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Musiker demonstrierten am 4. Juni mit Freischaffenden, Selbstständigen aus den unterschiedlichsten Branchen und mit ver.di vor dem Landeswirtschaftsministerium in DüsseldorfFoto: Angelika Osthues

Dieter Weberpals hat "eher zehn Standbeine als eines". Einen offenen Brief an den bayerischen Ministerpräsidenten hat er kürzlich mit "Musiker, Komponist, Autor, Musikpädagoge" unterschrieben. Das sagt nur unvollständig, was er alles kann und womit er sein Geld verdient. Dieter ist seit 45 Jahren freischaffend. Ein "begnadeter Flötist", wissen Freunde. Weberpals hat am Konservatorium in Nürnberg Querflöte studiert. Doch schon immer reizten ihn auch der Jazz, südamerikanische Rhythmen und asiatische Klänge. "Ein musikalischer Grenzgänger", sagt Weberpals über sich. In der Formation "Agile" spielt er mit afrikanischen und europäischen Kollegen genauso wie mit einem Flamenco-Trio oder einem chinesischen Flötisten. Bei Konzerten und auf CDs. In letzter Zeit gibt er immer mehr Unterricht an Djembe-Trommeln. Bisher war er flexibel und hat "alle Dellen im Beruf gut überstanden". Auch für 2020 war er gut gebucht. Im März rasselten die Absagen herein, auch Einzelunterricht war nun nicht mehr erlaubt.

Gefangen im Auftrittsverbot

Es traf ihn wie andere Solo-Selbstständige in diesem Land. 2,3 Millionen zählt das Statistische Bundesamt: Ob Tänzerin, Sänger, Schriftstellerin, Physiotherapeut, Yoga-Lehrerin, Fotojournalist, Schauspielerin, Volkshochschul-Dozent, Artistin, Kabarettist, Kosmetikerin, Regisseur, Übersetzerin, Messebauer – alle eint die spezielle wirtschaftliche Situation: Sie arbeiten mit eigenem Handwerkszeug für unterschiedliche Auftraggeber, müssen sich sozial selbst absichern; sie führen ihr Büro im Wohnzimmer und müssen kreativ und flexibel bleiben. Dass es sie gibt und dass auch sie in der Krise Hilfe benötigen, das machte ver.di der Politik sofort nach dem Corona-Shutdown klar. Auch, dass sie bei Auftragsmangel kein Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld über Wasser halten würde. Einzelne Bundesländer legten zügig Soforthilfen auf, andere taten nichts. Die Anfang April vom Bund bereitgestellten 50-Milliarden-Euro- "Soforthilfe für Solo-Selbstständige und Kleinstbetriebe" greift vielfach nicht. ver.di fordert deshalb seit Wochen ein "passgenaues Hilfspaket".

Das braucht jemand wie Dieter Weberpals. Zunächst bekam er bayerische Soforthilfe, mit 1.500 Euro hatte er seinen Liquiditätsengpass für März und April berechnet. Doch war das berechtigt? Auch anderswo bekamen Soforthilfeempfänger*innen wenig später verunsichernde Post. Zuschüsse seien nur zur "Sicherung ihrer beruflichen bzw. betrieblichen Existenz" zu verwenden, werden sie ermahnt, sonst gelte Rückzahlung. Und wovon leben? Davon war schon bei den Bundeshilfen keine Rede mehr. Bis zu 9.000 Euro konnten beantragt werden, die ausschließlich für laufende Betriebskosten verwendet werden durften.

Zur Überbrückung empfahl Kulturstaatsministerin Monika Grütters, CDU, den Künstler*innen in Not die vereinfachte Beantragung von Grundsicherung zu ermöglichen. Tatsächlich war schon Ende März mit einem "Sozialschutzpaket" ein erleichterter Zugang zu Arbeitslosengeld II geschaffen worden. Zunächst für sechs Monate. Das "in Grundsicherung umzubenennen", empfindet Weberpals als Zumutung. Trotzdem füllte er Mitte April den fünfseitigen Antrag aus. Zurück kam ein dicker Umschlag mit weiteren Formularen. Von der Eheurkunde über die Meldebestätigung bis zu lückenlosen Kontoauszügen und einer betriebswirtschaftlichen Auswertung der letzten sechs Monate wurden zusätzliche Belege verlangt. Von wegen Vereinfachung. Da er hoffte, demnächst wieder mehr zu verdienen, was dann gegengerechnet würde, schob er den Antrag resigniert beiseite. Freunde halfen aus und treue Musikschüler, die weiterzahlten, obwohl der Unterricht ausfiel.

Was mir zusteht

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Dieter WeberpalsFoto: Rainer Rabus

Für "ein Märchen" hält auch der Berliner Jens Braun* die vereinfachte Beantragung von ALG II. Der diplomierte Fitnesskaufmann arbeitet als Trainer und Therapeut in mehreren Fitnessstudios und einer Reha-Einrichtung. Weil er schnell war, bekam er die vorbildliche hauptstädtische Soforthilfe und später noch 2.500 Euro aus der Bundesförderung für seine Berufshaftpflichtversicherung und laufende Betriebsmittel. Ein Zubrot schafften Videos mit Übungseinheiten, die er während der Zwangspause aufgenommen und online gestellt hat. "Für Essen, Trinken und Benzin" reichte das bisher. "Ich bin nicht arbeitslos, sondern auftragslos wegen Corona", hat er schon Anfang April klargemacht, als er Grundsicherung beantragte. "Das Jobcenter weiß inzwischen alles von mir", sagt er. Über 40 Seiten Formulare hat er ausgefüllt, Belege kopiert und Mitgliedsnachweise eingereicht. "Ich will nur, was mir zusteht." Obwohl Kurse nun mit strengen Auflagen wieder starten, fehlt dem Mittdreißiger inzwischen Geld für Wohnungsmiete und Krankenkasse. Auf einen Bescheid wartet er noch immer. Um 58.000 ist laut Bundesagentur für Arbeit die Zahl von Selbstständigen angestiegen, die seit März bundesweit Grundsicherung bei den Jobcentern beantragt haben.

Dieter Weberpals wurde sofort hellhörig, als Ministerpräsident Markus Söder, CSU, Ende April vollmundig eine spezielle bayerische Künstlerhilfe ankündigte – für bis zu drei Monate je bis zu 1.000 Euro. Allerdings nur für Mitglieder der Künstlersozialkasse. Für ihn ein Unding. Eine "angemessene Behandlung, bei der wir als Berufsgruppe der Solo-Selbstständigen und Freiberufler im Kultursektor nicht auseinander dividiert werden", fordert er darauf mit weiteren 20 Erstunterzeichnern in einem Offenen Brief.

Staatliche Unterstützung müsse für alle gelten. Doch regelrecht "veräppelt" fühlte sich nicht nur Weberpals, als die Formulare schließlich online standen: Wer die Frage, ob sie oder er bereits einmal Hilfen beantragt hat, mit Ja beantwortete, flog erbarmungslos raus.

Auch die Hoffnung, der bundesweite "Konjunkturpaket-Wumms" bringe Solo-Selbstständigen endlich bessere Hilfen, wurde enttäuscht. In einem Programm zum "Neustart Kultur" wird der Kultur- und Kreativwirtschaft zwar rund eine Milliarde Euro zugedacht. Doch gerade mal zwei Punkte, die Betroffenen direkt helfen könnten, macht Veronika Mirschel vom ver.di-Referat Selbstständige aus: Branchenübergreifende Überbrückung, die es zwischen Juni und August geben soll, und eine Verlängerung des vereinfachten Zugangs zur Grundsicherung bis zum 30. September.

"Eine Kompensation der Corona-bedingten Ausfälle für den Lebensunterhalt, das sogenannte Unternehmer*innen-Einkommen, fehlt weiterhin. Damit sind Solo-Selbstständige die einzigen Erwerbstätigen, die allein auf die Grundsicherung verwiesen werden", kritisiert sie. Von einzelnen Bundesländern in den letzten Wochen aufgelegte Hilfs- und Stipendienprogramme seien streng limitiert und allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein. "Wir werden der Politik klarmachen müssen", sagt Mirschel, "dass es auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt schädlich ist, wenn Solo-Selbstständige systematisch benachteiligt werden."

Am 4. Juni gab es in Düsseldorf eine gemeinsame ver.di-Aktion von Selbstständigen und Freien verschiedener Branchen vor dem Landeswirtschaftsministerium: "Mein Betrieb bin ich." Und auch Dieter Weberpals ist längst aktiv: Ein großer Sattelschlepper-Korso mit Lasershow Ende Juni in München ist sein Ziel. Es soll der Regierung zeigen, dass Solo-Selbstständige sich nicht mit den Löchern in den Rettungsschirmen der Großen zufrieden geben. "Jede Sparte auf einem eigenen Wagen", plant der Musiker. Netzwerker ist er nämlich auch.

* Name von der Redaktion geändert

"Damit sind Solo-Selbstständige die einzigen, die allein auf die Grundsicherung verwiesen werden."

Veronika Mirschel, ver.di-Referat Selbstständige

Mehr erfahren:

Das ver.di-Referat Selbstständige hat einen tagesaktuellen Corona-Infopool eingerichtet unter:

Ganz aktuell steht auch eine Broschüre "Grundsicherung in Corona-Zeiten. Rettungsanker für Solo-Selbstständige?" zum Download bereit:

Dieter Weberpals: