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Foto: S.Gabsch/snapshot/ SZ Photo

Wie wir denken. Wie wir lieben. Wie wir hassen. Wie wir wurden, was wir sind. Wie wir ein besseres Deutschland schaffen. Wie wir uns vor dem Kapitalismus retten. Wie wir die Kontrolle über den Fortschritt verlieren. Wie wir jetzt unseren Planeten retten. Wie wir den Kollaps überleben. Wie wir mit dem Tod umgehen. Wie wir das Chaos im Kopf bändigen können.

Was verbindet diese Sätze? Zweierlei: Es sind Titel neu erschienener Sachbücher. Und obwohl sie ganz unterschiedliche Themen behandeln, alle kreisen um denselben Fixpunkt, nämlich das Personalpronomen Wir. Das war nur eine kleine Stichprobe, Dutzende weitere Beispiele ließen sich nennen. Wir, wir, wir – es wirt furchtbar in der Publizistik. Nicht nur auf Buchumschlägen. In Zeitungsartikeln, Radiobeiträgen und Talkshows ist die Litanei omnipräsent. Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt, wir müssen umdenken, wir werden anders wirtschaften. Seltsamerweise wird niemals erläutert, von wem genau die Rede ist. Wer ist denn dieses Wir? Die ganze Menschheit? Die Deutschen? Das wohlbetuchte Bildungsbürgertum? Die ZDF- oder 3Sat-Zuschauer? Die Buchkonsumenten? Das bleibt unausgesprochen. Ein schmeichelhafter Trick. So kann sich ein jeder mitgenommen fühlen, ja, sich ohne große Anstrengung einbilden, er oder sie gehöre einer aufgeklärten Gemeinde an. Unbemerkt bleibt indes, dass gerade die postulierte Existenz eines Kollektivsubjekts die zentrale Botschaft ist. Egal, worum es augenscheinlich geht, Hauptsache, es wird gesagt: Wir packen es gemeinsam an. Und genau daran liegt der Schwindel. Ja, die dargestellten Ideen mögen originell und anregend sein, nichtsdestotrotz werden sie vom übermäßigen Gebrauch der unbestimmten ersten Person Plural entleert und entwertet.

Denn die realexistierende Gesellschaft ist kein Wir. Das einzige, was uns verbindet, ist gerade das Unvermögen, ein handlungsfähiges Kollektivsubjekt zu sein. Bereits ein Liebespaar weiß, wie schwierig es ist, ohne zu lügen "wir" zu sagen. Und da soll ein gesamtgesellschaftliches Wir die Wirtschaft, das Klima und die Welt retten? Viel eher wäre die zu lösende Frage: Wie kommt es, dass jeder und jede Einzelne sich nach Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung mit der Natur sehnt, wobei die Allgemeinheit unaufhörlich in Krieg, Ungleichheit und Umweltzerstörung hineinschlittert? Es ist ein edles Projekt, als konkretes, souveränes Kollektiv existieren zu können. Doch solange es ein Projekt bleibt, sollte das Wir mit Vorsicht genossen werden.