Je mehr Mitglieder, desto stärker und durchsetzungsfähiger sind Gewerkschaften. Bei der Mitgliedergewinnung geht ver.di unterschiedliche Wege: die Ansprache auf der Straße, der Online-Eintritt oder auch das Werben in der Tarifauseinandersetzung. Im ver.di-Bezirk Frankfurt am Main und Region setzt Geschäftsführerin Rosi Haus auf Mitglieder, die andere werben. Für sie wurde kürzlich sogar erstmals ein Neujahrsempfang ausgerichtet.

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Rosi Haus von ver.di FrankfurtFoto: Peter Jülich

ver.di Publik: Wieso ein Empfang?

Rosi Haus: Wir haben uns genau angesehen, wer viele Mitglieder wirbt. Es fiel auf, dass insbesondere neue Mitglieder viel werben. Irgendwann hören sie aber damit auf. Wir fragten sie warum, und sie erzählten, sie seien enttäuscht, dass sie so wenig Wertschätzung erführen. Sie hatten das Gefühl, niemand bekomme mit, dass sie Mitglieder werben. Das konnten wir so nicht stehenlassen, denn sie waren wirklich erfolgreich. Wir haben im Bezirk 900 bis 1.000 Menschen, die pro Jahr bis zu 4.000 Mitglieder werben. Also haben wir überlegt: Was können wir tun, wie können wir sie unterstützen und uns bedanken. Deshalb veranstalteten wir den Neujahrsempfang. Und der war ein voller Erfolg. Es waren 120 Leute da, Werber*innen und Vertrauensleute. Der Saal war voll. Wir hatten ein umfangreiches Programm für sie vorbereitet und eine Tombola. Alle, die mehr als fünf Mitglieder geworben hatten, waren mit einem Los im Pot. Es wurden 13 Reisen verlost oder der finanzielle Gegenwert für eine betriebliche Aktion. Das kam unglaublich gut an. Die Stimmung war super.

ver.di Publik: Und dann gab es für jeden auch noch ein persönliches gewerkschaftliches Geschenk.

Rosi Haus: Ja, es gab für jeden, der kam, eine große rote ver.di-Tasche, die war gepackt mit Dingen für den Schreibtisch, einer Tasse, einem Kuli, mit der ver.di-Kampfente, Informationsmaterial, Vertrauensleute-Programm, mit einem Block, so dass jeder von ihnen jetzt richtig gut ausgestattet ist für die Arbeit als Gewerkschafter oder Gewerkschafterin im Betrieb.

ver.di Publik: Der Empfang war ja sozusagen der Höhepunkt. Ihr habt die Werber*innen auch schon vor dem Empfang stärker systematisch betreut.

Rosi Haus: Wir hatten gesehen, dass es nicht automatisch die ehrenamtlichen Funktionäre aus den Gremien sind, die besonders viel werben, sondern vor allem neue Mitglieder. Sie erfahren offenbar plötzlich ganz nah, was ihre Organisation für sie macht, und dann schwärmen sie in Betrieben davon und werben dadurch. So werden sie zum Gesicht von ver.di im Betrieb. Seitdem das für uns klarer ist, laden wir die Spitzenwerber*innen auch zu den Jahresabschlüssen des Bezirksvorstands ein, damit sich alle gegenseitig kennenlernen. In diesem Jahr haben wir auch ein Vortragsprogramm für Werber*innen und Vertrauensleute aufgelegt, um ihnen fachliche Unterstützung zu geben.

ver.di Publik: 4.000 neue Mitglieder pro Jahr, das klingt viel. Der Bezirk Frankfurt hat ungefähr 60.000 Mitglieder und ist damit einer der größten der Republik. Kann man sich auf der Zahl nicht auch mal ein bisschen ausruhen?

Rosi Haus: Keineswegs. Ähnlich wie die Kirche hat ver.di eine deutliche Mitgliederfluktuation. Sie treten ein und treten auch wieder aus. Das Modell von früher, bei Ausbildungsbeginn eintreten und dann bis zum Tod Mitglied bleiben, hat ausgedient. Wir haben diese Mitglieder zwar auch noch, aber heutzutage sind 35 Prozent aller neu eingetretenen Mitglieder in unserem Bezirk nach zwei Jahren wieder weg. Die anderen bleiben dann auch nicht ewig, sie gehen ebenfalls, aber nicht so schnell.

ver.di Publik: Was für Gründe hat das?

Rosi Haus: Wir sind im Ballungsraum, der ist schnelllebig, es gibt viele Wechsel in Betrieben, in den Arbeitsverhältnissen. Besonders die Jüngeren treten ein, treten aus und kommen wieder. Das sind auch keine verärgerten Austritte, sondern die treten aus, weil sie sagen, momentan brauche ich es nicht so. Mit dieser Situation müssen wir arbeiten. Als Bezirk brauchen wir mindestens etwa 4.000 neue Mitglieder pro Jahr, um die Balance zu halten. Und das schaffen wir auch.