Ausgabe 03/2018
Musik
Elina Duni: Partir
In den vergangenen zehn Jahren hat sich Elina Duni als Jazzsängerin mit albanischem Touch etabliert. Doch der Horizont der in Tirana geborenen Musikerin reicht weit darüber hinaus. Nach Jahren in ihrer neuen schweizerischen Heimat wirft sie nun einen unverkrampften Blick auf die traditionelle Musik der Balkan-Region, aber auch auf Chansons und Lieder verschiedenster Herkunft. Auf Partir geschieht das in einem äußerst intimen Rahmen: Duni begleitet sich selbst auf Piano, Gitarre und Rahmentrommel. Ein Konzept, das gerade wegen der reduzierten Arrangements der Stücke so überzeugend wirkt und Dunis Gesang umso eindringlicher macht. Die Erfahrung der Migration hat die Sängerin zu einer Künstlerin mit kosmopolitischer Weltsicht reifen lassen. So stellt sie in ihrem Solo-Programm traditionelle Lieder aus dem Kosovo und Mazedonien neben solche aus dem arabischen und jiddischen Repertoire. Dazu gibt's einen Fado-Klassiker und Chansons von Jacques Brel und Domenico Modugno. Peter Rixen
CD, ECM
Die Nerven: Fake
Eine Gitarre, das war zuletzt etwas in Vergessenheit geraten, kann eine Waffe sein. So etwas wie die jungen Milden, die aktuell unsere Pop-Charts verstopfen, rammen Die Nerven ungespitzt in den Boden - musikalisch sowieso und inhaltlich erst recht. Ob Skandinavisches Design und Depressionen oder Algorithmen, die alles erklären: Das Stuttgarter Post-Rock-Trio geht auch auf seinem vierten Album Fake immer dahin, wo es weh tut. Zielsicher spürt Texter und Sänger Max Rieger die Grauzonen der bundesdeutschen Gesellschaft auf, die übergewichtig weichen Stellen eines Landes, in dem es so vielen so gut geht, dass fast allen zum Heulen ist. "Bin ich der einzige, der weint?", fragt Rieger klagend, während die Gitarre kreischend durchs morsche Gebälk aus Moral und Mitläufertum, Reichtum und Gleichgültigkeit fährt. Beides, die gedankenscharfe Dichtung und das bitterböse Klangbild, bilden zusammen eine wuchtige Einheit, die auch ohne ausdrücklich tagesaktuelle Botschaft eine politische Dimension entwickelt. Wenn eine Gitarre eine Waffe sein kann, dann ist dieses Album eine Barrikade. Thomas Winkler
CD, GLITTERHOUSE/INDIGO
Jenny Wilson: Exorcism
Ob Film oder Theater, bildende Kunst oder Musik: Das große Thema im Kulturbetrieb ist die meToo-Debatte. Mit Exorcism aber greift erstmals ein Kunstwerk selbst aktiv in diese Diskussion ein. Denn das neue Album von Jenny Wilson hat nur ein einziges Thema: Die Vergewaltigung, die die schwedische Musikerin erleben musste, und wie sie diese seitdem zu verarbeiten versucht. Ein Konzeptalbum über sexuelle Gewalt, das dürfte eine Weltpremiere sein. Vor allem aber ist es der Versuch der 42-jährigen Musikerin, das Erlebte und das daraus resultierende Trauma zu überwinden. Gewollt irritierend ist es, dass sich Wilson, um das Grauen und die Wut, die Ängste und die Depressionen zu vertonen, nicht in erwartbare Klangklischees, in Krach oder Atonalität flüchtet. Stattdessen findet das komplexe Gefühlsleben des Opfers auch im Sound seinen Widerhall: Das Moll wird mit Melodiefetzen aufgehellt, tanzbare Beats mit Synkopen gebrochen. Und je länger der Exorcism andauert, desto leichter wird die Stimmung. "It's gonna be alright", singt Wilson im neunten und letzten Song immer wieder. Man wünscht ihr, es wäre tatsächlich so. Thomas Winkler
CD, GOLD MEDAL/BROKEN SILENCE