ver.di publik – Du bist seit vielen Jahren selbstständig tätig. Wie geht es dir in der aktuellen Situation?

Petra Ottkowski – Für Selbstständige sind es herausfordernde Zeiten, weil unerwartet ein Großteil des bisherigen Einkommens wegfällt. Nach dem ersten Schock bin ich jetzt in der Phase der ­Akzeptanz und versuche, Chancen wahrzunehmen und Ideen umzusetzen. Am wichtigsten finde ich, dass wir bisher gesund geblieben sind.

ver.di publik – Gibt es einen Unterschied zur Situation vor der Corona-Krise?

Petra Ottkowski – Es erwarten mich aktuell viele spannende, aber auch arbeitsintensive, neue Aufgaben, wie das Schaffen von ansprechenden Online-­Angeboten. Gleichzeitig bereite ich eine große Doppelausstellung meiner künstlerischen Arbeiten im Ausland vor.

ver.di publik – Oftmals wird die mangelnde gesellschaftliche und politische Wertschätzung der Arbeit von Selbstständigen kritisiert. Woran liegt das?

Petra Ottkowski – Der Anteil von freiberuflichen, akademischen Lehrkräften an vielen Lehrinstitutionen wie Berufsschulen und Universitäten beträgt oft 40 bis 50 Prozent. Das ist auch nicht anders umsetzbar, wenn man eine lebendige, facettenreiche Lehre mit großem Praxisbezug wünscht. Viele hochqualifizierte Expert*innen leisten engagiert ihren Beitrag. In Musik- und Volkshochschulen gibt es kaum festangestellte ­Dozent*innen.

Natürlich ist es wichtig, in Corona­zeiten zu allererst an die Gesundheit zu denken und auf Präsenzunterricht zu ­verzichten. Ersatzloses Streichen aller Honorare vor allem im VHS-Bereich kann allerdings nicht die Lösung sein, und es müssten zeitnah Bundesmittel unbürokratisch zur Verfügung gestellt werden. Freiberufliche Dozent*innen helfen Menschen, einen Berufsabschluss oder einen Bachelor zu erreichen. Sie leisten wichtige gesellschaftliche Arbeit im Bildungsbereich und fördern das lebenslange ­Lernen.

Es gibt eine große Schieflage, dass ausgerechnet dieser Berufsstand benachteiligt wird, weil nicht nur alle Risiken – Krankheit, Berufsverbot wegen Corona, Unterrichtsausfall –, sondern auch die ­Sozialbeiträge – Renten- und Krankenversicherung – privatisiert worden sind. Von Urlaubs- und Weihnachtsgeld erst gar nicht zu reden.

Ein weiterer Aspekt ist die Umsetzung der digitalen Wende im Bildungsbereich. Hier fehlt es an finanzieller Förderung der Dozent*innen, die konkret die Lerninhalte in Onlineformate umsetzen.

ver.di publik – Wie sieht so etwas in der Praxis aus?

Petra Ottkowski – Die scheinbaren „Corona-Ferien“ sind bei vielen Lehrkräften ein Trugschluss. Dozent*innen bilden sich auf eigene Kosten weiter und eignen sich die Grundlagen etwa von Videoschnitttechnik und Vertonung an, um die eigenen Seminare zu digitalisieren. Auch Datenschutz ist ein großes, zeit­intensives Thema. Das wäre noch hinnehmbar, wenn man eine Zusage erhielte, dass all die aufwändig erarbeiteten Lehrinhalte auch in Zukunft eingesetzt werden können.

Im VHS-Bereich gibt es die Auseinandersetzung mit komplexer Webinar­technik, dem Lernportal vhs Cloud, ­Digitalisierung der Lehrinhalte und Forensoftware. Problematisch wird das Ganze, wenn nicht mindestens acht Teilnehmer*innen den Kurs kaufen – dann war die komplette Arbeit im wahrsten Sinne des Wortes umsonst.

ver.di publik – Lehrkräfte sind ein Beispiel – aber sicher nicht das Einzige?

Petra Ottkowski – Freiberufliche ­Musiker*innen, Schauspieler*innen, Autor*innen, Journalist*innen und Künstler*innen, um nur ein paar Beispiele zu nennen, sind unverzichtbare, wichtige Akteur*innen und Vorreiter*innen im gesellschaftlichen und kulturellen Bereich. Es sind oft sehr gut ausgebildete Leute, Hochschulabsolvent*innen, teilweise mit folgendem Aufbaustudium, was einer Promotion gleichkommt.

Hauptsächlich sind Künstler*innen eine Berufsgruppe, von der andere nicht nur ideell profitieren, sondern vor allem auch monetär, sei es durch die Vermietung von Gewerberäumen oder Dienstleistungen wie Agenturen, Rahmenbau, Spediteure, Fachgeschäfte. Kunst, Kreativwirtschaft und Clubszene sind besonders auf kommunaler Ebene Hauptsäulen der Wirtschaft, touristischer Magnet und Aushängeschild einer lebendigen Stadt. Kreative brauchen verbindliche Honorare, Ersatzhonorare für ausgefallene Veranstaltungen, Stipendien unabhängig von Gender, Colour und Alter, Verbesserungen im Urheberrecht und eine Mietpreisdeckelung für Gewerberäume.

ver.di publik – Was wäre dein Wunsch?

Petra Ottkowski – Freiberufliche Dozent*innen sind ein existenzieller, unverzichtbarer Baustein der schulischen und akademischen Lehre und sollten als solche eine viel größere gesellschaftliche und auch finanzielle Wertschätzung erhalten. Es ist an der Zeit für all die eigentlich selbstverständlichen, leider schon zu lange „aufgeschobenen“ Dinge: Ersatzhonorare, Urlaubsgelder, Honorarfortzahlung im Krankheitsfall und während der Schul- und Semesterferien – das wären die ersten Ansätze zu einer spürbaren Verbesserung. Mehrwertsteuer in Höhe von 19 Prozent sollte in VHS-Honoraren nicht mehr inkludiert sein. Der Freibetrag sollte deutlich erhöht ­werden. In Corona-Zeiten ist es existenziell notwendig, dass die Soforthilfeprogramme umgehend besser an die spezifische Lebenssituation von Kunst- und Kulturschaffenden, Dozent*innen und Solo-Selbstständigen angepasst werden.

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Petra OttkowskiFoto: privat

Petra Ottkowski,

Jahrgang 1967, studierte an der Fachhochschule für Design in Münster sowie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Sie ist freiberufliche Künstlerin und Grafikerin, gestaltet zum Beispiel Bilderbücher für Menschen mit Demenz. Zudem arbeitet sie auf Honorarbasis als Dozentin in der Erwachsenenbildung, als Berufsschullehrerin und Lehrbeauftragte für eine Hochschule. In der Freizeit kultiviert sie in ihrem Biogarten seltenes Beerenobst und macht viel für Schmetterlinge und Wildbienen.