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Udo Knapp (re.) singt in der Nacht zum 19.11.1968 mit geballter Faust die InternationaleFoto: Weihs/picture-alliance/dpa

Zumindest eine Person wird der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst in Rage versetzt haben. Eine Prämie für besonders von der Corona-Krise belastete Mitarbeiter sei "rausgeworfenes Geld", hatte der Politologe noch während der Tarifauseinandersetzung geschrieben. Es sei doch normal, dass in Kitas oder auf Intensivstationen nicht so üppig verdient werde, wie in der "freien" Wirtschaft, denn: "Es ist die besondere Verantwortung und das Privileg der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, für die Allgemeinheit arbeiten zu dürfen. Das rechtfertigt die, relativ betrachtet, niedrigeren Entgelte." Was sollen "Lohnkämpfe von vorgestern"? Ist es nicht "Privileg" genug, mit Fenster-Applaus belohnt zu werden?

Der Autor solcher Unverschämtheiten ist kein reaktionärer Wortführer des CDU-Wirtschaftsflügels. Er heißt Udo Knapp und war in seinen Studentenzeiten Aktivist einer "Roten-Zellen-Bewegung", ehe er altersbedingt zu den Grünen, dann zur SPD wechselte. Früher wollte er der Arbeiterklasse beibringen, wie sie zu kämpfen habe; heute, wie sie sich fügen muss. Auch sind seine Einlassungen nicht dort erschienen, wo man sie vermutet hätte. Die Futurzwei, ein Ableger der grünennahen Tageszeitung taz hielt es für angebracht, sie in ihrer Septemberausgabe zu veröffentlichen. Nach Eigendarstellung will das modernistische Magazin "seinen Lesern Orientierung liefern und sie unterstützen, ihr Leben ökologisch zu gestalten und dafür die richtigen politischen Entscheidungen zu treffen". Dazu gehört also die freundliche Anweisung an öffentlich Beschäftigte, sie mögen künftig von Lohnforderungen "auf dem Rücken aller Bürger" absehen. Nicht nur während der Pandemie. Auch nach Corona seien mit der strukturellen Wende zur kohlenstofffreien und digitalisierten Wirtschaft Entlassungen und Kurzarbeit unausweichlich. Verhandelt werden müsse deshalb eine langfristige soziale Absicherung und kein vulgäres Geld, das der Staat ohnehin nicht mehr zahlen könne. Vielleicht bekommen wir hiermit einen Vorgeschmack von Austeritätspolitik mit grünem Belag. Im Namen der Hygiene, der Ökologie und der Solidarität wird nach wie vor Verzicht gepredigt. Die "neue soziale Frage" sieht der alten verdammt ähnlich. Guillaume Paoli