Neues Deutschland, 28. September 2019

Teamgeist. Genau dafür könnte Werneke stehen. Wenn etwas bei diesem Bundeskongress deutlich wurde, wo er mit über 90 Prozent gewählt wurde, dann das: Inhaltlich setzt er die kritische Linie seines Vorgängers fort – aber er verkörpert einen anderen Stil. „Gemeinsam im Team“, das kündigt er schon in seiner Bewerbungsrede an. Wie er dann direkt nach seiner ersten Grundsatzrede als Vorsitzender seine beiden Stellvertreterinnen Christine Behle und Andrea Kocsis sowie die neue Vorsitzende des ehrenamtlichen Gewerkschaftsrats zu sich in die Mitte holte, das deutet darauf hin: Er beansprucht nicht die ganze Bühne für sich allein. Er lässt anderen mehr Raum. [...] Natürlich bleibt die Frage, ob er das wirklich kann, ver.di, diesen heterogenen Laden, zusammenzuhalten. Aber selbst in der Wirtschaft sind die Zeiten der autoritären Patriarchen vorbei. Und bei der bevorstehenden Zusammenlegung der Fachbereiche könnte es gerade ein Vorzug sein, wenn einer nicht einfach nur von oben nach unten durchregieren will.


Moderierende Rolle

Die Rheinpfalz – Ludwigshafen, 26. September 2019

Vor 18 Jahren wurde Verdi gegründet – die Gewerkschaft hat also das Erwachsenenalter erreicht. [...] Gewerkschaften haben nicht unerheblich dazu beigetragen, dass in Deutschland seit Gründung der Bundesrepublik im Großen und Ganzen sozialer Friede herrscht. Das geschah einerseits im Zusammenspiel mit Politik und Arbeitgebern. Gewerkschaften sind andererseits aber auch Organisationen, in denen Menschen mit ganz unterschiedlichen Interessen und Positionen aufeinandertreffen. Diese zu einem Ausgleich zu führen, dabei radikalen Kräften die Spitze zu nehmen, ist ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Ängste von Menschen – vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, vor sozialem Abstieg – wahr- und aufzunehmen, ihnen eine Stimme zu geben. Diese moderierende Rolle der Gewerkschaften ist in Zeiten, in denen radikale Kräfte Zulauf haben, in denen wachsende gesellschaftliche Spannungen unübersehbar sind, vielleicht wichtiger denn je.


Der tägliche Bsirske

Die Tageszeitung, 11. September 2019

Dienstags Bsirske, mittwochs Bsirske – warum bringt die taz jetzt an dieser Stelle schon wieder ein Interview mit dem Verdi-Chef? Nun ja, der Grund ist ein für die taz unrühmlicher, das Interview vom Dienstag hatten wir vor anderthalb Jahren schon einmal veröffentlicht. [...] Bsirskes Antworten sind anderthalb Jahre später aber nicht aus der Zeit gefallen. Der Bsirske von gestern ist gar nicht komplett von gestern. [...] Was war passiert? Die Redaktion hat versehentlich eine falsche Datei verwendet. [...] So wollen wir Frank Bsirske nicht in die Rente verabschieden. Wir finden seine Antworten zu [...] der Zukunft der Gewerkschaftsbewegung zu wichtig, um sie den Leser*innen der taz vorzuenthalten. Deshalb gibt’s heute Bsirske zum Zweiten.


Die erste Vorsitzende

Der Freitag, 29. August 2019

Sie war die erste Vorsitzende einer gemischtgeschlechtlichen Gewerkschaft weltweit. [...] Noch zu Beginn der 1920er Jahre ehrte der Verband der graphischen HilfsarbeiterInnen Paula Thiede mit einem Denkmal auf dem Zentralfriedhof Berlin-Friedrichsfelde. [...] Die Stellung der Frau mit proletarischem Hintergrund ohne echte Berufsausbildung hat sicher auch in den Jahren nach 1945 eine „Wiederentdeckung“ erschwert. Die zweite Frauenbewegung suchte zudem ihre Traditionslinien nicht bei den Gewerkschafts- frauen. Umso erfreulicher, dass nun Uwe Fuhrmann, 100 Jahre nach ihrem Tod, Paula Thiede und mit ihr das frühe gewerkschaftliche Engagement von Frauen dem Vergessen entrissen hat.