Abdullah Ibrahim: Dream Time

Als er 1994 zur Amtseinführung von Nelson Mandela spielt, ist das nicht nur eine große Ehre, sondern auch ein später Triumph über die Apartheid, derentwegen Abdullah Ibrahim Jahrzehnte im Exil verbracht hat. Dort hat der südafrikanische Musiker aus Grooves und religiösen Hymnen seines Heimatlandes und dem Einfluss von Duke Ellingtons Jazz-Kompositionen einen Sound geformt, der ihn weltbekannt gemacht hat. Dream-Time ist der Mitschnitt eines Solo-Konzerts des Pianisten, aufgenommen im März 2019 im oberbayerischen Söllhuben. In seinem 85. Lebensjahr geht der Pianist aus Kapstadt seinen Solovortrag mit großer Ruhe an und hält mit dem hauptsächlich balladesken Programm Rückschau. Da spielt einer, der niemandem mehr etwas beweisen muss. Das Besondere: Ibrahim fügt alle Stücke ohne Pausen zu einer grandiosen fast 70-minütigen Suite zusammen. Ein beeindruckendes Statement von einem, der Integrität, Unbeugsamkeit und Spiritualität in Einklang bringt. Peter Rixen

CD, ENJA


Miles Davis: Rubberband

Miles Davis ist tot. Schon seit 1991. Aber plötzlich wird der Jazz-Erneuerer wieder sehr lebendig. Denn mit Rubberband kommt nun ein Album heraus, das der legendäre Trompeter 1985 aufgenommen hatte, das aber in den Wirren eines Plattenfirmenwechsels verloren gegangen war. Nahtlos fügt sich Rubberband ins Davis’sche Schaffen, macht es doch die unter Jazz-Gralshütern schwer umstrittene und bislang auch etwas abrupt wirkende Hinwendung zum Pop nachvollziehbarer. Die meisten der elf Stücke sind noch fest verwurzelt im Fusion Jazz, experimentieren mit Elementen aus Rock und Funk. Aber zu hören sind eben auch die Stimmen von Al Jarreau und Chaka Kahn. „Come on, take a trip to paradise“, singt die Soul-Ikone nun verführerisch, während eine Gitarre irgendwie lateinamerikanisch daherklimpert. Im darauffolgenden, ironisch betitelten Lalah Song wird ganz ungebrochen die Liebe beschworen. Angesichts von so viel Willen zum Pop tritt die Trompete des Meisters in den Hintergrund, bleibt oft nur mehr atmosphärischer Hintergrund. Man kann sich vorstellen, wie sich beinharte Jazz-Connaisseure seinerzeit empört hätten über so viel Leichtigkeit. Heute aber ist der Jazz Scheunentor weit offen für alle Einflüsse, und Rubberband, mit Verspätung, immer noch ein ziemlich spannendes Stück Musik. Thomas Winkler

CD, RHINO/WARNER


Chrissie Hynde: Valve Bone Woe

Es ist ein altbekanntes Muster: In Ehren ergrautem Popstar fällt nichts mehr Neues ein und interpretiert deshalb lieber gut abgehangene Songklassiker. Chrissie Hynde, die einst als Kopf der Pretenders nahezu im Alleingang die wütend an Geschlechterrollen rüttelnde Frau im Rock’n’Roll etablierte, hätte man diese öffentlich eingestandene Kapitulation vor dem Versiegen der Kreativität aber eigentlich nicht zugetraut. Und natürlich geht die für ihre widerborstige Eigenständigkeit berühmte Hynde solch ein Unterfangen auch im Alter von 67 Jahren auf sehr individuelle Weise an. Zuerst einmal hat sie neben eher unbekannten Songs auch Stücke ausgesucht, die man nicht so schnell mit ihr in Verbindung gebracht hätte, nämlich von Jazz-Legenden wie John Coltrane oder dem guten alten Sinatra. Und sie hat mit dem Valve Bone Woe-Ensemble eine Bigband engagiert, die ihr einen butterweichen Swing-Sound unter die immer noch beindruckende Stimme legt. Und in dieser Stimme brodelt auch immer noch die aufsässige Riot-Girl-Ikone. Thomas Winkler

CD, WARNER