Konstantin Wecker: Weltenbrand

Unlängst ist Konstantin Wecker in Dortmund aufgetreten. Die Arbeiterwohlfahrt feierte ihren 100. Geburtstag, und der Münchner Liedermacher war zum Gratulieren geladen. Das Ständchen musste allerdings schon zur Hälfte abgebrochen werden. Grund: ein aufkommendes Unwetter. Man mag diese Anekdote als Allegorie sehen. Denn wer es noch nicht mitbekommen haben sollte, dass die Welt, in der wir leben, dieser Tage in einem eher beklagenswerten, um nicht zu sagen besorgniserregenden Zustand ist und weiteres Unheil droht, den bringt Wecker auf den neuesten Stand. Weltenbrand heißt sein neuestes Werk, und beides – der Titel und die Bezeichnung Werk – sind wahrlich keine Übertreibung.Zwar hat Wecker für diese mächtige Live-Aufnahme mit dem Kammerorchester der Bayerischen Philharmonie unter Leitung von Mark Mast Songs aus den letzten vier Jahrzehnten seiner Karriere zusammengesucht, aber die Lieder auf den zwei vollgepackten CDs wirken erschreckend aktuell. Im Verbund schließlich werden die Songs, so antiquiert sie mitunter wirken in ihrer Kunstliedhaftigkeit, zu einer ernüchternden Bestandsaufnahme. Klar, da ist viel Holzschnitt im Spiel, wenn Wecker wettert über die „anonymen Herrn in den obersten Etagen“ und die Obrigkeit, wenn er die Friedhofsruhe im Land beklagt und das Glücksversprechen des Kapitalismus als „Kloake der Illusionen“ besingt. Nein, Selbstironie ist nicht die Sache des mittlerweile 72-Jährigen, der sich angesichts streikender Schülerinnen und Schüler an die eigene Jugend erinnert fühlt und daran glaubt, Fridays for Future könnte sich zu einer aktualisierten Version der 68er-Revolte auswachsen. Wecker sieht „Minister scharwenzeln“ und den Staat im Würgegriff des Neoliberalismus, er singt und rezitiert Brecht, Mühsam und Goethe, er sieht das Böse und will das Gute, aber der lebenspralle, lustbesoffene, der Wenn-der-Sommer-nicht-mehr-weit-ist-Wecker, der kommt darüber leider zu kurz.Aber der Sänger macht ja keine Politik, sondern Musik. Und der bekommt das Orchester, das ihm hier zur Seite steht, hörbar gut. Mildert es doch mit seinen butterweichen Streichersätzen zum einen die Weckersche Wut ab und verschafft ihr eine ungewohnte Eleganz. Zum anderen überhöhen die raumgreifenden Arrangements den Kitsch, zu dem der Liedermacher schon immer neigte, dermaßen, dass er wie ein geschickter Kunstgriff, ein Vorgeschmack auf das dräuende Unheil wirkt. Von Oktober bis Dezember geht Konstantin Wecker auf Deutschlandtour. Thomas Winkler

Doppel-CD, Sturm und Klang/Alive


Jazzkantine: Mit Pauken und Trompeten

Kantinenkost gilt ja gemeinhin nicht gerade als kulinarischer Höhenflug. Ganz anders die Jazzkantine: Ihr musikalischer Verpflegungsplan strotzt vor satten Grooves und versorgt seine Fans seit einem Vierteljahrhundert mit einem nahrhaften Mix aus funky Jazz, Soul und Hip Hop mit pfiffigen deutschen Texten und einem richtigen Bläsersatz. Wer sagt denn, dass Jazz elitär ist und nicht grooven kann? Das coole Erfolgsprojekt erbringt immer wieder den Gegenbeweis, ohne in seichten Smooth Jazz abzudriften. Das liegt auch an den erstklassigen Musikern der neunköpfigen Band, wie Kantinen-Gründer und Bassist Christian Eitner, Rapper Cappuccino und den zahlreichen Gästen der Braunschweiger Band, die mitgeholfen haben die Marke Jazzkantine zu etablieren – diesmal unter anderem Sängerin Pat Appleton und Super-Posaunist Nils Wogram. In den 25 Jahren ihres Bestehens hat die Jazzkantine weit mehr als 1.500 Konzerte absolviert, in kleinen Clubs, aber auch in Tempeln der Hochkultur. Jetzt wird gefeiert, mit einem knappen Rückblick in die eigene Bandgeschichte und vielen neuen Songs. Glückwunsch! Peter Rixen

CD, Rap Nation Records/Indigo


Matana Roberts: Coin Coin Chapter Four: Memphis

Eine Botschaft, eine politische zumal, wird in der Musik gewöhnlich über den Text transportiert. Matana Roberts will mehr: Mit ihrem Projekt „Coin Coin“ taucht die Saxofonistin aus Chicago ein in die Geschichte ihrer Familie bis zurück ins 18. Jahrhundert, als ihre Vorfahren als Sklaven nach Nordamerika kamen. Angelegt ist die 2011 begonnene Spurensuche auf zwölf musikalische Kapitel, „Memphis“ ist das vierte Album der Serie. Auf dem Cover ist ein Foto von Roberts Großmutter zu sehen, die viele der Geschichten, die über Generationen in der Familie als Erzählung weitergegeben wurden und für Coin Coin verarbeitet werden, gesammelt und aufgeschrieben hat. Die Komplexität des riesigen Projekts fängt Roberts mit einer denkbar verschlungenen musikalischen Umsetzung auf: Gospelchöre, Gesänge der Arbeiter von den Baumwollfeldern und Spoken Word, die von afro-amerikanischem Leid und Verzweiflung erzählen, werden verschnitten mit Free Jazz und Blues, atonalen Ausbrüchen und Ausflügen in den Afro-Futurismus, mit Elementen aus Avantgarde und Neuer Musik. Das ist nicht immer einfach zu hören, aber so detailreich und faszinierend, dass man gerne mit eintaucht in die Historie der Familie Roberts, die so viel mehr ist: nämlich eine afro-amerikanische Kulturgeschichte. Thomas Winkler

CD, Constellation/Cargo