Ausgabe 06/2020
Musik
Bill Frisell: Valentine
Anders als bei etlichen seiner Kollegen war das rekordverdächtige Gitarre-Schnellspielen nie seine Sache. Frisells schwebender Sound und sein harmonisch offen gestaltetes Konzept verleihen seiner Musik stattdessen eine besondere Luftigkeit. Damit wurde der 69-jährige US-Amerikaner zum gefragten Sound-Gestalter von Marianne Faithfull über Elvis Costello bis zum Star Cellisten Yo-Yo Ma. Stilistische Festlegung, Fehlanzeige! Frisell fühlt sich in den verschiedensten Gefilden zu Hause – vom zeitlosen Modern Jazz über Weltmusika-lisches bis hin zum Country-Sound seiner US-Heimat. Und er betont, dass das seiner Meinung nach alles auf ein und derselben CD nebeneinander existieren kann. Mit seinem Trio (Thomas Morgan, Bass und Rudy Royston, Drums) spielt Frisell auf seinem neuen Album einen Mix aus Eigenkompositionen in der US-Folk-Tradition, Jazz-Klassikern sowie den weltbekannten Protestsong We Shall Overcome. Diese Widerstands-Hymne will Frisell noch so lange spielen, bis das nicht mehr nötig sei: "Ich kann nicht anders als zu hoffen, dass dieser Tag kommen wird", meint der Universal-Gitarrist. Peter Rixen
CD, Blue Note/Universal
L7: Smell The Magic
Nein, niedlich waren sie nicht. Als L7 vor 30 Jahren mit ihrem zweiten Album Smell The Magic bekannt wurden, traten sie nicht nur an gegen die männliche Rock-Konkurrenz, sondern vor allem gegen das damals herrschende Bild von Frauen im Pop, die singend den Liebsten anhimmeln oder dem Verflossenen nachtrauern und dabei vor allem hübsch anzusehen sein sollten. Das Frauen-Quartett aus Los Angeles dagegen stellte schon im ersten Song Shove klar: Geh mir aus dem Weg oder ich schieb' dich zur Seite! In Fast and Frightening feiern sie ein Mädchen, das Mamas und Papas schlimmster Albtraum ist. Just Like Me fordert für Frauen, was männlichen Rockstars zusteht. Und American Society ist ein radikal wütender Abgesang auf den amerikanischen Traum. Die Texte schrieen, bellten und grummelten die beiden Gitarristinnen Donita Sparks und Suzi Gardner über bösartigen Gitarren, einem tiefergelegten Bass und bollerndem Schlagzeug, dass nicht nur Männern angst und bange wurde. Ein feministisches Statement, ein Meilenstein der Rock-Geschichte, der nun verdienter- maßen wiederveröffentlicht wird.
Thomas Winkler
CD, Sub Pop/Cargo
Gerhard Polt und die Well-Brüder: 40 Jahre
Sage und schreibe vier Jahrzehnte treten Gerhard Polt und die Well-Brüder nun schon miteinander auf. Seit 1980, als der Kabarettist und die damals noch Biermösl Blosn geheißene Comedy-Musikertruppe erstmals eine Bühne teilten, hat sich das Erfolgsrezept nicht groß geändert: Bayrische Volksmusik wird mit anarchischem Humor, politischem Kommentar und dem Schwachsinn des profanen Alltags verschraubt. Das Jubiläums-Album 40 Jahre ist keine systematische Best-of-Zusammenstellung, aber eine Erinnerung an allerbeste Zeiten: Die Well-Brüder besingen die paradiesischen Zustände in ihrem Heimatland Bayern, rekapitulieren minutiös den Ablauf einer Feierstunde der Freiwilligen Feuerwehr oder rappen zusammen mit den Toten Hosen. Die Bühnen-Freundschaft zu den Punkrockern wird mit gleich drei Stücken dokumentiert. Aber die Meta-Ebenen des absurden Witzes erklimmen vor allem der mittlerweile 78-jährige Polt und sein zielsicher ins Leere laufendes Gestammel: "Man kann die Sache so sehen oder man kann sie anders … Bitte, das ist aus meiner Sicht … warum nicht? Entschuldigung, das darf man doch noch sagen…" Darf man, soll man, muss man – unbedingt und so lange es noch geht. Ein Bier auf die nächsten 40 Jahre! Thomas Winkler CD, JPK/War
Vom 16.10.–27.11. auf Deutschland-Tour