung des Hauptladengeschäfts veranlasst hatte, verlangte der Konzern ein dreijähriges Hausverbot für die Aktivisten sowie eine gerichtliche Strafe von 150.000 Euro. Das Pariser Landgericht wies die Forderungen jedoch im Februar zurück. Angebliche Sachschäden konnten nicht nachgewiesen werden. Da die Kunden während der eigentlichen Flashmob-Aktion den Laden ungehindert hätten betreten können, sei keine Betriebsstörung feststellbar. Auch in dieser Form, so entschieden die Richter, gelte das Recht auf freie Meinungsäußerung und friedlichen Protest. Das war ein kleiner Etappensieg in einem Streit, der voraussichtlich noch lange andauern wird.
Laut Dominique Plihon, Sprecher von Attac-Frankreich, hängt "das Vermögen des umsatzstärksten Multis der Welt mit einer beispiellosen Steuerflucht zusammen". Zwar wird Apple-Chef Tim Cook nicht müde zu beteuern, dass sein Konzern "weltgrößter Steuerzahler" sei und allen Gesetzen gehorche. Nichtsdestotrotz schätzen Ökonomen, dass durch seine Steuertricks Regierungen weltweit zwischen 100 und 240 Milliarden Dollar entzogen worden seien, eine gewaltige Summe, die dann für Bildung, Gesundheit oder Armutsbekämpfung fehlt. In der Tat braucht die Firma mit dem Apfel-Logo nichts Illegales dafür zu tun. In den meisten Ländern, wo sie fette Umsätze generiert, hat sie keine nennenswerte physische Betriebsstätte. In Deutschland zum Beispiel ist sie hauptsächlich durch die Apple-Läden präsent, wird also nach geltenden Regeln wie ein mittelständisches Unternehmen besteuert.
Vorzugsbehandlungen in Irland
Die europaweiten Gewinne werden an ihren frei ausgewählten Hauptsitz transferiert, nämlich Irland, das ihr unschlagbare Vorzugsbehandlungen gewährt: 2014 betrug der effektive Steuersatz des Tech-Giganten sagenhafte 0,005 Prozent. Das hält selbst die Europäische Kommission für übertrieben. Seit zwei Jahren fordert sie Irland auf, von Apple eine Nachzahlung in Höhe von 13 Milliarden Euro zu fordern - eigentlich eine minimale Summe, die nach dem besonders niedrigen irischen Steuersatz bemessen wird. Doch weigert sich das Land partout, das Geld einzutreiben, das ihm zusteht. Schließlich haben auch andere ausländische Hightech-Firmen ihren Sitz auf der grünen Insel, und die Regierung hat Sorge, sie in die Flucht zu treiben und Arbeitsplätze zu verlieren. Vorsichtshalber hat Apple, seit das Arrangement mit Irland angefochten wird, den nominellen Sitz der Tochterfirmen nach Jersey verlegt. Die zur Schau getragene Unschuld des iPhone-Herstellers wurde ohnehin letztes Jahr mit der Veröffentlichung der "Paradise Papers" angekratzt: Ein Riesenvermögen hat er in Steueroasen gehortet.
Im März 2018 gab es auch in Frankfurt / Main Protest vorm Apple-Store
Also fordert Attac mit der Aktion "Rückt die Steuern raus!" nichts Radikaleres als die Umsetzung einer bereits getroffenen Entscheidung der EU-Kommission. Zugleich weist die Gruppe darauf hin, dass Apple nur das Paradebeispiel für einen generellen Missstand ist. Es geht nicht darum, an die Zahlungsmoral einzelner transnationaler Firmen zu appellieren, sondern darum, klare Regeln zu schaffen, um Steuerflucht zu unterbinden. In diesem Sinne hat Attac das Konzept einer Gesamtkonzernsteuer erarbeitet. Demnach werden Hauptsitz und Tochterfilialen als eine Einheit betrachtet. Vermögenswerte, Lohnsumme, Mitarbeiterzahl, Umsätze werden zusammengerechnet, dann wird die Gesamtsumme in dem jeweiligen Staat nach Anteil und nationalem Steuersatz belastet. Interessanterweise wird von der EU zurzeit an einem ähnlichen Plan gearbeitet. Mit der sogenannten "Google Tax" sollten die digitalen Riesen einheitlich erfasst werden, und sie würden nicht mehr nach dem Gewinn, der meistens sehr kreativ gen Null runtergerechnet wird, sondern je nach Umsätzen in den jeweiligen Ländern zur Kasse gebeten. Jedoch gibt es einen kleinen Unterschied: Während Attac einen Mindeststeuersatz fordert, diskutieren die Finanzminister Frankreichs, Deutschlands und Spaniens, ob zwei oder drei Prozent die realistischere Lösung wären. Vor einem höheren Satz, so das Argument, würden sich die internationalen Konzerne zu schützen wissen. Und doch hat selbst dieser bescheidene Entwurf wenig Chancen, umgesetzt zu werden. Eine europaweite Harmonisierung muss von allen Regierungen einstimmig bewilligt werden, dagegen sträuben sich aber Irland, Luxemburg und die übrigen Steuerparadiese innerhalb der Union. Der Unterbietungswettbewerb geht weiter.
Was Apple angeht, scheinen die europäischen Bemühungen nach etwas mehr Steuergerechtigkeit ohnehin zu spät zu kommen. Zwar erklärt die Firma nach wie vor, dass sie "die Welt zu einem besseren Ort" machen will. Aber als US-Präsident Donald Trump den Körperschaftssteuersatz von 35 Prozent auf 15,5 für Bargeld und 8 Prozent für andere Werte senken ließ, entdeckte Tim Cook plötzlich seine Heimatliebe neu: "Wir haben immer ein großes Gefühl von Verantwortung gespürt, etwas zurück an dieses Land und die Menschen zu geben, die unseren Erfolg möglich gemacht haben." Folglich sollen die von Apple im Ausland gelagerten Geldreserven (geschätzte 252 Milliarden US-Dollar) in die "Heimat" rückgeführt werden. Eine stattliche Steuerzahlung von 38 Milliarden Dollar wurde den USA bereits angekündigt und der Bau eines größeren Standorts in Aussicht gestellt.
Apples Bekehrung zu "America first"
Apples eigennützige Bekehrung zur "America-first"-Parole bedeutet aber nicht, dass Trumps Traum eines "iPhone made in USA" Wirklichkeit wird. Das würde das Gerät mindestens um das Doppelte verteuern. Fabriziert wird nach wie vor von berüchtigten, extrem ausbeuterischen Zulieferbetrieben wie Foxconn in China und anderen asiatischen Ländern. In der Steuerdebatte spielt aber der Produktionsstandort keine Rolle. Über diese Regel wird nicht gestritten: Versteuert wird dort, wo die Wertschöpfung stattfindet. Nur hat die materielle Herstellung einen vernachlässigbaren Anteil an der Wertschöpfungskette. Arbeitskosten machen gerade mal zwei Prozent des Fabrikpreises eines Apple-Geräts aus! Dafür verdient der Konzern rund 400 Dollar an jedem verkauften iPhone.
Worin die Leistung liegt, die in diesem Gewinn enthalten ist, kann niemand genau bestimmen. Die flüchtige Mischung aus immateriellen Werten wie Forschung, Programmierung, Marketing, Werbung oder Prestige wird in Cupertino (Kalifornien) verortet, sie könnte genauso gut an einen anderen Ort wandern. Ehe die Profite dorthin gelangen, wo sie gebraucht werden, müssen noch viele Ladenbesetzungen stattfinden. Und weniger symbolische Aktionen auch.