John Heartfield: Krieg und Leichen - Die letzte Hoffnung der Reichen
Krieg und Leichen - Die letzte Hoffnung der Reichen, Fotomontage von John Heartfield für die AIZ, 1932The Heartfield Community of Heirs / VG Bild-Kunst, Bonn

Fotografie plus Dynamit

Ein schwarzer junger Mann in Jackett, mit Hemd und Halstuch, streckt seine rechte geballte Faust aus. Der Mund weit aufgerissen, im Blick Wut und Trauer zugleich. Dieser Tage ist John Heartfields unvollendete Collage von 1928 in der Berliner Akademie der Künste am Pariser Platz unweigerlich ein Hingucker. Draußen vor der benachbarten Botschaft der USA demonstrieren nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd durch Polizisten immer wieder Menschen gegen den anhaltenden Rassismus. Aktuelle Bilder zeigen Menschen, die sich nur durch ihre Kleidung von Heartfields jungem Mann unterscheiden. "Schwarze Tiere" war 1928 ein gängiger Begriff für die schwarze Bevölkerung Amerikas. Selbst mancher Hund wird besser behandelt – genau so fühlen sich farbige Menschen – seit Jahrhunderten.

Es ist nicht bekannt, was Heartfield mit dem aus einem Foto ausgeschnittenen und auf ein großes DIN-A2-Blatt geklebten wütenden jungen Mann gestalten wollte. Zerschneiden und zusammensetzen war die Technik, mit der der Künstler seit 1917, seit Gründung des Malik-Verlags mit seinem Bruder Wieland Herzfelde, Buchcover und Buchinhalte gestaltete. Als Mitglied der Berliner Dadaisten-Bewegung wurde er der "Monteurdada" genannt, bis heute gilt er als Erfinder der politischen Fotomontage. Und seine Montagen haben es auch bis heute in sich, nicht umsonst trägt die aktuelle Ausstellung den Titel "Fotografie plus Dynamit". Seine Werke in geballter Fülle gerade jetzt auszustellen, ist sicher auch den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen weltweit geschuldet. Für die Wahrheit einen Ausdruck finden, Tatsachen berichten und "in die Lüge eine Bresche schlagen", so hat Heartfield 1967 selbst den Sinn seiner Montagen beschrieben. In Zeiten zunehmend gefälschter Nachrichten scheinen sie wichtiger denn je. Unvergessen: seine Montage "Alle Fäuste zu einer geballt: Zeigt dem Faschismus eure Gewalt!" von 1934, die zuerst in der Arbeiter-Illustrierten- Zeitung erschienen war. Für die Arbeiterzeitung gestaltete Heartfield noch im Prager Exil. Wehret den Anfängen – das war immer sein Antrieb. Und stets hat er damit Sprengstoff gegen Kriegstreiber und Faschisten geliefert. Sein Enkel Bob Sondermeijer sagt über den berühmten Großvater: "Wenn es um Gerechtigkeit ging, schnellte er hoch wie eine Springfeder." Man sieht's, selbst in der unvollendeten Collage mit dem wütenden jungen Schwarzen. Petra Welzel

AKADEMIE DER KÜNSTE, PARISER PLATZ, BIS 23. AUGUST, DI–SO 11–19 UHR, TICKETS MÖGLICHST ONLINE BUCHEN UNTER WWW.ADK.de

Trauern. Von Verlust und Veränderung

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Es gibt Bilder, die bleiben in Erinnerung. Sie sind Zeitzeugen. Zu den jüngsten unter ihnen zählen die von den Militärfahrzeugen, die im nächtlichen Bergamo hunderte von Corona-Opfern abtransportieren. Wegen der im März verhängten Ausgangssperre in Italien konnten Familien ihren Angehörigen nur vom Fenster aus das letzte Geleit geben. Auch die Kunst beschäftigt sich oft mit der Trauer. So verbindet die 2014 verstorbene Künstlerin Maria Lassnig in beeindruckenden Bildern den persönlichen Verlust ihrer Mutter. Insgesamt rund 30 internationale Künstler*innen der Gegenwart zeigen in der Hamburger Kunsthalle ihre Trauer. In Gemälden, Skulpturen, Fotografien, Videos, Installationen finden sie alle ganz unterschiedliche Mittel, um das schwer Darstellbare darzustellen. Von der klassischen Pietà, die auf den toten Christus im Schoß seiner Mutter zurückgeht, der alten Tradition des Wehklagens, die in einer Installation von Susan Philipsz auflebt, bis zu großformatigen tränenden Augen, mit denen Anne Collier das Klischee der schönen, jungen und weinenden Frau in Comics hinterfragt, gibt die Ausstellung Einblick in die Vielfalt des Trauerns – bis hin zur Unfähigkeit des Trauerns. Sehr berührend. Petra Welzel

GLOCKENGIESSERWALL 5, HAMBURG, BIS 2. AUGUST, DI–SO 10–18, DO BIS 21 UHR

Radio-Aktivität

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"Man hatte plötzlich die Möglichkeit, allen alles zu sagen, aber man hatte, wenn man es sich überlegte, nichts zu sagen", sagte Bertolt Brecht 1932 über den Zustand des neuen Mediums Radio. Der Dramaturg bedauerte die Leere des Radios: nur Wiener Walzer, Kochrezepte und nette Geschichten. Brecht wollte mehr. Es sollte nicht nur Zuhörer*innen geben, sie sollten selbst Radio machen, sprechen, produzieren, Debatten anstoßen. Den "Aufstand der Hörer", den Brecht sich wünschte, betrachtet die Ausstellung anhand politischer und künstlerischer Kollektive der 1920/30er und der 1960/70er Jahre. Die Geschichte dieser Bewegungen wird mit zahlreichen Hörstationen, Installationen, Zeichnungen und Gemälden illustriert, darunter Max Radlers nur scheinbar in sich versunkener Individualhörer von 1926. Tatsächlich ist er Teil der Arbeiter-Radio-Bewegung. Oder Ketty La Roccas "Fotografie mit Komma" von 1969/70, die sich in der Frauenbewegung zusammen mit anderen Künstlerinnen Gehör verschaffen wollte. Einfach reinhören und umsehen, es lohnt sich. Petra Welzel

LEHNBACHHAUS, LUISENSTR.33, MÜNCHEN, BIS 13. SEPTEMBER, DI–SO 10–18 UHR, TICKETS ONLINE BUCHEN UNTER WWW.LEHNBACHAUS.DE