Ausgabe 07/2020
Einfach verscherbelt
"Verfallsdatum 31.10.2020" steht in giftgrünen Lettern auf dem Schaufenster der Galeria-Kaufhof-Filiale am Wehrhahn in Düsseldorf. Hinter der Scheibe hängt eine in schwarz gekleidete Frau Porträtfotos der Angestellten ab, die hier in den vergangenen Jahrzehnten gearbeitet haben. Eine Frau steht mit ihrem Mann vor dem Fenster und schluchzt. Drinnen werden die letzten Fliegenpilzdekos, Clownskostüme, Plastikherzen und Damenkleider verscherbelt, während die Angestellten zwischen Flatterband und verpackten Resopalregalen Abschied nehmen.
Im Erdgeschoss stoßen Mitarbeiterinnen mit Sekt und Wodka an und machen Selfies vor einer Weihnachtsdekoration. Jede umarmt jede, man erinnert sich, lacht und weint, mit Maske, aber Corona spielt heute keine Hauptrolle. Seit am 19. Juni das Ende für den Kaufhof am Wehrhahn verkündet wurde, hatte ver.di jeden Samstag eine Kundgebung organisiert – "um gegen das Ende zu kämpfen, aber auch gegen das Ausbeutungssystem, anders kann man den menschenverachtenden Kahlschlag der Eigentümer nicht mehr nennen", sagt Betriebsratsmitglied Wolfgang Grabowski, seit 1977 Düsseldorfer Kaufhof-Mitarbeiter.
"Wir Angestellten wurden zuletzt nur noch als Kostenfaktor betrachtet. Nur informiert, wenn bereits Tatsachen geschaffen waren. Ich hätte nie für möglich gehalten, wie unwürdig man mit Menschen umgehen kann, die ihr halbes Leben hier gearbeitet haben. Bei der Schließung der Filiale auf der Königsallee im Jahr 2014 haben die Verantwortlichen uns noch in die Augen geschaut, es wurde fair kommuniziert. Davon konnte jetzt keine Rede mehr sein."
Der Verkauf des Kaufhofs an die Hudson's Bay Company vor fünf Jahren habe schon nichts Gutes verheißen, der 40-prozentige Stellenabbau mit der Fusionierung von Kaufhof und Karstadt im Jahr 2019 "wohl das Ende vorbereitet", so Grabowski. "Es mag ja sein, dass Warenhäuser im Internetzeitalter keine große Zukunft mehr haben. Aber man kann ein Mindestmaß an Anerkennung für Lebensleistungen erwarten und sich in die Augen schauen. Man hätte auch Konzepte entwickeln können. All das war hier nicht der Fall."
Der Immobilienhai
"Als dieser Benko den Laden gekauft hat, dachten wir uns schon: Das wird nicht mehr lange gut gehen, er war ja als Immobilienhai berüchtigt", sagt Sabine Schwarz (57), die vor 41 Jahren ihre Ausbildung in der Stoffabteilung begonnen und seitdem im Kaufhof gearbeitet hat. "Ich verstehe einfach nicht, dass jemand, der so viel Geld hat, so einfach Insolvenz anmelden und die Corona-Krise als Vorwand nehmen kann."
Als Sabine Schwarz am Wehrhahn begann, wurde Karl Carstens zum Bundespräsidenten gewählt, Kanzlerkandidat der CDU/CSU war Franz-Josef Strauß, Deutscher Fußballmeister der Hamburger SV. 1.700 Menschen arbeiteten 1979 in dem Kaufhaus – am 17. Oktober 2020, als die Geschichte des Hauses endet, sind es wenige mehr als 110. "Eine Mitarbeiterin war zuletzt oft für 1.500 oder 2.000 Quadratmeter allein verantwortlich", sagt Sabine Schwarz. "Man kann noch so ein gutes Team sein und zusammenhalten: Den Service, der uns doch vom Internet unterscheidet, kann man so nicht bieten."
"Herrn Benko gehören allein in Düsseldorf mehrere große Immobilien. Es ist skandalös, dass er sich nicht in der Lage sieht, die 113 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier auf die zwei in der Stadt noch bestehenden Kaufhäuser zu verteilen."
ver.di-Gewerkschaftssekretärin Miriam Jürgens
"Die Arbeitsbedingungen waren zuletzt miserabel", sagt auch Britta Dellmann, die auf 35 Jahre in dem Düsseldorfer Kaufhaus blickt. "Es gab kein Konzept, noch nicht mal lokal angepasste, auf Städte zugeschnittene Sortimente. Die einzige Devise hieß Sparen – das hat uns alle frustriert." Dellmann zieht die Konsequenz: Statt sich in einem der verbliebenen Kaufhäuser zu bewerben, beginnt sie mit 51 eine Umschulung zur Erzieherin.
Die lokalen Bündnisse
Bis zuletzt hatten ver.di und die Betriebsräte mit den Beschäftigten hartnäckig um den Erhalt von Kaufhof- und Karstadt-Filialen sowie Arbeitsplätzen gekämpft. In vielen betroffenen Städten, auch in Düsseldorf, hatten die Gewerkschaften lokale Bündnisse mit Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeistern geschlossen. "Alle Schließungen konnten wir nicht verhindern. Aber von den ursprünglich 62 Filialen auf der Schließungsliste konnten wir 21 Häuser, also ein Drittel, retten. Das war ein Kraftakt, den wir mit vielen gewerkschaftlichen Aktionen und einem großen Bündnis hingekriegt haben", sagt Orhan Akman, Bundesfachgruppenleiter von ver.di für den Einzelhandel. "Die Beschäftigten haben alles getan, um die Häuser zu erhalten. Viele von ihnen werden nun wegen des Missmanagements der bisherigen Geschäftsleitung ihrer Existenzgrundlage beraubt."
Die Karstadt-Filiale gleich neben dem Kaufhof am Wehrhahn in Düsseldorf konnte dank der Verhandlungen der Gewerkschaft vorläufig gerettet werden – der neue Mietvertrag geht zunächst über drei Jahre. Viele Regale sind Mitte Oktober trotzdem leer. Da die Einigung über einen vorläufigen Erhalt der Filiale erst in letzter Sekunde erzielt wurde, war zuvor ein Großteil der Ware verkauft worden. "Wenn sich an der Strategie der Eigentümer nichts ändert, weiter gespart wird und das Sortiment nicht dem Ort angepasst wird, werden wir in drei Jahren auch weg sein", sagt eine Mitarbeiterin, die bei den Damenmoden den Mangel verwaltet. "Viele von uns gucken sich schon jetzt nach anderen Jobs um."
Vor dem Kaufhof schiebt um kurz vor 12 Uhr ein großgewachsener Mann ein drei Meter hohes, verhülltes Objekt über die Hauptverkehrsstraße – es ist der bekannte Düsseldorfer Karnevalswagenbauer und Satiriker Jacques Tilly, der nach einer Anfrage von ver.di in Windeseile eine Pappmaché-Figur von René Benko gebaut hat, "die den Tag hoffentlich nicht überleben wird", wie Tilly in ein Megaphon ruft. "Ich bin dafür bekannt, Leuten in den Hintern zu treten, die es verdient haben."
Vor dem Kaufhaus stehen rund 80 Beschäftigte, viele haben Tränen in den Augen und ein Grablicht in der Hand. "Herrn Benko gehören allein in Düsseldorf mehrere große Immobilien. Es ist skandalös, dass er sich nicht in der Lage sieht, die 113 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier auf die zwei in der Stadt noch bestehenden Kaufhäuser zu verteilen", sagt ver.di-Gewerkschaftssekretärin Miriam Jürgens, und verteilt überdimensionierte neongelbe Schaumstofffäuste.
Als der letzte Satz des Liedes zum 125-jährigen-Kaufhof-Jubiläum ("Wir glauben fest an morgen…") verklungen ist, dürfen die Beschäftigten die Pappfigur mit Fäusten traktieren. Einige schlagen zu, die Figur ist nach wenigen Sekunden entstellt. Den meisten ist allerdings nicht nach Schlagen zumute. Sie stehen starr vor dem Haus, in dem sie ihr halbes Leben verbracht haben, und halten sich in den Armen.