Ausgabe 02/2020
Musik
Mia.: Limbo
Die Berliner Band "Mia." um Frontfrau Mieze Katz brachte in den frühen Nullerjahren den feierseligen Arm-aber-sexy-Zeitgeist der Hauptstadt auf einen sehr rhythmischen, poppigen Punkt. Nun, nach zuletzt eher stillen Jahren, versucht das Quartett mit Limbo an die alten Erfolge anzuknüpfen. Und beantwortet gleich im gewohnt aufgekratzten Titelsong eine rhetorische, aber trotzdem programmatische Frage: "Warum, warum? Weil ich es kann!" Diesem Schlachtruf des Hedonismus folgen ein Hohelied auf den Eskapismus ("Ich klinke mich aus"), ein Lob auf den ewigen Neuanfang ("Kopfüber") und allerhand frisch verliebte Hochgefühle. Im Verbund klingt das alles aufgeräumt, sehr eingängig, aber halt auch wie ein trotziges Beharren auf einer vergangenen Ära, als noch selbstvergessener Partyspaß die Jugend umtrieb und nicht der Klimawandel. Wäre da nicht der Song Richtig im Falschen, der dieser sogenannten "Generation Me", der auch Mia. entstammen, einen "geübten Tunnelblick" attestiert. Eine Selbstanklage in der Wir-Form, eine an Fridays for Future, an FFF gerichtete Entschuldigung, die in einer bösen Diagnose gipfelt: "Alles richtig im Falschen, keine Fragen, die bleiben. Wir ignorieren die Zeichen, wir verschwinden im Leichtsinn." Und wieder bringen also Mia. das Gefühl einer Generation auf den Punkt, auch wenn es zerrissen ist in einem kaum zu überbrückenden Widerspruch. Thomas Winkler
Four Music/Sony
Reinhard Mey: Das Haus an der Ampel
In den Neunzigerjahren hatte Reinhard Mey einen strengen Rhythmus: Ein Jahr ging er auf Tournee, im nächsten gab es ein neues Album. Seit Mitte der Nullerjahre ist der Zyklus nun auf drei Jahre angewachsen, aber immer noch ist der 77-Jährige ein fleißiger Mann. Sein sage und schreibe 28. Studioalbum Das Haus an der Ampel versammelt 15 neue Lieder in typischer Mey-Manier. Sanft tröpfelnde Balladen, die zwischen wohliger Melancholie und kontrolliertem Optimismus changieren, während Mey mit seiner immer noch erstaunlich jugendlichen, milden Stimme die kleinsten Sensationen des Alltags besingt. Diesmal beobachtet er Menschen beim Eisessen, sitzt allein im sonnigen Stadtpark und besucht seine lange verstorbenen Eltern. "Und ich?", fragt er sie. Und antwortet: "Nun ich mach immer noch diese Lieder." Das ist doch, angesichts der Tatsache, dass sich Weggefährten wie Hannes Wader nun endgültig von der Bühne verabschieden, sehr schön. Trotz aller Verlässlichkeit wartet dieses Album aber mit einer Neuerung auf: Alle Songs wurden in zwei Versionen aufgenommen, einmal üppig mit Band, einmal als reduzierte Skizzen nur mit Stimme und Akustikgitarre. Und parallel erscheint noch ein dickes Buch mit Bildern aus Meys Privatarchiv. Der alte Mann lässt es noch mal krachen.
Thomas Winkler
Odeon/Universal
Amsterdam Klezmer Band: Fortuna
Als in den 1980er Jahren junge US- amerikanische Juden die osteuropäische Musik ihrer Großväter wiederentdecken, gelangte der Schtetl-Sound auch wieder ins alte Europa. 1996 ist die Amsterdam Klezmer Band als Straßen-Combo gestartet. Längst erreicht sie mit ihrem vitalen Mix aus Klezmer, osteuropäischer Musik und Balkan-Grooves eine internationale Fangemeinde. Das mit vier Bläsern plus Rhythmusgruppe besetzte Septett aus Holland schafft es, Historie und Zukunft miteinander zu verbinden und hat seinen weltläufigen Klezmer-Sound schon in mehr als dreißig Ländern auf die Bühne gebracht, darunter Mexiko und Südkorea. Wie selbstverständlich beherrschen die improvisa- tionsfreudigen Amsterdamer die typischen ungeraden Taktarten Südosteuropas, integrieren aber auch Elemente aus Funk und Hip-Hop. Schließlich gehört es schon immer zur Klezmer-Tradition, sich musikalisches Neuland einzuverleiben. Das ist nicht nur musikalisch prickelnd, sondern zugleich auch ein Statement für Freiheit und Toleranz.
Peter Rixen
CD, Vetnasj Records