Atari Kobayashi, 12-jähriger Pflegesohn eines korrupten Bürgermeisters, ist ein moderner kleiner Prinz. Er kommt nicht wie der Prinz des Autors Antoine de Saint-Euxpéry von einem anderen Stern, um erkennen zu müssen, dass auf der Erde etwas nicht stimmt. Aber auch er begibt sich auf eine Reise, die den Menschen den zunehmenden Verlust ihrer Menschlichkeit vor Augen führt. Der kleine Atari macht sich auf den Weg, seinen Hund Spots zu retten. Den hat sein Onkel, jener korrupte Bürgermeister einer großen japanischen Stadt, nämlich mit allen anderen Hunden der Stadt auf eine Mülldeponie verbannt, die sich auf einer dem Festland vorgelagerten Insel befindet. Mit einem selbstgebauten Flugobjekt steuert Atari die Müllinsel an. Da sein kindgerechtes Flugzeug eher ein Spielzeug ist, legt er damit auf der Insel zum Staunen eines Hunderudels, das seinen holprigen Anflug beobachtet, eine gewaltige Bruchlandung hin. Kurz überlegt die Hundemeute, ob sie sich den Jungen statt der üblichen gammeligen Essensreste einverleiben soll. Doch so weit kommt es nicht. Atari wird nicht in Stücke gerissen, sondern von den Hunden wieder auf die Beine gestellt und schließlich auf seiner Suche nach Spots begleitet.

Wes Anderson, dem Regisseur von Isle of Dogs - Ataris Reise, ist wie schon mit seinem letzten Film Grand Budapest Hotel ein so mitreißender wie märchenhafter Film gelungen. Bespielten seine gemäldeartigen Filmbilder im Hotel Budapest noch Schauspieler/innen aus Fleisch und Blut, erweckt Anderson in Isle of Dogs alte japanische Holzschnitte zum Leben. Die animierten Hunde und Menschen, die wie in einem Pop-up-Bild aus den Holzschnitten aufpoppen, leben in einer Zukunft, von der man zu glauben meint, sie schon zu erleben. Vordergründig geht es um den unwürdigen Umgang der Menschen mit Tieren. Und welches Tier würde sich da nicht besser anbieten als der vermeintlich beste Freund des Menschen? Die Hunde im Film tragen dann auch Namen wie Duke, Chief und King, um zu zeigen, wer Herr im jeweiligen Hause war, bevor sie verbannt wurden.

Atari steht dabei wie der kleine Prinz für den unschuldigen Blick eines Kindes, das stets das Gute sieht. Da mag der Streuner Duke noch so oft behaupten, dass er beißt, Atari schließt ihn trotzdem in seine Arme, herzt ihn, badet ihn. Auf der Suche nach seinem Hund Spots solidarisiert sich Atari mit ihm und den anderen Ausgegrenzten, macht die Welt wieder menschlicher. Und Wes Anderson die Kinowelt um ein Meisterwerk größer. Petra Welzel

D/USA, 2018, R: WES ANDERSON, ANIMATIONSFILM, 101 MIN., KINOSTART 10. MAI 2018


In den Gängen

Noch auf Probe im Großmarkt, tut sich Christian ziemlich schwer mit dem Gabelstapler, aber Bruno, der Chef in den Getränkeregalen, nimmt ihn geduldig unter seine Fittiche. Von ihm erfährt der scheue Neuling alles Wesentliche, auch, wer hier mit wem kann und wer nicht. Und dass Marion, die stets zu einem Flirt aufgelegte Hübsche aus den Süßwaren, die er gerne näher kennenlernen würde, schon einen Mann hat. Die stille, subtile Erzählung widmet sich mit großer Empathie gering qualifizierten, austauschbaren Zeit-, Lager- und Leiharbeitern, über die sonst keine Filme gemacht werden, wiewohl sie mit ihrem Zusammenhalt, der ihnen aus DDR-Zeiten geblieben ist, einzigartig erscheinen. Die endlos langen Reihen mit Regalen, die diese Arbeitssklaven auffüllen, ergeben Landschaften voller Tristesse, die mit der Geschichte einer zarten, unausgesprochenen Liebe korrespondiert. In der schönsten Szene gehen Christian und Marion in den Kühlraum und bewegen ihre Gesichter aufeinander zu, als wollten sie sich küssen, berühren sich aber nur an den Nasen wie die Eskimos zur Begrüßung. Kirsten Liese

D 2018. R: THOMAS STUBER. D: FRANZ ROGOWSKI, SNADRA HÜLLER, PETER KURTH U. A., 120 MIN., KINOSTART: 24. MAI 2018


Djam

Musik spielt in Tony Gatlifs Filmen stets eine tragende Rolle. Nach Gypsy-Sound, Flamenco, Swing haucht nun der Klang des griechischen Rembetiko seinem stürmischen Roadmovie Seele ein. Der Sohn eines algerischen Berbers und einer Roma bezeichnet den griechischen Blues als Mischung aus Rebellion und Melancholie. Seine moderne Odyssee widmet er den durch die Finanzkrise ausgeraubten Griechen und den Schicksalen der Bootsflüchtlinge auf Lesbos. Der Blick auf Berge von zurückgelassenen Schwimmwesten und einen Friedhof ausrangierter Schlepperboote steht eindringlich für die humanitäre Katastrophe. In Djam ist es die Familie der jungen, freiheitsliebenden Titelheldin, die unter der prekären Lage leidet. Die Taverne ihrer Tante steht vor dem Aus. Die Aasgeier der Bank kreisen schon darüber. Djams Onkel Kakourgos versucht sie zu retten. Seine Nichte schickt er nach Istanbul, um eine Antriebsstange für sein kaputtes Boot schmieden zu lassen. Es ist seine letzte Chance auf ein menschenwürdiges Leben. Luitgard Koch

GRC/F/TUR 2017. R: TONY GATLIF D: DAPHNÉ PATAKIA, SIMON ABKARIA U. A., 97 MIN., KINOSTART: 26. APRIL 2018