Anna Loos: Werkzeugkasten

Intrigen hinter den Kulissen, öffentlich ausgetragener Streit. Eine Diva, die sich missverstanden fühlt, und ehemalige Bandkollegen, die lautstark schweigen. Die Boulevardpresse wühlt genüsslich im Zerwürfnis, und die Fans teilen ihre Enttäuschung fröhlich in den sozialen Medien. So öffentlichkeitswirksam und skandalträchtig streiten sich Popmusikanten sonst nur im fernen Amerika, aber dieses eine Mal hatte die deutsche Entertainmentprovinz – zumindest was den Erregungsgrad anging – plötzlich Weltniveau. Der Anlass: Anna Loos verließ nach zwölf erstaunlich erfolgreichen Jahren die Band Silly. Oder wurde entlassen. Vielleicht macht man auch nur eine Pause. So genau scheint das nicht geklärt, sicher ist immerhin: Es gibt böses Blut zwischen der singenden Schauspielerin und der Ostrock-Institution. Als Beweis dienen Interviewaussagen, Gegendarstellungen und gewagte Interpretationen: Das Motto der „Analog“-Tour, auf die Silly ohne Loos im Winter gingen, deuteten Fans als „Anna log“.Nach all den Gerüchten schafft Loos nun Tatsachen. Sie bringt ihr erstes Soloalbum heraus. Werkzeugkasten heißt es und trägt alle Insignien eines Neuanfangs. Das beginnt mit neuem Look (platinblonder Pony), veränderter Videoästhetik (sehr hell, sehr kalt) und endet nicht mit der Musik (mehr Pop, weniger Rock, weniger Lagerfeuer, mehr Club). Die Texte waren es dem Vernehmen nach, über die sich Loos und Silly vor allem entzweiten. Die 48-Jährige wollte angeblich nicht mehr die Reime des altgedienten Ostrock-Lyrikers Werner Karma singen, sondern lieber selber dichten.

Tatsächlich sind ihre selbst verfassten Texte anders, weniger symbolüberfrachtet als vor allem die Silly-Klassiker wie „Bataillon d’Amour“ aus Karmas Feder. Loos erzählt nun direkter, singt schon mal: „Verpiss Dich, Du Arschoch!“ Generell gibt es mehr Ich, mehr Bauchnabel, mehr Introspektion. Ja, manche Songs von Werkzeugkasten wirken wie eine bewusste Annäherung an die aktuell so erfolgreichen deutschen Pop-Sensibelchen wie Bourani oder Forster, allerdings hält Loos noch einen leicht selbstironischen Sicherheitsabstand, wenn sie singt: „Selbst mein Selbstmitleid tut mir leid.“Peter Plate von Rosenstolz hat Loos geholfen beim Neustart und seine Beteiligung ist eine weitere schöne Volte. Haben doch Silly als Loos-Ersatz, die ja schon Danz-Ersatz war, zumindest für Live-Auftritte die ehemalige Rosenstolz-Sängerin AnNa R. engagiert. So klein ist die Welt. Oder doch zumindest die Unterhaltungs-Provinz. Thomas Winkler

Anna Loos: „Werkzeugkasten“ (BMG). Live: 21.3. Hannover, 22.3. Worpswede, 25.3. Berlin, 26.3. Köln, 27.3. Dresden, 28.3. Wien, 3.4. München, 4.4. Leipzig, 5.4. Hamburg


Dominic Miller: Absinthe

Es ist nicht das erste Mal, dass Dominic Miller, Gitarrist in der Band von Sting, mit einem Solo-Projekt in Erscheinung tritt. Doch es ist die bislang überzeugendste CD, die Miller vorlegt. Zu seinem Quintett gehört der Argentinier Santiago Arias, der den Sound entscheidend mitgestaltet. Er spielt zwar Bandoneon, aber deshalb ist Absinthe noch lange kein Tango. Stattdessen prägt der Klang des argentinischen Knopfakkordeons bisweilen weit ausladende Klanglandschaften, ohne dass der Groove zu kurz kommt. Denn dafür sorgen der knackige Tiefbass von Nicholas Fiszman und die immer wieder überraschenden Rhythmus-Geflechte von Drummer Manu Katché – jahrelang ebenfalls Bandmitglied bei Sting. Und Dominic Miller selbst widersteht der Versuchung, ein gitarristisches Feuerwerk abzubrennen. Lieber verlegt er sich darauf, die weiten Räume zu kolorieren. So entsteht eine atmosphärisch dichte Instrumentalmusik mit einem besonderen Reichtum an Farben. Eine klug komponierte Musik, die dem Hörer mehr zu bieten hat als „friss oder stirb“. Peter Rixen

CD, ECM Records


Fettes Brot: Lovestory

Der Shitstorm war gewaltig. „Du driftest nach rechts“, vorab veröffentlicht, hat Fettes Brot Zehntausende böse Kommentare aus der national-populistischen Ecke eingebracht. Und mal wieder bewiesen, wie gut organisiert die rechtsradikalen Trolle mittlerweile sind. Bei so viel Hass droht unterzugehen, worum es den Hamburger Rappern eigentlich geht. Denn Lovestory ist ein Konzeptalbum, auf dem es, dem Titel folgend, in allen elf Songs über tanzbaren, aber nicht allzu aufregenden Beats nur um eines geht: um die Liebe. Um die narzisstische Liebe, die gut gealterte Liebe oder die schal gewordene Liebe. Die Liebe zu fremden Müttern, die Liebe zur Wettansagerin und die zu einem schwedischen Möbelhaus. Und eben auch um die Liebe zu jemandem, dessen politische Einstellungen sich zum Unguten verändern. Es ist zwar nicht das erste Mal, dass sich die drei Hamburger Rapper politisch äußern, auch Schwule Mädchen war schon 2001 ein gesellschaftspolitisches Statement. Aber so durchschlagend war die Wirkung noch nie, gelten Doktor Renz, Björn Beton und König Boris doch als die lieben Jungs des deutschen Rap. Und auch auf ihrem neunten Studioalbum bleibt ihr fröhlich gereimter Spott immer menschenfreundlich. Ähnlich dem netten, meist harmlosen Geplauder, das sie in ihrem wöchentlichen Radio-Talk produzieren, die nun mit einem Buch gewürdigt wird, das genauso heißt wie die Sendung: „Was wollen wissen“ ist eine Sammlung der lustigsten Trialoge. Thomas Winkler

CD/Vinyl, FBS/Groove Attack. Buch: „Was wollen wissen, Rowohlt, 224 S., 12 €