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Frauen aus vieler Frauenländer demonstrierten am ersten Novemberwochenende in Erfurt mitPetra Welzel

Monika Gärtner-Engel schlägt ihre Fäuste symbolisch gegeneinander. Es gibt Stunk, deutet sie einer am Rand stehenden Frau an. Im kämpferisch roten Pulli moderiert sie gerade auf dem 12. Frauenpolitischen Ratschlag im Hörsaal der ehemaligen SED-Parteischule im thüringischen Erfurt das Podium zum Forum "Imperialismus – Würger der Frauen". Es ist Anfang November, die Heizung im Gebäude ausgefallen, aber in dem gut gefüllten Hörsaal erhitzen sich ein paar Gemüter. Eine Afghanin berichtet über die anhaltend schlechte Situation für Frauen und Mädchen in ihrem Heimatland. Doch zwei Kurdinnen unter den Zuhörer*innen lassen sie nicht ausreden. Lautstark beanspruchen sie Redezeit für sich, weil sich ja schließlich im Moment besonders die Kurdinnen in einer lebensbedrohlichen Lage befänden.

Das stimmt zweifellos. Doch Monika Gärtner-Engel mag es nicht, wenn andere unterbrochen werden. "Liebe Frauen, so geht es nicht", ruft sie dazwischen. "Wir müssen die Grenzen überwinden und uns zusammentun. Wir dürfen nicht nur die Probleme im eigenen Land sehen. Nur wenn wir über Grenzen zusammen agieren, können wir auch etwas ändern." Die beiden Kurdinnen sind zuerst sauer, fühlen sich in ihrem Anliegen nicht ernst genommen, eine verlässt demonstrativ den Saal. Doch noch im Verlauf des Forum und des Abends wird ebenso heiß wie klärend weiter diskutiert.

Monika Gärtner-Engel bringt so eine Auseinandersetzung nicht aus der Ruhe. Sie hat den Frauenpolitischen Ratschlag vor 20 Jahren unter der Maxime ins Leben gerufen, sich auf Augenhöhe zu begegnen und zuzuhören. Nur wenige Stunden zuvor hatte sie auf einer Kundgebung in der Erfurter Innenstadt rund 900 Frauen und mindestens genauso vielen Erfurter*innen zugerufen: "Wir Frauen zeigen, dass wir von Religion bis Revolution zusammenarbeiten können!" Denn genau darum ging es ihr bereits 1999, als sie zum ersten Ratschlag einlud. "Es war eher als eine Art Seminar gedacht", sagt Monika Gärtner-Engel. "Aber man merkte, die Zeit ist reif für so eine Basis-Bewegung." 33 Frauen und ein Mann kamen damals zusammen, aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen. Beim zweiten Ratschlag waren es dann schon 400 Frauen und wenige Männer. Und heute ist aus dem ersten Seminar eine internationale, selbstorganisierte Frauenbewegung erwachsen.

"Frauen verbinden Welten"

Frau sieht es schon in den Morgenstunden vor der Erfurter Staatskanzlei. Nach und nach versammeln sich Frauen aus vieler Frauenländer. Neben den anfangs überwiegenden lila Fahnen des unabhängigen Frauenverbands Courage wehen schon bald bunte Fahnen von Frauenbewegungen aus Tunesien, Nepal, Spanien, Kurdistan, Peru und einigen Ländern mehr. Auf dem Transparent, das die Frauen an der Spitze des Demozuges tragen werden, steht oben: "Weltfrauen verbinden – Visionen wagen." Und unten: "Frauen verbinden Welten – Frauen kämpfen international." Genau das ist der Anspruch der Frauen, die hier zusammengekommen sind. Sie wollen die Grenzen überwinden, die sie trennen. Und das sind nicht nur Ländergrenzen. Es gilt auch religiöse und politische Grenzen hinter sich zu lassen. Genauso wie die Grenzen von sexueller Orientierung, Geschlechtergrenzen – weshalb auch wieder Männer unter den Frauen sind – und auch Altersgrenzen.

"Im Bewusstsein unserer Geschichte haben wir besondere Verantwortung. Die Anfänge, denen wir wehren müssen, haben schon begonnen."

Aus der Resolution des 12. Frauenpolitischen Ratschlags

Und so sind auf diesem Frauenpolitischen Ratschlag auch Mädchen und Frauen jeden Alters vertreten. Maya, 7 Jahre, von den Rotfüchsen, der Kinderorganisation des Jugendverbands REBELL, ist natürlich in Begleitung ihrer Mutter, aber auf der Kundgebungsbühne antwortet sie auf die Frage, warum sie dabei sei: "Weil sich hier Frauen aus aller Welt treffen." Später wird es auf einem Forum um die Frage gehen, ob "Glitzer" in der Mädchenwelt die "antifaschistische Bildung" ausheble. Für die Mädchen und Jugendlichen im Forum schließt das eine das andere nicht unbedingt aus. Ohnehin ist ihnen momentan in erster Linie an einer gesunden Umwelt und Frieden gelegen. Das zeigt die Diskussion.

Über sich selbst schreiben die Frauen auf ihrer Website: "Der Frauenpolitische Ratschlag ist inzwischen in Deutschland die größte frauenpolitische Veranstaltung für Frauen und Frauengruppen unter anderem aus den Betrieben, der Umwelt- und Friedensbewegung und der Bewegung der Montagsdemonstrationen. Hier treffen sich Frauen, die unter großem Einsatz ihren Alltag bewältigen, aber sich selbst nicht als ,politisch aktiv' bezeichnen würden und zunehmend junge Frauen und Mädchen. Er bietet Gelegenheit, sich kennenzulernen, zu diskutieren und zusammen zu feiern."

Nicht auf den Hinterkopf gefallen

Die Beschreibung trifft den Kern dieser Basis-Bewegung sehr gut. Auch an diesem Sonnabend motivieren sich die Frauen gegenseitig, Aufgaben zu übernehmen. Sei es, dass in der alten Parteischule gleich beim Eintreffen Freiwillige gesucht werden, die sich um das abendliche Buffet kümmern, zu dem nahezu alle Teilnehmer*innen etwas mitgebracht haben. Oder sei es, dass frau vom Ende des Demonstrationszuges nach vorne geschickt wird, um denen an der Spitze mitzuteilen, dass der Zug kurz vor einem Haus der rechten Szene anhalten wird. Das thüringische Landtagswahlergebnis mit einem Viertel aller Stimmen für die rechte AfD steckt allen Frauen hier in den Gliedern. "Wir sind zwar in die Knie gegangen", sagt Monika Gärtner-Engel, "aber wir sind nicht auf den Hinterkopf gefallen."

Der Gefahr zunehmender rechter und rechtsextremer Tendenzen sind sich alle Frauen bewusst. Im Forum "Weil es ums Ganze geht! Frauen aktiv in Betrieb, Büro, Kindergarten, Pflege und Gewerkschaft" ist der Rechtsruck an diesem Tag ein wichtiges Thema. Organisiert hat das Forum unter anderem Nina Dusper, Krankenpflegerin und aktiv in ver.di in mehreren Gremien, unter anderem im ver.di-Landesfrauenrat NRW. Monatelang hat sie sich im Vorfeld dafür eingesetzt und Spendengelder gesammelt, um Joly Talukder, der Vorsitzenden der Textilarbeiterinnen-Gewerkschaft in Bangladesch, die Reise zum Ratschlag nach Erfurt zu ermöglichen.

An Rosa Luxemburg denken

Heute trägt Joly Talukder über die gesamte Demonstration hinweg vorne das Transparent mit. Und auf der Kundgebung sagt sie nicht nur in Richtung der Frauen, sondern vor allem auch in Richtung der zuhörenden Erfurter*innen: "Als bei uns in Bangladesch ein Diktator regierte, haben wir viel über den Faschismus in Deutschland und Italien gelesen. Wenn der Faschismus an die Macht kommt, ist die Gewerkschaftsbewegung das erste Ziel. Lasst uns deshalb an Rosa Luxemburg denken, wie sie gekämpft hat. Wir müssen alle zusammenstehen, gegen den Faschismus, in Deutschland, in Bangladesch, in den USA, in Indien, überall auf der Welt."

Und dieser Kampf beginnt im eigenen Betrieb. Das wird in vielen Beiträgen im besagten Forum deutlich. "Auf keinen Fall dürfen wir schweigen", sagt Yvonne Fegert, ver.di-Mitglied und Ausbilderin von Stammtischkämpfer*innen gegen Rechts. "Wenn in der Kantine eine Zote oder ein Ausländerwitz fällt, dann lachen viele. Aber viele wollen nicht lachen, stehen aber auch nicht auf. Doch das müssen wir lernen, aufzustehen und zu sagen: Das finde ich nicht in Ordnung. Das müssen wir tun, immer wieder."

Wie notwendig es ist, aufzustehen und Position zu beziehen, hatte zuvor Karin, eine junge Betriebsrätin der IG Metall aus dem Autowerk Eisenach, klar gemacht. Seit einem Jahr würde man auf Betriebsversammlungen über rechte Tendenzen im Betrieb sprechen. Das habe aber nicht verhindern können, dass es nun ein "rechter Scharfmacher" bis in die Betriebsratsspitze geschafft habe.

Am Ende des 12. Frauenpolitischen Ratschlags bleibt der Rechtsruck das dringlichste Thema. "Das propagierte rechte Gedankengut zielt auf ein Rollback gegen die bereits erkämpften Fortschritte für die Frauen in unserer Gesellschaft", heißt es in der Abschlussresolution. Und weiter: "Im Bewusstsein unserer Geschichte haben wir besondere Verantwortung. Die Anfänge, denen wir wehren müssen, haben schon begonnen. [...] Wir wollen nicht in 5, 10 oder 20 Jahren zurückblicken und feststellen, dass wir es wieder nicht rechtzeitig verstanden haben, eine breite antifaschistische Einheit zu bilden. Deshalb machen wir Frauen heute einen Anfang. Wer zurück will, der muss erst mal an uns vorbei!"

frauenpolitischerratschlag.de