Ausgabe 01/2020
Da kräht niemand nach
"Was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette und ein letztes Glas im Steh'n", dichtete Reinhard Mey 1972 für ein Lied, das "Inga und Wolf" auf dem Eurovision Song Contest für Deutschland singen sollten. So weit ist es zwar nicht gekommen, das Lied schied schon im deutschen Vorentscheid aus, und Mey sang es schließlich selbst auf seinem nächsten Album. Wie viele Zigarettenstummel seither aber beim letzten Glas im Stehen mit dem Fuß auf dem Boden ausgetreten wurden, auf einem Weihnachtsmarkt oder dem Oktoberfest, oder auch – was viel häufiger vorkommt – nach dem ersten Kaffee auf dem Weg zur Arbeit, ist nicht bekannt. Jedoch hat die Technische Universität Berlin unlängst herausgefunden, dass in der Hauptstadt 2,7 Kippen auf einem Quadratmeter den Boden pflastern. Und diese ausgetretenen Kippen haben es echt in sich: Allein in einem platten Filter befinden sich über 7.000 Schadstoffe, von denen 50 an der Zahl krebserregend sind. Und auch das noch: Ein einziger Filter kann bis zu 1.000 Liter Wasser verschmutzen. Wie verschmutzt und vergiftet muss da eine Pfütze auf der Straße sein, in der ein einsamer Stummel treibt? Und aus der dann etwa eine Stadt-Krähe trinkt? Soll vorkommen, schließlich wird denen ja nicht jeden Tag frisches Leitungswasser kredenzt. Doch darüber schweigt die Studie. Allerdings hat bereits im vergangenen Jahr eine andere Studie im Fluge die Runde gemacht: Stadt-Krähen haben einen erhöhten Cholesterinspiegel! Nun weiß inzwischen jedes Stadtkind, dass Fast Food auf Dauer ungesund ist. Nur woher soll es die gemeine Stadt-Krähe wissen? Die Vögel sind nicht dumm, lernen schnell, vor allem vom Menschen. Und was der ihnen auf der Straße zum Fraß vorwirft – Burger, Pommes ... – kann doch so schlecht nicht sein. Nur deshalb kreist die Stadt-Krähe schließlich über uns, um unserem vermeintlich ökologischen Fußabtritt zu folgen. Gar nicht auszudenken, was sich die Krähen und ihr Nachwuchs möglicherweise noch so alles abgucken. Das letzte Glas womöglich, den Restalkohol aus umgekippten, an den Straßenrand gestellten Bier- und Schnapsflaschen nippen? Wenn dann in Zukunft nicht nur die Bienen, sondern auch die Stadt-Krähen aussterben, bleibt nur – ganz frei nach Reinhard Mey – zu sagen: "Gute Nacht, Freunde!" Petra Welzel