Das freiwillige Jahr

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Jette ist sich nicht sicher, ob sie nach Costa Rica will. Das geplante freiwillige Jahr verspricht Abenteuer und Abstand von ihrem alleinerziehenden Vater. Überwältigt von Liebeskummer, würde die Abiturientin vielleicht aber doch lieber in der ostwestfälischen Provinz bei ihrem Freund Mario bleiben. Vater Urs, ein niedergelassener Arzt, nimmt auf diese Unentschlossenheit keine Rücksicht und drängt zur Abreise. Mit riesigem Gepäck, gerüstet wie für eine Weltreise, machen sich Vater und Tochter auf den Weg zum Flughafen.

Weil Jette ihre Kamera vergessen hat, kommt es allerdings zu einem ungeplanten Abstecher bei Falk, dem abgewrackten Onkel der 18-Jährigen. Der öffnet nicht, geht auch nicht ans Telefon und durchkreuzt damit alle Pläne. Mit einer geliehenen Bohrmaschine verschafft sich der Hektiker Urs schließlich gewaltsam Zutritt zur Wohnung. Unterdessen fährt der Freund Jette im Auto ihres Vaters zum Terminal, doch in letzter Minute lässt sie den Flug sausen und flüchtet mit Mario ins Blaue. Mit skurriler Situationskomik und einem genauen Blick für die Unzulänglichkeiten ihrer Figuren erzählen Ulrich Köhler und Henner Winkler die Geschichte eines gewollten, aber missglückten Aufbruchs. Mehrfach wagt ihre Heldin den Ausbruch, aber immer wieder hakt es irgendwo.

Ihr übergriffiger Vater bevormundet sie, mit ihrem Freund gerät Jette in Streit. Am liebsten will sie mit Mario nach Venedig ausbüxen, aber das macht der nicht mit. Simplen Schemata verweigert sich der subtile, leise Film gleichwohl. So wenig wie Jette einem gereizten Prototyp ihrer Generation entspricht, genauso wenig erscheint ihr Vater, der sich verständlicherweise nach ihrem Abtauchen um sie sorgt, als ein Unmensch. Alle Figuren sind ambivalent, hadern mit ihren Bedürfnissen, auch wenn es wie bei Urs um eine sichere, bürgerliche Existenz geht, in der keine Überraschungen zu erwarten sind.

Mit kargen Landschaften in einer minimalistischen Inszenierung bedient der Film einen Stil, der "Berliner Schule" genannt wird. Nicht alles wird auserzählt, manche Zusammenhänge erschließen sich nur über vage Andeutungen. In einer besonders bizarren Szene sieht man den sportlichen Läufer Urs abgehetzt zu Fuß am Abflugterminal eintreffen, als Jette gerade kehrtgemacht hat und schon wieder neben ihrem Freund im Auto sitzt. In dieser filmischen Überblendung kulminiert die permanente Rastlosigkeit, in der sich alle befinden. Und die absurde Tragikomik einer wenig spektakulären, aber packenden Geschichte. Kirsten Liese

2019. R: Ulrich Köhler und Henner Winckler. D: Maj-Britt Klenke, Sebastian Rudolph, Thomas Schubert. 86 Min., KinoStart: 6. Februar 20

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Butenland

Ihre Kälbchen wurden ihnen gleich nach der Geburt brutal weggenommen, ihre Körper in Hochleistungsmilchbetrieben geschunden: Alle Kühe auf Hof Butenland haben eine leidvolle Geschichte, können aber dort wenigstens ihren Lebensabend in freier Natur und liebevoller Umgebung genießen. Mit Bildern von großer Zärtlichkeit erzählt der Film die Geschichte eines außergewöhnlichen Orts, an dem die Bedürfnisse von Tieren im Mittelpunkt stehen. Sie nahm ihren Anfang, als Jan Gerdes sich in seiner Rolle des Bauern nicht mehr wohl fühlte, ihm bewusst wurde, dass sich die Haltungsbedingungen für seine Kühe auch in einer Bio-Landwirtschaft kaum verbesserten. Zusammen mit einer Tierschutzaktivistin und fernab wirtschaftlicher Interessen gründete er den Lebenshof Butenland. Kontraproduktive Vorschriften und ein Medizinwesen, das zwar chirurgische Spezialisten für Pferde, nicht aber für "Nutztiere" vorsieht, werfen einen Schatten auf die berührende Vision von einer Welt ohne Tierleid. Kirsten Liese

D 2019. R: M. PIERSCHEL. D: J. GERDES, K. MÜCK, H. SEZGIN. 82 MIN., START: 6.2.2020

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Die perfekte Kandidatin

Die junge saudische Ärztin Maryam liebt ihre Arbeit. Doch immer wieder stößt sie an patriarchale Grenzen. Außerdem ist das Krankenhaus, in dem sie arbeitet, ziemlich heruntergekommen und nur ein schlammiger Weg führt zum Eingang. Das ist gefährlich für Patient*innen und Personal. Wütend versucht Maryam das zu ändern. Die lokalen Politiker freilich winken desinteressiert ab. Nun will sie nur noch raus aus Saudi-Arabien, ihr Glück in Dubai versuchen. Ein Ticket zu einer Ärztekonferenz hat sie bereits. Dort könnte sie Vorstellungsgespräche führen. Aber ohne Visum und männliche Begleitung darf sie nicht reisen. Doch dann hat sie durch Zufall die Chance, bei der Lokalwahl anzutreten. Sie beginnt die Sache ernst zu nehmen, und wird zur ersten weiblichen Kandidatin in ihrer Stadt – ein Skandal. Denn damit leistet sie öffentlich Widerstand gegen die frauenfeindlichen Traditionen. Während sie mit ihrer Schwester ihre Wahlkampagne organisiert, tritt ihr Vater, ein Musiker, im Zuge des kulturpolitischen Tauwetters mit seiner Band eine Tournee an. Mit ihr zeigt er die reiche Kultur Saudi-Arabiens, die unter dem strengen Regime fast verloren gegangen wäre. Der engagierten Regisseurin Haifaa Al Mansour gelingt ein sensibles und humorvolles Porträt einer kämpferischen Frau, die trotz Widrigkeiten ihren Weg geht. Ihr ganzes Drama ist getragen von den Hoffnungen einer saudi-arabischen Mittelschicht auf Liberalität.

Luitgard Koch

D, Saudi-Arabien 2019. R: Haifaa Al-Mansour. D: Mila Al Zahrani, Nora Al Awadh, Dae Al Hilali, Khalid Abdulraheem, Dhay, Shafi Al Harthy. 101 Min., Kinostart: 12. März 2020