Max Richter: Voices

Die Erklärung der Menschenrechte besteht aus 30 Artikeln. Die sind, seit sie 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurden, immer wieder diskutiert und analysiert, verteidigt und angegriffen, gelegentlich umgesetzt und vor allem immer wieder missachtet worden. Das wird angesichts weltweiter Proteste dieser Tage so deutlich wie selten. Und war Anlass für Max Richter, sich von der Erklärung der Menschenrechte zu seinem neuesten Werk Voices inspirieren zu lassen.

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ass es ausgerechnet der 54-jährige Komponist ist, der mit seiner Musik Stellung bezieht zu Black Lives Matter, Kolonialismus-Debatten und Flüchtlingselend, ist keine Überraschung. Der in Hameln geborene, aber in England aufgewachsene Richter, der nach einigen Jahren in Berlin nun in Oxford lebt, ist zwar einer der größten Stars der sogenannten Neo-Klassik. Seine Werke finden ein Millionenpublikum, aber im Gegensatz zu den allermeisten seiner Kollegen und Kolleginnen, die klassisches Instrumentarium und moderne Elektronik miteinander verknüpfen, kommt bei ihm nicht nur eine wohltemperierte Klangtapete heraus.

Wenn Richter wie vor acht Jahren die Vier Jahreszeiten verhackstückt, dann klingt das plötzlich wieder so frisch und aufregend, als wäre der Vivaldi-Gassenhauer nicht längst totgedudelt worden. Sein achteinhalbstündiges Werk Sleep, für dessen Aufführungen 2015 die Zuhörerschaft in Betten Platz nehmen durfte, verstand er als Manifest gegen die digitale Beschleunigung der Welt, wurde aber trotzdem schon 450 Millionen Mal gestreamt. So komplex und atmosphärisch stimmig die einzelnen Stücke auch sein mögen, für den Komponisten sind sie "Protestmusik" und Kommentare. Etwa zum Krieg im Kosovo (sein Debütalbum Memoryhouse von 2002), dem Irak-Krieg (The Blue Notebooks, 2004) oder den Bombenanschlägen von London (Infra, 2010). Und auch wer den Namen Max Richter noch nie gehört hat, dürfte seine Musik kennen aus der HBO-Fernsehserie Leftovers oder einem der mehr als 50 Filme, für die er die Musik geschrieben hat, darunter Oscar-Gewinner wie Waltz With Bashir oder Volker Schlöndorffs Rückkehr nach Montauk.

Nun also die Menschenrechte. Richter verwendet Fragmente aus dem Text, gesprochen von prominenten Stimmen, und bettet sie ein in elegische Klanglandschaften aus Streichern, Klavier und ätherischen Chören. Dass mit diesem Werk das Leid, das der Mensch dem Menschen antut, ein Ende findet, ist zwar nicht zu erwarten – aber Richters Musik klingt nach glücklicheren Zeiten.

Thomas Winkler

CD, (Decca/Deutsche Grammophon)

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Afel Bocoum: Lindé

Gitarrist und Sänger Afel Bocoum aus dem westafrikanischen Mali erlernte sein musikalisches Handwerk bei keinem Geringeren als Ali Farka Touré. Dessen gemeinsames Album mit Ry Cooder (Talking Timbuktu, 1994) zählt zu den unbestrittenen Klassikern der Weltmusik. Bocoum stammt wie sein Ziehvater aus der am Nigerufer gelegenen Stadt Niafunké, am Übergang von Trockensavanne zur Sahara-Wüste. Eine karge Landschaft, die den entschleunigten, minimalistischen Desert Blues der Region prägt. Eine Botschaft hat Bocoum auch, nämlich die von Hoffnung und sozialem Zusammenhalt in einer ungewissen Zukunft, wie sie nicht nur die Menschen in seinem Heimatland Mali zu spüren bekommen. Basis von Bocoums Song-Arrangements sind Instrumente wie die Kalebasse, die Ngoni-Lauten und die Kora-Harfe. Hinzu kommen als Gäste der Jamaikaner Vin Gordon, der schon für Bob Marley seine Posaune blies und der kürzlich verstorbene nigerianische AfroBeat-Drummer Tony Allen. So entsteht eine Musik, die vollkommen uneitel ist und stattdessen Wärme, Würde und Bescheidenheit ausstrahlt. Peter Rixen

CD, WORLD CIRCUIT/BMG

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V.A.: Angel Headed Hipster: The Songs of Marc Bolan

Marc Bolan war einmal der größte Popstar des Planeten. Noch heute kann man mit Get It On oder einem anderen der zahlreichen Hits seiner Band T. Rex verschlafene Retro-Partys in Schwung kriegen, aber in den Siebzigerjahren lösten diese Songs vor allem bei weiblichen Minderjährigen Hysterie aus. Dass der Glam-Rocker ein Teeniestar der Pop-Steinzeit war, ist der künstlerischen Reputation des irrsinnig gut aussehenden Sängers und Gitarristen allerdings nicht gut bekommen. Aber dass nun solche Größen wie Nick Cave und Joan Jett, coole Sängerinnen wie Kesha oder Beth Orton, die Freak-Folk-Pioniere Devandra Banhart und Father John Misty, ja sogar U2 und Sir Elton John ihn würdigen, indem sie seine unsterblichen Lieder neu einspielen und wie nebenbei nachweisen, dass Life's A Gas, Cosmic Dancer oder Children of the Revolution nicht nur Hits mit Patina, sondern einfach gute Songs sind, ist sicherlich eine Genugtuung. Die allerdings etwas zu spät kommt, denn Bolan ist seit 1977 tot. Er starb, wie es sich für einen Popstar gehört: im zarten Alter von 29 Jahren bei einem Autounfall, obwohl er selbst nie einen Führerschein gemacht hatte. Thomas Winkler

Doppel-CD, BMG Rights Management/Warner