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Klaus Doldinger’s Passport 2400: Motherhood

Jeden Sonntagabend zur allerbesten Sendezeit hat Klaus Doldinger wieder seinen großen Auftritt. Die Titelmelodie des "Tatort" ist vielleicht nicht der musikalisch anspruchsvollste Teil seines Vermächtnisses, aber sicherlich sein bekanntestes. Das flotte Thema mit dem treibenden Groove hat sich fest eingebrannt ins Unterbewusstsein der Nation.

Dass es eine Erkennungsmelodie aus dem Fernsehen ist, die den Jazzmusiker, wie man sagt, unsterblich gemacht hat, ist ein wenig ungerecht. Schließlich hat der 1936 in Berlin geborene Doldinger mehr als 2.000 Kompositionen geschaffen, weit über 4.000 Konzerte gespielt und jede verfügbare Ehrung vom Grimme-Preis über den Bayerischen Fernsehpreis bis zur Goldenen Kamera im Regal stehen.

Aber die Tätigkeit für Film und Fernsehen überstrahlt bis heute die durchaus historische Leistung des Bandleaders und Saxofonisten. Neben den extrem populären Soundtrack-Arbeiten für Das Boot oder Liebling Kreuzberg hat er nun sechs Jahrzehnte lang mit seinen verschiedenen Formationen den Jazz in diesem Land hoch gehalten – auch in den nicht eben seltenen Zeiten, als der gerade nicht mehr angesagt war, spielten sich das Klaus Doldinger Quartett oder Klaus Doldinger's Passport stoisch und unbeirrt durch nahezu alle Spielarten des Genres. Der Jazz, er war sein Lebenswerk, für das er folgerichtig bereits den Echo und den Deutschen Musikautorenpreis bekommen hat.

Dabei hat sich Doldinger selten als Innovator hervorgetan, aber stets als versierter Sachwalter reüssiert. Wie geschickt der Musiker, der lange schon in der Nähe von München lebt, den jeweiligen Zeitgeist adaptierte, ohne die klassischen Formen in Frage zu stellen, weist er auch mit seiner neuesten Veröffentlichung nach.

Sein aktuelles Album Motherhood bezieht sich im Titel auf zwei Alben von 1969 und 1970, als seine Band unter dem Namen Doldinger's Motherhood firmierte. Zu dieser Zeit hatte Doldinger eigentlich eher frei improvisierten Modern Jazz spielen lassen, wagte dann aber einen Ausflug ins Tanzbare. Er spielte echte Songs in Funk und Soul – und stieß sogar bis in die Rockmusik vor. Das war mutig, ja im eifersüchtig bewachten Elfenbeinturm, in den sich die deutsche Jazzszene damals eingemauert hatte, fast eine kleine Revolution.

Diesen Moment, den einzigen womöglich, wo er einmal über die Stränge schlug, lässt Doldinger nun wieder aufleben. Er hat die alten Titel noch einmal neu einspielen lassen, sich junge Vokalisten wie Max Mutzke dazu geholt, aber auch einen gewissen Udo Lindenberg. Der singt auf einem der Stücke – und schließt einen Kreis. Denn einst trommelte Udo für Doldinger – unter anderem zur Tatort-Melodie. Thomas Winkler

CD, Warner

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Jazz Stream: Richard Galliano Trio featuring Gary Burton Leverkusener Jazztage 2007

Auf dem einstigen Hassobjekt Akkordeon hat Richard Galliano eine ungemein facettenreiche Musik entwickelt und den Stellenwert des Instruments neu definiert. Auch als Gast für Chanson-Legende Charles Aznavour und die Gipsy Kings. Vor allem aus der französischen Akkordeontradition mit ihren Wurzeln im Musette-Walzer sowie aus Tango, Chanson und Weltmusik hat der Südfranzose geschöpft. In Gary Burton hat Galliano einen idealen Partner, denn auch der Vibraphonist hat die Möglichkeiten seines Instruments seit den 60ern grundlegend erweitert. Tangos, unter anderem von Astor Piazzolla, Walzer und sogar eine Sinfonia von Bach spielt das Quartett mit Leidenschaft, Eleganz, und bisweilen einer scheinbaren Beiläufigkeit, die über die Top-Qualität der hochkonzentrierten Musiker hinwegtäuschen kann. Die Zugabe mit der Melodie aus dem Film "Il Pos-tino", lässt einen mit einer großen Sehnsucht nach einem besseren, idealen Leben zurück. Das alles in einer 3sat-Pro- duktion aus dem Jahr 2007, deren Bildregie bestens die hochkarätige Interaktion des Quartetts vermittelt. Peter Rixen

www.youtube.com/ watch?v=vAw-LV3BRl0

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Golden Diskó Ship: Araceae

Man könnte sagen, Theresa Stroetges ist Musikerin, Sängerin und Multiinstrumentalistin. Man könnte aber auch sehr viel treffender sagen: Sie ist Klangforscherin. Denn auch wenn die Songs, die die 38-Jährige als Golden Diskó Ship veröffentlicht, an vertraute Muster anknüpfen, fallen sie doch stets aus den bekannten Rahmen. Und der Grund dafür ist, dass es der Ber-linerin, die auch in den Formationen Soft Grid und Ephiphany Now! aktiv ist, immer wieder gelingt, neue Sounds zu finden und altbekannte in frische Zusammenhänge zu rücken. Auch auf ihrem aktuellen Album Araceae fühlt man sich schnell zu Hause, erkennt Folk-Melodien, nickt im bekannten Techno-Rhythmus, wartet auf den Refrain des Pop-Hits oder findet sich auf dem Tanzboden einer Diskothek der 80er-Jahre wieder. Aber bevor es sich der Hörer in einem der sechs langen, quer durch die Musikgeschichte mäandernden Tracks allzu gemütlich einrichten kann, zischen Störgeräusche durchs gewohnte Ambiente, irritieren leichte Atonalitäten familiäre Klänge, schillert Unerhörtes – und manchmal hebt der ganze Song einfach ab in den Weltraum. Wer sich traut und mitfliegt, der kann dort oben neue, aufregende Klanglandschaften entdecken. Thomas Winkler

CD, Karaoke Kalk/Morr Music/Indigo