Neil Young: Homegrown

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Wenn man ihn heute sieht – schüttere Zotteln unterm Schlapphut, graue Backenbärte, grobe Flanellhemden und verwaschene T-Shirts – kann man sich kaum vorstellen, dass Neil Young einmal der größte Popstar des Planeten war. 1972 verkaufte sich kein anderes Album weltweit öfter als Harvest. Von einem Tag auf den anderen wurde ein blasser Mittzwanziger zum Aushängeschild der Hippiebewegung, eine mindestens ebenso gehasste wie verehrte Figur. Die Welt trällerte die Hits wie "Heart of Gold" oder "The Needle And The Damage Done", aber die Blumenkinder warfen ihm Verrat und Ausverkauf vor.

Auch privat geht es bei dem Kanadier damals turbulent zu. Kurz nach dem Erscheinen des Welterfolgs Harvest wird Young zum ersten Mal Vater, doch die Beziehung zur Mutter, der Schauspielerin Carrie Snodgress, verläuft stürmisch, und 1974 lernt er seine spätere, langjährige Ehefrau Pegi Morton kennen. Das Hin und Her mit Snodgress verarbeitet Young in einem Songzyklus, den er zwar aufnimmt, aber nicht herausbringt. Mit den Jahrzehnten wird das unveröffentlichte Album zum Mythos, soll es doch, so berichtet der zur Geheimniskrämerei neigende Künstler, das Bindeglied zwischen Harvest und späteren Erfolgsalben darstellen. Dass er über die Jahrzehnte einzelne Songs bisweilen bei Auftritten spielt, trägt nur zur Legendenbildung bei.

Nun, nahezu ein halbes Jahrhundert später, hat der mittlerweile 74-Jährige doch noch die Freigabe erteilt. Die Überraschung ist, dass "Homegrown" tatsächlich einigermaßen mit der schweren Bürde der großen Vergangenheit mithalten kann. Schon der Eröffnungssong "Seperate Ways" lässt die lässig melancholische Stimmung von "Harvest" wiederaufleben. "Vom Glück bekommt man nie genug", singt Young mit seiner leicht quengeligen, aber auch unvergleichlich intensiven Stimme, die so viel jünger klingt, als man sie in Erinnerung hat, und dann bläst er in die Mundharmonika.

Es folgen Songs, von denen einige wie Mexico oder White Line durchaus das Zeug dazu haben, sich in die lange Reihe von zeitlosen Klassikern einzureihen, die Young auf dem Gewissen hat. Songs, in der sie wieder lebendig wird, die Faszination für die country-infizierte Americana, die Harvest einst zum Welterfolg machte. Songs, die "Homegrown" zum besten Album machen, das Neil Young seit langer Zeit herausgebracht hat. Es zeigt ihn zwar in all seiner Widersprüchlichkeit, aber eben auch auf der Höhe seiner kreativen Kraft.

Thomas Winkler

CD, Reprise/Warner

Music Is The Most Beautiful Language In The World

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Yiddisher Jazz In London's East End 1920s To 1950s

Jazz im strengeren Sinn ist das, was diese bemerkenswerte Compilation mit ihrem recht ausführlichen Album-Titel bietet, natürlich nicht. Eher Musik von Tanzorchestern, die die jüdischen Zuwanderer im Londoner East End bei Laune hielten. Ein spannendes Kapitel zur Migration osteuropäischer Juden, die als Folge der Pogrome um die Wende zum 20. Jahrhundert gezwungen waren, ihre Heimatländer zu verlassen, um anderswo ein würdiges Leben führen zu können. Die neuen Londoner siedelten im East End und etablierten mit Geschäften und Handwerksbetrieben aller Art eine Art Londoner Schtetl. Zu Hause und auf der Straße sprach man Jiddisch, und in den 20er Jahren kam dann auch die Produktion von Schallplatten in Gang. Die historischen Aufnahmen laden ein in eine Welt zwischen osteuropäisch-jüdischer Tradition und der Anpassung an das neue Londoner Großstadtleben. Und der jüdische Witz kommt auch nicht zu kurz, wenn in einer Rumba aus dem Jahr 1935 dem English Gentleman die Vorzüge des Brotkringels Bagel erklärt werden. Peter Rixen

CD, play loud!/Alive

Verschiedene: The Ladies of Too Slow To Disco 2

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Schon einmal den Namen Marti Caine gehört? Oder Valerie Carter? Nicolette Larson, Ullanda McCullough, Martee Lebous? Nein, natürlich nicht, denn die 16 Sängerinnen von denen die 16 Songs dieser Compilation stammen, haben neben infektiösen Melodien, satten Basslinien und viel Seele in der Stimme vor allem eines gemeinsam: Sie waren niemals große Stars und sind heute weitgehend vergessen. Das ist die Idee hinter den Songsammlungen, die der Berliner DJ Marcus Liesenfeld alias DJ Supermarkt seit sechs Jahren unter dem Titel "Too Slow To Disco" – zu langsam für die Disko – herausbringt: Die nun mittlerweile sieben Alben mit verschiedenen musika-lischen Schwerpunkten vereinen stets unbekannte, immer extrem eingängige und meist sehr soulige Popsongs, die klingen wie Mega-Hits aus den 70er- und 80er-Jahren, aber niemals welche waren. Die zweite Auflage der Ladies of Too Slow To Disco richtet nun wieder das Scheinwerferlicht auf Pionierinnen, die in einem chauvinistischen Musikgeschäft niemals jene Aufmerksamkeit bekommen haben, die sie verdient gehabt hätten. Frauen wie Franne Gold, die nicht nur den Commodores-Welthit "Nightshift", sondern auch für legendäre Soundtracks wie "Top Gun" oder "Bodyguard" komponiert hat. Frauen, die man wiederentdecken sollte.

Thomas Winkler

CD, How Do You Are?/Rough Trade