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Foto: mindjazz pictures

The Booksellers: Aus Liebe zum Buch

Es gibt Erstausgaben und vom Autor signierte Bücher. Es gibt Bücher, die mit 24-karätigem Gold verziert sind, und Bücher, die einmal 15 Dollar in einem Ramschladen gekostet haben und später für 200.000 weiterverkauft wurden. Es gibt Prachtbände und Folianten, aber auch abgenutzte Ausgaben, die ihre eigene Geschichte erzählen. Die Dokumentation The Booksellers ist eine Exkursion in eine fremde, seltsame Welt. Eine Welt, in der meist ältere Männer auf der ewigen Suche nach dem nächsten einmaligen, wertvollen oder doch wenigstens außergewöhnlichen Buch sind. Die Hauptstadt dieser Welt ist New York, wo es einst allein auf der Fourth Avenue 48 Buchhandlungen gab, von denen heute nur noch ein einziger übrig geblieben ist.

Diese bedrohte Welt wird bevölkert von Sammlern und Buchhändlern, Historikern und Philosophen, knorrigen Originalen und sonstigen Verrückten – die Grenzen sind fließend. Oder, wie es der Doktor der spanischen Lyrik des 16. Jahrhunderts erklärt, der mangels Karriereperspektive zum Buchhändler wurde: "Die Welt besteht aus zwei Kategorien von Menschen. Die, die sammeln, und denen, die absolut nicht verstehen, was die anderen da treiben."

Einer dieser Buchsammler, die sich als Buchhändler tarnen, zeigt mit selbstironischem Stolz auf ein Buch über die römischen Katakomben, das so schwer ist, dass er es nicht mehr aus dem Regal genommen hat, seit er es vor 15 Jahren in dieses Regal hineingestellt hat. "Sammeln ist eine Jagd", erklärt er seine Obsession. "Es geht nicht um das Objekt, es geht um die Jagd. Man sucht das Buch 20 Jahre lang, man findet es, hat seinen Orgasmus, räumt es ins Regal und sieht es nie wieder an. Aber das Internet hat die Jagd zerstört."

Noch gibt es Buchmessen, staubige Antiquariate und Buch-Auktionen. Noch gibt es Lagerhallen mit 300.000 Büchern und Privatbibliotheken, die gestaltet sind wie ein Gemälde von M. C. Escher. Aber seit die Jagd auf seltene Bücher durch das Internet so viel einfacher geworden ist, sind auch die antiquarischen Buchläden und seine Bewohner vom Aussterben bedroht. The Booksellers setzt dieser Spezies ein Denkmal, ohne sie zu überhöhen. Er versucht die Magie zu ergründen, die bedrucktes Papier besitzt. Er geht eben der Liebe zum Buch auf den Grund. Eine Liebe, die fast verzweifelt erscheint in diesen Tagen, in denen die Ära des Buchs womöglich als zentrales Kulturgut zu Ende geht. Thomas Winkler

USA 2020, R: D. W. Young, D: Parker Posey, Fran Lebowitz, Gay Talese, u.a., 99 Min., Kinostart: 29. Oktober 2020

Niemals, selten, manchmal, immer.

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Fast dokumentarisch beschreibt Eliza Hittman in ihrem ungeheuer eindringlichen, preisgekrönten Drama die ungewollte Schwangerschaft der 17-jährigen Autumn. Es geht ihr nicht gut. Routiniert fragt die Mutter nach. Der genervte Stiefvater sagt, sie solle mal ihren Kopf untersuchen lassen. Doch Autumn ahnt den Grund. In der konservativen Beratungsstelle vor Ort macht sie einen Schwangerschaftstest. Er ist positiv. Dort spielt man ihr zur Abschreckung ein propagandis- tisches Anti-Abtreibungsvideo vor. Das Baby zu behalten, kommt für das Mädchen aus einer Arbeiterfamilie im länd- lichen Pennsylvania nicht infrage. Schließlich fährt sie mit ihrer Cousine Skylar heimlich ins liberalere New York. Der letzte Ausweg. Denn derzeit nimmt die restriktive Abtreibungspolitik im repressiven Klima der USA zu. Dass Autumns Verhältnis zum Kindsvater von Gewalt geprägt war, zeigt die zentrale Szene. Ohne Schnitt gedreht, ist ihr aus der Fassung geratendes Gesicht zu sehen, während sie die Fragen der Klinikpsychologin beantwortet. Es geht um übergriffigen Sex. Die Antwortmöglichkeiten lauten: nie, selten, manchmal, immer. Ein wahres Kinojuwel über Frauenfreundschaft, Solidarität und das Recht am eigenen Körper in einer männerdominierten Welt. Luitgard Koch

USA 2020, R: Eliza Hittman, D: Sidney Flanigan, Talia Ryder, Théodore Pellerin, 101 Min., Kinostart: 1.10.2020

Eine Frau mit berauschenden Talenten

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Die Rechnungen für das Pflegeheim ihrer Mutter kann Patience nicht mehr begleichen, das Wasser steht der verschuldeten Pariserin mit arabischen Wurzeln bis zum Hals. Aber Not macht auch sie erfinderisch. Warum sollte sie nicht dem Drogendezernat, in dem sie als Dolmetscherin zu wenig verdient, ein Schnippchen schlagen? Ein Deal mit Haschisch, in den sie zufällig hineingezogen wird, bietet der gerissenen, schlagfertigen Ganovin die ideale Chance. Dreist führt sie Fahnder und Lieferanten der kostbaren Droge in die Irre, ergaunert die reiche Beute selbst und vertickt sie unter der falschen Identität einer geschäftstüchtigen Mus- limin. Wie sich die Madame, unterstützt von anderen selbstbewussten Frauen, in der Männerwelt durchsetzt und die Polizei grandios an der Nase herumführt, entwickelt die amüsante Krimikomödie mit absurdem Witz und dem gebotenen Nervenkitzel. Isabelle Huppert in einer ihrer ungewöhnlichsten Rollen aber ist das eigentliche Ereignis dieses Films. Im eleganten Hijab als mondäne Araberin, erkennt man die Ikone des französischen Kinos erst auf den zweiten Blick. Kirsten Liese

F2020, R: Jean-Paul Salomé, D: Isabelle Huppert, Hippolyte Girardot, Fairda Ouchani, 104 Min., KinoStart: 8.10.2020