Ausgabe 08/2019
Einzige Frau
Mein Herz ist das erste Mal für große Fahrzeuge entflammt, als mein Papa mit mir zum Tag der offenen Tür der Feuerwehr fuhr. Drei meiner Cousins fuhren bereits Lkw. Das wollte ich auch. Da war ich 14. Mit 17 hat mich dann nichts mehr aufgehalten. Ich habe den Pkw-Führerschein gemacht, darauf folgten der Motorrad- und der Anhängerführerschein. Dann habe ich mich bei Edeka als Berufskraftfahrerin beworben und mit 19 den Lkw-Führerschein gemacht. Weil ich so klein und zierlich bin, dachten viele, dass ich das nicht schaffen würde. Aber ich habe die Probezeit von sechs Monaten bestanden und bewiesen, dass ich die Arbeit genauso gut bewältigen kann. Denn in meinem Beruf muss ich nicht nur fahren, wir müssen die Lkws auch be- und entladen. Von insgesamt 250 Berufskraftfahrern bei Edeka, bin ich momentan die einzige Frau, zwei weitere sind gerade im Mutterschutz.
Mein Arbeitstag beginnt mitten in der Nacht um 3 Uhr. Dann hole ich meine Fahrzeugmappe mit den Papieren und dem Schlüssel für den mir zugeteilten Lkw. Meine täglichen Strecken sind unterschiedlich weit. Mal geht es ins 120 Kilometer entfernte Meppen ins Emsland, mal nur 20 Kilometer weit nach Ocholt. Mal habe ich nur drei Kunden, die ich beliefere, mal sechs. Doch zuerst fahre ich den Lkw an die Box, wo die Ware für meine Kunden bereitsteht. Dort schiebe ich die Paletten und Rollbehälter mit Feinkost und Obst und Gemüse in den Lkw. Bei den schweren Paletten nutze ich eine E-Ameise, einen elektronischen Hubwagen, den ich immer auf dem Lkw habe. Wenn ich die Ware beim Kunden abgeladen habe, lade ich im Anschluss Leergut wieder auf, nehme es mit zurück und lade es am Ende meiner Tour wieder ab.
Mir fällt überhaupt nicht mehr auf, wie groß der Lkw eigentlich ist, aber tatsächlich wiegt er voll beladen bis zu 40 Tonnen. Der Sattelzug ist 16,5 Meter lang und 3,75 Meter hoch. Den Führerschein habe ich auf einem Tandem gemacht, der ist noch länger, aber jetzt bei der Arbeit fahre ich einen Sattelzug. Noch merke ich die körperliche Belastung nicht und kann mir vorstellen, meinen Beruf bis zur Rente auszuüben. In meiner Freizeit mache ich als körperlichen Ausgleich Schwimmtraining. Was mir dann noch an Zeit bleibt, gehört dem Haushalt, meinem Freund und seiner Tochter. Wenn wir privat unterwegs sind, fahre meistens ich. Einen schweren Unfall habe ich mit dem Lkw noch nicht gehabt, aber schon zweimal eine Strafe kassiert: Einmal bin ich bei Gelb über eine Kreuzung gefahren. Das andere Mal hatte ich das Handy in der Hand, weil ich meine Musik ändern wollte. Das gab jeweils einen Punkt und eine Geldstrafe. Die Unterstützungseinrichtung GuV-Fakulta für ver.di-Mitglieder hat mir geholfen und mir das meiste zurückerstattet.
Im Sommer haben wir im Groß- und Außenhandel gestreikt, auch bei Edeka, viele vom Lager und die Lkw-Fahrer. Ich bin in der ver.di-Tarifkommission aktiv und denke, es hätte vielleicht mehr für den Entgelttarifvertrag rausspringen können, aber die Seiten waren festgefahren.
Protokoll: Marion Lühring; Foto: Andreas Burmann