Klatschmüde

Neues Deutschland, 30. Mai 2020

"Ich will mich gerne von etwas anderem überzeugen lassen […] Aber meine Vermutung ist, dass all das, was jetzt im Brennglas ist – die Finanzierung des Krankenhaussektors, die Arbeitssituation in der Altenpflege, die tariflosen Unternehmen im Einzelhandel, Minijobberinnen und Minijobber, die jetzt ohne Absicherung dastehen, genauso wie Solo-Selbstständige mit geringen Einkommen – sehr schnell wieder in Vergessenheit gerät. Im Übrigen kippt dieses Gefühl der Wertschätzung bei den Beschäftigten gerade. […] Wir und vor allem die Beschäftigten selbst – haben von Anfang an gesagt: Wertschätzung ist schön und gut, aber Applaus alleine reicht nicht. […] Höhere Einkommen, mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege kommen nicht durch Klatschen auf dem Balkon zustande. Gemeinsames Handeln, die Organisierung der eigenen Interessen in der Gewerkschaft, ist der Weg, der erfolgversprechend ist. Alles andere zerplatzt irgendwann wie eine Seifenblase."

Der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke

Daseinsvorsorgend

Hamburger Abendblatt, 27. Mai 2020

Es waren wenige, die für viele standen. Auf dem Rathausmarkt demonstrierten gestern Erzieher, Busfahrer, Hochbahner, Abfallentsorger, Gaswerker, Hafenbeschäftigte, Bezirksamtsmitarbeiter und Kollegen aus vielen anderen öffentlichen Einrichtungen für ihre Interessen. Die Gewerkschaft Ver.di hatte den Protest organisiert. Anlass: die Corona-Pandemie und ihre Folgen. Sieglinde Frieß, stellvertretende Landesbezirksleiterin der Gewerkschaft Ver.di in Hamburg, appellierte in ihrer Rede vor den rund 50 Demonstranten (mehr waren nicht erlaubt) an die Politik, mehr für diese Beschäftigten der "Daseinsvorsorge" zu tun.

Klimaschützend

Südwest Presse, Ulm, 3. Juni 2020

Erleben wir gerade die Geburtsstunde einer ökosozialen Apo? Manche vermuten das, weil sich die jungen Aktivisten von Fridays for Future und die altgedienten deutschen Gewerkschaften einander annähern. Das sieht nach einer mächtigen Front gegen die schnöden Verwertungsinteressen des Kapitals aus […] Aber ganz so einfach ist es nicht. Erstens sind die Verbindungen zwischen den jungen Klimarettern und den Gewerkschaften nicht neu. […] Und zweitens handelt es sich auf Gewerkschaftsseite nur um einen Teil der organisierten Arbeitnehmer. Es ist vor allem die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die zum Bündnis bereitsteht. Dort sind Angestellte, Medienschaffende und Busfahrer Mitglied. Aber keine Autobauer und Kohlekumpel.

Annäherung

Der Spiegel, 30. Mai 2020

Die Anordnung sieht […] auf den ersten Blick einfach aus: da Klimaschutzbewegung, dort Arbeiter; da Umweltschutz, dort Lohntüte, unterschiedliche Interessen, nicht zu versöhnen. So einfach aber ist es nicht. Schon seit einer Weile nähern sich Klimabewegung und Gewerkschaften einander an […]. Trotz echter Interessengegensätze scheint es viele Gemeinsamkeiten zu geben. Und so arbeiten beide Seiten an einer Art ökosozialer Apo, allerdings mit Schwierigkeiten. Maximilian Reimers, 21, ist einer der Aktivisten, die das Projekt vorantreiben. Er sei über das Soziale zum Klimaschutz gekommen. "Wenn wir die Transformation der Wirtschaft wollen, dürfen wir nicht zulassen, dass Menschen dabei ihre Perspektive verlieren." Hinter der ungewöhnlichen Verbrüderung steckt die Überzeugung, dass man keine Gesellschaft umbauen kann, wenn man deren Arbeiter gegen sich hat. […⁠] IG Metall und Verdi legten ihren Mitgliedern nahe, zur Großdemonstration von FFF am 20. September zu gehen.