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Übersetzungsarbeit heißt auch, lange und viel am Computer sitzen

ver.di publik: 2018 sind in Deutschland knapp 6.200 aus dem Englischen übersetzte Bücher erschienen, 88 aus dem Dänischen. Marieke, Du bist Literaturübersetzerin für beide Sprachen, hast Du viel zu tun?

MARIEKE HEIMBURGER: Im Moment sind meine Auftragsbücher bis zum Sommer 2021 prallvoll. Buchübersetzungen sind in der Regel Projekte mit einer langen Vorlaufzeit, sie erstrecken sich über viele Monate, darum hat uns die Corona-Krise noch nicht so stark getroffen.

ver.di publik: Wie bist du Übersetzerin geworden?

HEIMBURGER: Oh, ich habe schon mit 10 Jahren Liedtexte von Abba übersetzt – damals meine Lieblingsband. Mit einem dicken gedruckten Langenscheidt-Wörterbuch habe ich die Texte für mich entschlüsselt. In der Schule hat sich schnell rausgestellt, dass meine Stärken im sprachlichen Bereich liegen. Während einer Uni-Schnupperwoche 1989 habe ich dann den Düsseldorfer Studiengang "Literaturübersetzen" entdeckt, im Herbst 1992 nahm ich das Studium dort auf, seit Mai 1997 bin ich Diplom-Literaturübersetzerin für Englisch und Spanisch.

ver.di publik: Und wie bist du dann an die ersten Aufträge gekommen?

HEIMBURGER: Durch Vernetzung. Ich bin gleich Mitglied bei den BücherFrauen und im VdÜ, im Verband der Übersetzer*innen, geworden und jeden Monat zum Stammtisch des VdÜ und Veranstaltungen der BücherFrauen nach Hamburg gefahren. Durch eine Kollegin kam ich an meinen ersten Auftrag – für den Rowohlt-Verlag. Auch zum nächsten Verlag Goldmann, der zur Random House Verlagsgruppe gehört, bin ich durch die Empfehlung eines Kollegen gekommen. Das sind erst mal Supersteigbügel, aber dann muss man sich natürlich selbst beweisen.

ver.di publik: Und was hast Du damals übersetzt?

HEIMBURGER: Das waren anfangs alles Übersetzungen aus dem Englischen, in erster Linie sogenannte Frauen-Unterhaltung. Nach zehn Jahren mit Wohnsitz in Dänemark kam ich dann wiederum durch eine Kollegin zu meiner ersten Übersetzung aus dem Dänischen. Und das war dann auch gleich ein Bestseller von Jussi Adler-Olsen, sodass ich, was das Dänische betrifft, einen sehr guten Start hatte.

ver.di publik: Du bist vor einigen Jahren vor Gericht gezogen, gegen Random House. Warum?

HEIMBURGER: Auch von den Verbänden der Urheber*innen angetrieben, gab es 2002 eine Urheberrechtsnovelle, die den VdÜ zunächst zuversichtlich stimmte, weil sie den Anspruch der Urheber auf angemessene Vergütung ausdrücklich ins Gesetz aufnahm und die Möglichkeit einer nachträglichen Vertragsanpassung vorsah. Und wir Übersetzer*innen wurden explizit dabei als Urheber*innen erwähnt. Damit war die große Hoffnung verbunden, dass die Verlage nun endlich ihre Verträge zu Gunsten der Übersetzenden anpassen würden. Man muss dazu wissen, dass unser Honorar theoretisch auf drei Säulen ruht: auf dem Seitenhonorar, das wir bei Ablieferung bekommen, auf einer Beteiligung am Absatz der Bücher und auf einer Beteiligung an den sogenannten Nebenrechten, also Erlösen von Lizenverkäufen.

Als ich Ende der 90er Jahre mit dem Übersetzen anfing, war es bestimmt schon 20 Jahre Usus, dass es – trotz eines vom Verband der Schriftsteller*innen in ver.di (VS) und vom VdÜ ausgehandelten Normvertrags, der anderes vorsah – de facto nur ein Seitenhonorar gab. Random House beispielsweise hatte damals zwar eine Erfolgsbeteiligung im Vertrag, die setzte aber frühestens bei 100.000 verkauften Exemplaren ein. Auf die Spitze getrieben heißt das, wurde ein Buch 99.999 Mal verkauft, gab es keine Beteiligung. Wir Übersetzer*innen wollten und wollen, dass eine Beteiligung ab dem ersten Exemplar einsetzt.

Nach der Urheberrechtsnovelle 2002 forderte der VdÜ dann seine Mitglieder auf, die eigenen Verträge zu prüfen und die Verlage um Anpassung im Sinne angemessener Vergütungen zu bitten. Die Verlage lehnten das quasi durch die Bank ab und wollten es lieber auf gerichtliche Klärungen ankommen lassen. Und das hieß, dass die Übersetzer*innen einzeln klagen mussten, wobei ver.di-Mitglieder in den Genuss des Rechtsschutzes der Gewerkschaft kamen. Ich war damals jung und übermütig und dachte, dass das jetzt selbstverständlich hunderte Kolleg*innen tun würden. Das war ich vielleicht etwas naiv.

ver.di publik: Die Klage hat Dir ziemlich geschadet.

HEIMBURGER: Ja, leider. Und es waren nicht hunderte Kolleg*innen, die geklagt haben, sondern nur ein halbes Dutzend, weil sich – verständlicherweise – niemand traute. Wir haben die Prozesse trotzdem durchgezogen, weil wir was verändern wollten. Am Ende war es dann meine Klage, die es als erste bis zum BGH, zum Bundesgerichtshof schaffte. Der hat darüber im Oktober 2009 entschieden und klar festgestellt, dass mir weitere Vergütungen zustehen, weil der Vertrag unangemessen war. Das war das Urteil "Talking to Addison", benannt nach dem von mir übersetzten Buch, um das es in der Klage ging. Das Buch hat sich gar nicht sooo gut verkauft, weswegen nach dem Urteil keine weitere Vergütung floss. Aber ich hatte beim selben Verlag eine andere, sehr gut laufende Autorin, von der ich die ersten vier Bücher einer Erfolgsreihe übersetzt hatte. In Hamburg kam schon 2006 eine Kollegin auf mich zu und sagte, Goldmann hätte ihr den fünften Band zum Übersetzen angeboten. Ich sagte, das hast du ja hoffentlich nicht angenommen, das ist eine Abstrafungsaktion mir gegenüber. Die Kollegin antwortete, "doch, warum denn nicht, von denen bekommst du doch sowieso keinen Auftrag mehr".

ver.di publik: Das ist bitter. Das heißt, du hast am Ende nicht den erwünschten Erfolg gehabt mit der Klage – und auch keine Aufträge mehr von Goldmann?

HEIMBURGER: Ich habe nicht nur von Goldmann keine Aufträge mehr bekommen, sondern von der ganzen Random House Gruppe nicht. Immerhin haben die meisten in Deutschland sitzenden Verlage seit dem BGH-Urteil eine Beteiligung in ihren Verträgen, die aber an unterschiedlichen Schwellen einsetzt – mal bei 5.000, mal bei 8.000, mal bei 10.000 verkauften Exemplaren. Tatsache ist aber, dass es unfassbar viele Titel gibt, die diese Schwellen nie erreichen. Und der Prozentsatz, der dann greift, wenn die Beteiligung anfällt, liegt bei homöopathischen 0,4 bis 0,8 Prozent des Netto-Ladenpreises. Das heißt, ich bekomme dann vielleicht noch mal 200 Euro.

ver.di publik: Wie hoch ist denn im Schnitt ein Seitenhonorar?

HEIMBURGER: Als ich damals für Goldmann diese Unterhaltungsliteratur übersetzt habe, bekam ich 18 Euro pro Seite. Und um nur mal eine Ahnung davon zu bekommen, was das heißt: Wenn man in Ruhe übersetzt, schafft man in Vollzeit im Schnitt vielleicht 100 Seiten im Monat, hat also am Ende 1.800 Euro verdient – brutto.

ver.di publik: Das ist ein Niedrigeinkommen.

HEIMBURGER: Auch jetzt noch, 2020, bekomme ich für ein ähnliches Genre 18 Euro pro übersetzte Seite. Das heißt, ich habe in 20 Jahren null Honorarerhöhung bekommen, trotz stetig steigender Berufserfahrung und zunehmender Lebenshaltungskosten. Ich habe auch schon mal 22 Euro pro Seite bekommen, wenn der Text literarisch anspruchsvoller war, aber da sitze ich entsprechend länger an einer Seite, sodass das unterm Strich pro Stunde auch nicht besser bezahlt ist. Im Gegenteil. Hier müssten wir eigentlich über 40 Euro pro Seite reden.

"Ich bin genervt, wenn ich bei jedem Vertrag um 50 Cent mehr Seitenhonorar feilschen muss."

ver.di publik: Kannst Du vom Übersetzen überhaupt leben?

HEIMBURGER: Jein. Ich habe immer ein paar andere Eisen im Feuer. Derzeit verdiene ich unter anderem als Übersetzerin und Dolmetscherin bei Behörden dazu. Wenn ich einen Durchschnitt ausrechne aus den letzten 22 Jahren, also seit ich als Übersetzerin arbeite, habe ich im Jahr 20.000 Euro an Seitenhonoraren bekommen. An Beteiligungen und Tantiemen von der VG-Wort kamen noch einmal 4.000 Euro pro Jahr dazu. Und ich spreche hier von den reinen Einnahmen, vor Abzug auch nur eines Euros für zum Beispiel den Computer, auf dem ich die Übersetzung erstelle oder für meine Altersvorsorge als Selbstständige.

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Marieke HeimburgerFoto: Ebba D. Drolshagen

ver.di publik: Würdest Du heute einem jungen Menschen, der sprachbegabt ist, Deinen Beruf empfehlen?

HEIMBURGER: Ich finde bei allem Ärger darüber, dass man immer am kürzeren Hebel sitzt und häufig die Anerkennung fehlt – wenn man gerne selbstbestimmt arbeitet, auf Gedeih und Verderb, dann ist das ein sehr schöner Beruf. Für mich ist Selbstbestimmtheit ein sehr hohes Gut. Aber ich bin genervt, wenn ich bei jedem Vertrag um 50 Cent mehr Seitenhonorar feilschen muss, wenn ich jedes Mal wieder neue Formulierungen im vom Verlag vorgeschlagenen Vertrag finde, mit denen letztlich mein Einkommen geschmälert wird und die nicht im Einklang sind mit dem neuen Normvertrag, der seit über einem Jahr gilt – ganz zu schweigen davon, dass notorisch und unverhandelbar der Beteiligungsstandard unterlaufen wird, den der BGH in meinem Fall festgelegt hat. Das ist ermüdend bis zermürbend.

ver.di publik: In der aktuellen Urheberrechtsnovelle versuchen ver.di, VdÜ und VS, verbindliche Vergütungsregelungen und auch ein Verbandsklagerecht durchzusetzen. Hat das Aussicht auf Erfolg?

HEIMBURGER: Mein Optimismus sagt mir: Ja, natürlich! Die Erfahrungen der letzten 25 Jahre sagen: Vergiss es. Meine Hoffnung speist sich jetzt eher aus der Corona-Krise, in der deutlich geworden ist, unter welchem Druck die gesamte Kulturbranche steht. Vielleicht erwächst aus dieser gemeinsamen Krisenerfahrung eine Chance auf wirkliche Reformen im Urheberrecht. Mein Wunsch wäre, dass wenigstens der von den Verlagen und dem VdÜ mühselig und sorgfältig ausgehandelte Normvertrag ohne Wenn und Aber zur Anwendung kommt – er ist auf dem neuesten Stand, berücksichtigt alle Verwertungsformen und gesetzlichen Änderungen und ist für beide Seiten transparent und rechtssicher. Und wenn es keine tariflich geregelten Mindest-Seitenhonorare und eindeutigen Mindest-Beteiligungen geben kann, dann bitte wenigstens das Verbandsklagerecht. Dann muss ich als Einzelne nicht darum fürchten, Auftraggeber zu verlieren, und die Verbesserungen würden im Falle einer erfolgreichen Klage allen Übersetzer*innen zugutekommen.

Urheberrecht in aller Kürze

Das Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, kurz: Urheberrechtsgesetz (UrhG), bestimmt in Deutschland die Verwendung geistigen Eigentums in Bezug auf ideelle und ma-terielle Aspekte. Geschaffene Werke sind dem Gesetz nach geschützte Schöpfungen, deren Urheber*innen besondere Rechte bezüglich deren Nutzung genießen. Dies betrifft unter anderem Werke aus der Literatur, der Musik, der bildenden Künste, der Fotografie. Die gesetzlichen Regelungen sind dabei sehr grob gehalten. Weil sich die Medienwelt stetig verändert und weiterentwickelt, werden immer wieder Anpassungen und Modi- fizierungen des Urheberrechts gefordert. Insbesondere die digitalisierte und via Internet weltweite Nutzbarkeit wird dafür als Argument benannt.

Im April 2019 wurde eine neue EU-Urheberrechtsnovelle verabschiedet, die bis Mitte 2021 umzusetzen ist und die auch Regelungen zu vertraglichen Standards zu Gunsten von Urheber*innen enthält. Für die Umsetzung in Deutschland fordern der Verband Deutscher Schriftsteller*innen in ver.di (VS) und der Verband deutschsprachiger Übersetzerinnen und Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke (VdÜ) – gemeinsam mit dem VS in ver.di bildet der VdÜ als Bundessparte Übersetzer*innen die ver.di-Fachgruppe Literatur – deutliche Verbesserungen durch die Festlegung von Branchenregelungen in Form von Tarifverträgen oder gemeinsamen Vergütungsregelungen, eine Stärkung der Verwertungsgesellschaften wie der VG-Wort, ein kollektives Klagerecht und die Vergütung von Inhalten, die auf Internetplattformen genutzt werden. Ziel von ver.di, VS und VdÜ ist es, die abstrakten Regelungen des UrhG mittels auf Augenhöhe zwischen Urheber*innenverbänden und Verlagen ausgehandelten Regelungen auszugestalten und zu konkretisieren. Kompetente Branchenverbände sind da besser geeignet als der Gesetzgeber.