Ausgabe 04/2019
„Wir sind Lufthansa und wir wollen es bleiben“
Oben: So fühlen sich die LSG-Beschäftigten, es hat sie eiskalt erwischt Unten links: Mehmet Örser (53) ist Denis‘ Opa und seit 1992 im Betriebsrat der LSG Unten rechts: Nihal Özdemir (52) arbeitet seit 12 Jahren im Schichtbetrieb bei der LSG und will nicht glauben, dass sie alle verkauft werden sollen
Die Zentrale der Fluggesellschaft Lufthansa am Frankfurter Flughafen ist ein luftiger Bau mit hohen Säulen, viel Glas, viel Grün. Es riecht nach gemähter Wiese und den Abgasen der Autobahn. Der großzügige Vorplatz ist am Nachmittag des 5. Juni, einem der bisher heißesten Tage des Jahres, gefüllt mit ebenso buntem wie lauten Protest, Fahnen, Transparenten, Musik. Beschäftigte aus der ganzen Bundesrepublik sind gekommen, um dem Vorstand des Konzerns über 4.300 Unterschriften zu übergeben, die die Belegschaft der Tochtergesellschaft „LSG Sky Chefs“ bisher bundesweit gesammelt hat. Sie wehrt sich gegen den geplanten Verkauf der Catering-Sparte LSG (Lufthansa Service Gesellschaft), der von der Lufthansa unter anderem damit begründet wird, dass das Catering durch die Konkurrenz durch Billigflieger und auf Kurzstrecken ohnehin obsolet geworden sei. Die Aktion unter dem Motto „Wir kochen vor Wut – LSG – Not4sale“ sei, so ver.di, nur der Auftakt zu einer Reihe weiterer Protestaktionen.
600 Gerichte in 100 Varianten
Die LSG mit einem Marktanteil von 20 Prozent ist der weltweit zweitgrößte Anbieter von Bordverpflegung. Die Catering-Firma mit rund 35.000 Mitarbeiter*innen in 51 Ländern liefert jährlich 700 Millionen Essen in 205 Airports an mehr als 300 Fluggesellschaften. Die Firma ist stabil, der Jahresumsatz hat sich seit 2000 stetig gesteigert und betrug 2018 rund 3,2 Milliarden Euro. Sie bedient zudem Logistik und Management des Bordservices einschließlich des Hygienebedarfs und des Bordverkaufs. In Deutschland wären rund 7.000 Beschäftigte an den Standorten Frankfurt/Main, München, Köln, Düsseldorf, Berlin, Stuttgart und Hannover vom Verkauf betroffen. Zum Konzern gehören in Deutschland auch die Tiefkühlbetriebe in Alzey, die wöchentlich über eine halbe Million Tiefkühlmahlzeiten an zahlreiche Fluggesellschaften liefern. Auf der Speisekarte stehen etwa 600 Gerichte in 100 auf die weltweit unterschiedlichen Essgewohnheiten abgestimmten Varianten.
Nihal Özdemir (52) ist seit zwölf Jahren bei der LSG. Als „Operative Mitarbeiterin“ arbeitet sie im Schichtbetrieb auf Abruf, ist für das Geschirrspülen zuständig. Ihr Rücken und die Schultern haben bei der harten Arbeit Schaden genommen. Dennoch hängt sie sehr an ihrem Job: „Ich arbeite gerne.“ Sie ist noch voller Hoffnung und will nicht so ganz an den Verkauf glauben: „Die machen vielleicht erst mal Panik und versuchen, den Lohn zu drücken.“ Die alten Verträge „mit den über 50-Jährigen“ seien der Firma „vielleicht zu teuer geworden“. Vielleicht wolle man auch Zuschläge zum Beispiel für die Feiertagsarbeit abschaffen. Aber was auch immer geschehen werde, sie protestiere, weil sie sicher ist: „Die wollen uns noch ärmer machen.“
Denis ist drei Jahre alt und unterstützt seinen Opa, den Lufthanseaten
Viele der Demonstrierenden sind mit ihren Familien gekommen. Der dreijährige Denis trägt eine Kochmütze auf dem Kopf und hält ein Schild hoch: „Mein Opa ist seit 30 Jahren Lufthanseat. Ich liebe meinen Opa. Bitte macht meinen Opa nicht traurig.“ Der Opa, das ist Mehmet Örser (53). Der gelernte Stahlbetonbauer ist seit 1990 bei der LSG. Er arbeitete als Küchenhelfer, bestückte die Tabletts für die Passagiere. Seit 1992 ist er Betriebsrat. Er appelliert an die Lufthansa, ihre Fürsorgepflicht für die Beschäftigten wahrzunehmen: „Sie haben Sorgen, sie haben Zukunftsängste, sie leiden!“ Und: „Ich bitte Sie, spielen Sie nicht mit der Not der Mitarbeiter.“ Er warnt das Management: „Werden Sie nicht zu amerikanisch, bleiben Sie deutsch!“
Wovon viele Marken nur träumen
Die Identifikation der Mitarbeiter*innen mit ihrer Firma war bisher trotz Krisen und Zugeständnissen bei der Belegschaft so hoch, dass viele Markenfirmen davon nur träumen könnten. Dafür ist die Enttäuschung umso heftiger. Etliche der Appelle der Versammelten machen deutlich, dass sie sich bisher über Jahrzehnte zur „Lufthansa-Familie“ zugehörig gefühlt hatten, stolz darauf waren, „Lufthanseaten“ zu sein. Auf einem Schild aus München steht: „Wir sind mehr Lufthansa als Sie glauben.“ Der Betriebsratsvorsitzende Donato Buchholz berichtet, die Stimmung in den Betrieben sei „sehr traurig“. Der Vorstand „verstehe das nicht: Die Beschäftigten sind jahrelang dabei und jetzt dieses.“ Auch auf den Schildern und T-Shirts wird der Frust deutlich: „Wir sagen: Lufthansa Vorstände schämt euch!!!“ Und: „Wir sind Lufthansa und wir wollen es bleiben.“ Und: „Hier kocht der Chef vor Wut!“
Buchholz hatte schon im Vorfeld der Proteste gewarnt, dass die Lufthansa „keineswegs aus finanzieller Not“ handele, sondern strategische Ziele durchsetzen wolle: „Wir von der LSG sind womöglich nur die ersten, die verkauft werden sollen. Weitere Dienstleister und Servicegesellschaften könnten folgen.“ Vorausgegangene Aufsplitterungen der Firmenteile hätten, so ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christine Behle, schon zu Schließungen von Betrieben geführt. Die „Sparspirale“ sei mittlerweile am Ende angelangt, die Einstiegslöhne so niedrig, dass kaum noch Personal zu bekommen sei. Die LSG schlingere mit undurchsichtigen und unsinnigen Entscheidungen und immer wieder neuen Umstrukturierungen auf Kosten der Belegschaft.
Als entnervend wird auch das monatelange Hin und Her um den Verkauf der Firma empfunden. Die Mutter Lufthansa sondierte. Die Pläne dazu waren im letzten Herbst eher zufällig bekannt geworden. Seitdem zeigten die bisher größten Konkurrenten, die österreichische Do&Co und die Schweizer Gategroup, Interesse. Auch die Firma dnata aus Dubai soll sich gemeldet haben. Die Verlagerung eines Teils der Produktion für den Frankfurter Rhein-Main-Airport direkt hinter die Grenze ins tschechische Bor jedenfalls habe sich trotz dort niedrigerer Löhne nicht bewährt. Auch dort mangelt es an Arbeitskräften. Deshalb sollen jetzt, hieß es, bis 2020 rund 400 Arbeitskräfte aus den Philippinen angeheuert und dafür Stellen in den bundesdeutschen Küchen gestrichen werden.
Kaltes Outsourcing
ver.di-Kampagnenleiterin Katharina Wesenick bringt den Widerstand gegen den kompletten Verkauf auf den Punkt: „Wir lassen uns nicht aus der Familie vertreiben.“ Der angestrebte Gewinn der LSG habe sich verdoppelt. „Wie lässt sich denn so eine bescheuerte Entscheidung rechtfertigen, wenn der Rubel rollt?“ Wenn Wesenick erst einmal anfängt, redet sie sich schnell in Rage. Es dränge sich der Verdacht auf, dass es sich „um nichts anderes als kaltes Outsourcing“ handele, betrieben von Menschen „die einfach ihre Gier nicht in den Griff kriegen“. Die Kundgebung sei nur der Auftakt des Widerstandes: „Es wird ein heißer Sommer!“, verspricht sie.
Eine Handvoll Entscheidungsträger der Lufthansa mit tiefgefrorenen Gesichtern
Der Landesvorsitzende aus Hessen, Jürgen Bothner, bestätigt die Bereitschaft zum Arbeitskampf, „wenn denn profitable Arbeitsplätze verkauft werden sollen“. Auch Warnstreiks seien nicht ausgeschlossen: „Wir kochen gemeinsam vor Wut.“ Dass Catering nicht nur bloße Dienstleistung oder Werbemaßnahme sei, versichert eine Bordmitarbeiterin, die sich am Rande solidarisch fühlt: „Die Passagiere werden bei uns nicht nur abgefüttert.“ Catering sei auch „Lebensqualität“. Sie habe es selber oft genug erlebt, dass das Ritual des Servierens und die Überraschung und Freude bei liebevoll zubereiteter Menüfolge dafür sorge, dass Flugängste gemindert oder gar für eine Zeit beim Essen ganz vergessen werden.
Unterstützt wird der lautstarke Protest jetzt vom Lärm der Stöcke, mit denen rhythmisch auf Edelstahltöpfen getrommelt wird. Betriebsrat Joannis Angelou (47) ist eigentlich Schichtleiter im Transport. Er kontrolliert die Beladung der Flieger, „dass die Mitarbeiter das alles richtig machen“. Diesmal hat er selbst die Rolle eines Kochs übernommen und rührt in einem Riesenkessel. Die Suppe, die er anrichtet, dampft und qualmt zum Himmel. Sie ist allerdings nicht heiß, sondern eiskalt angerichtet – mit einer gehörigen Portion Trockeneis.
Mit tiefgefrorenen Gesichtern
Dann stehen zum Ende der Kundgebung vier bis fünf Entscheidungsträger mit Gesichtern wie tiefgefroren in dunklen Anzügen in der Sonne vor dem Eingang des Konzerns. Die Herren aus der Chefetage der Zentrale der Fluggesellschaft Lufthansa sind vor die Haustür gekommen, um die Unterschriften anzunehmen und überlassen ihrer Kollegin das Wort. Personalchefin und Aufsichtsratsvorsitzende Bettina Volkens, kühl im eierschalfarbenen Kostüm, nimmt das Mikrofon und klingt ganz mütterlich. Die Arbeitsdirektorin der Kranich-Linie versucht, die Gemüter zu beruhigen. Nichts, will sie sagen, werde so heiß gegessen wie gekocht. Und der Verkauf sei doch nur zum Besten der Belegschaft: „Wir sind nicht der richtige Eigentümer.“ Die Lufthansa wolle sich wieder auf ihr Kerngeschäft zurückziehen: „Und das sind Flugzeuge.“ Der Verkauf solle die Arbeitsplätze „nachhaltig sichern“. Es sei aber noch nichts entschieden. Die Verkaufsverhandlungen hätten noch keine Ergebnisse gezeitigt. Ansonsten setzte man auf „ganz viel Dialog“ mit den Arbeitnehmer*innen.
Das Ergebnis des an die Unterschriftenübergabe anschließenden Gesprächs einer Delegation aus Betriebsräten und Gewerkschaftern mit der Lufthansa-Führung allerdings ist eindeutig: Vom im April endgültig beschlossenen Verkauf werde nicht abgewichen.
Drei von 7.000 Beschäftigten, die bei der Lufthansa bleiben wollen
In einem kurzen Flugblatt teilt ver.di noch am selben Abend mit: „Die Aussage des LH Vorstandes war deutlich: Aus der jetzigen Sicht wird die LSG verkauft. NOCH gibt es keinen offiziellen Beschluss... Noch werden keine Kaufverträge ausgehandelt. Zurzeit werden mit möglichen Käufern operative Prozesse besprochen.“ Im Gespräch sei nicht auf die Forderungen der Beschäftigten reagiert worden: „Mehr als warme Worte haben wir nicht bekommen.“ Stattdessen seien sie informiert worden: „Im September wird entschieden, wer die LSG kauft.“ Bis dahin sollten „die Beschäftigten ruhig weiter zuverlässig arbeiten: Das ist keine Aussage!“
Man erwarte vom Vorstand „jetzt klare Antworten“. Der Verkauf sei eine „falsche Entscheidung“, die zurückgenommen werden müsse. Es werde „die Qualität der Premiumairline Lufthansa sinken. Das Catering wird teurer werden. Tausende Existenzen stehen auf dem Spiel!“ Spätestens bis zur Betriebsversammlung am 24. Juni erwarte man eine Antwort.
Laute Mittagspause
Am nächsten Tag sind die Protestierenden schon wieder auf den Beinen. Sie haben bundesweit zu einer „lauten Mittagspause“ vor den LSG-Standorten geladen. In Frankfurt am Main versammeln sie sich auf dem Parkplatzgelände vor der langen LSG-Firmenhalle in Sichtweite der Ausfahrtstore für die Transportwagen, die die Mahlzeiten für die Kunden ausliefern.
Die Protest-Mittagspause lässt niemanden hungrig. Das Catering klappt wie am Schnürchen. Laufend werden gegrillte Steaks, Brat- und Rindswürste vom Rost gereicht. Gekommen ist auch der frisch gebackene SPD-Interimsvorsitzende und hessische Landtagsabgeordnete Thorsten Schäfer-Gümbel. Spontan wolle er seine „Solidarität zum Ausdruck bringen“, sagt er. Er verweist auf „Qualität und Tradition“ der „stolzen Lufthansa“, die diese Merkmale nicht durch „die kurzfristige Sicht“ aufs Spiel setzen dürfe: „Ihr steht am Anfang der Wertschöpfung dieses Unternehmens.“ Der Politiker sichert zu, dass er sich für die Interessen der Belegschaft einsetzen werde.
Die Fraktionsvorsitzende der Linken, Janine Wissler, nennt den geplanten LSG-Verkauf „eine riesige Sauerei“, zumal die Belegschaft in der Vergangenheit schon Lohnabbau und Personalkürzungen habe ertragen müssen. Katharina Wesenick beendet die Mittagpause mit der rhetorischen Frage, ob die Versammelten untätig abwarten wollten, bis die Firma im September entscheide. Sie hört lauter laute „Nein“ und empfiehlt: „Dann schnappt euch ein Würstchen und bleibt stark.“Kampagnenwebsite www.LSGnot4sale.de
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