Schon vor Ausbruch der Covid-19-Pandemie besaßen 45 hyperreiche Familien nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) mehr als die ärmere Hälfte der Bevölkerung – immerhin über 40 Millionen Menschen. Laut den jüngsten Forschungsergebnissen des DIW entfallen 67 Prozent des Nettogesamtvermögens auf das oberste Zehntel der Verteilung, 35 Prozent konzentrieren sich auf das reichste Prozent der Bevölkerung und das reichste Promille kommt immer noch auf 20 Prozent des Nettogesamtvermögens. Die hiesige Vermögenskonzentration erreicht fast den US-amerikanischen Wert, was die ganze Dramatik der Verteilungsschieflage zeigt. Auf das Vermögen und seine Verteilung kommt es schließlich an, wie die pandemische Ausnahmesituation gezeigt hat, in der die Einkommensquelle vieler Beschäftigter, Soloselbstständiger und Kleinunternehmer praktisch über Nacht versiegte.

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Christoph Butterwegge ist PolitikwissenschaftlerFoto: Wolfgang Schmidt;

Während des Lockdowns im Frühjahr und der sich anschließenden Rezession galten als von Armut betroffen oder bedroht 13,3 Millionen Menschen, die weniger als 60 Prozent des bedarfsgewichteten mittleren Haushaltsnettoeinkommens zur Verfügung hatten, was für Alleinstehende 1.074 Euro im Monat entsprach. Mit 15,9 Prozent erreichte die offizielle Armuts(gefährdungs)quote 2019 einen Rekordstand im vereinten Deutschland. Die höchsten Armutsrisiken wiesen Erwerbslose (57,9 Prozent), Alleinerziehende (42,7 Prozent) und Nichtdeutsche (35,2 Prozent) auf. Kinder und Jugendliche waren ebenfalls stark betroffen, das Armutsrisiko der Senior*innen nimmt seit geraumer Zeit am stärksten zu.

Während des Lockdowns kam ein großer Teil der Bevölkerung nicht einmal zwei, drei Monate mit seinem regulären Einkommen aus

Die von ökonomischen, sozialen und politischen Verwerfungen begleitete Covid-19-Pandemie hat das Phänomen der Ungleichheit nicht bloß wie unter einem Brennglas sichtbar gemacht, sondern auch verschärft. Wie nie zuvor nach dem Zweiten Weltkrieg wurde erkennbar, dass entgegen den Beteuerungen von politisch Verantwortlichen und Massenmedien, die Bundesrepublik sei eine "klassenlose" Gesellschaft mit gesicherter Wohlständigkeit all ihrer Mitglieder, ein großer Teil der Bevölkerung nicht einmal zwei, drei Monate lang ohne seine ungeschmälerten Regeleinkünfte auskommt. Und da sozial bedingte Vorerkrankungen wie Asthma, Fettleibigkeit, Zuckerkrankheit oder Raucherlunge, katastrophale Arbeitsbedingungen (z.B. in der Fleischindustrie) sowie beengte Wohnverhältnisse das Risiko für eine Infektion mit dem als Sars-CoV-2 bezeichneten Virus und für einen schweren Krankheitsverlauf erhöhten, traf die Pandemie arme Personen stärker als reiche. Trotzdem ist nicht etwa das Coronavirus unsozial, sondern eine reiche, unter dem Einfluss des Neoliberalismus stehende Gesellschaft, die ihre armen Mitglieder zu wenig vor den Infektionsrisiken und den wirtschaftlichen Verwerfungen der Pandemie schützt.

Unter dem Druck der Coronakrise kauften mehr Familien bei Lebensmittel-Discountern ein, um zu sparen, wodurch die Besitzer von Ladenketten wie Aldi Nord oder Aldi Süd, die ohnehin zu den vermögendsten Deutschen gehören, noch reicher geworden sind. Wurde das Privatvermögen von Dieter Schwarz, dem Eigentümer von Lidl und Kaufland, im September 2019 mit 41,5 Milliarden Euro veranschlagt, waren es ein Jahr später 300 Millionen Euro mehr. Infolge der Rezession sind auch mehr Girokonten von prekär Beschäftigten, Kurzarbeiter*innen und Soloselbstständigen ins Minus gerutscht, weshalb gerade die finanzschwächsten Kontoinhaber*innen hohe Dispo- und Überziehungszinsen zahlen mussten. Dadurch wurden jene Personen, denen die Banken oder Anteile daran gehören, noch reicher. Die Überbrückungshilfen und Rettungsschirme des Staates weisen da eine verteilungspolitische Schieflage auf. Das zeigt die Senkung der Mehrwertsteuer: Je umsatzstärker und meist auch kapitalkräftiger ein Unternehmen ist, umso stärker profitiert es von der Steuersenkung, zumindest wenn es diese nicht an seine Kundschaft weitergibt. Einkommens-schwache aber kaufen nur selten hochpreisige Konsumgüter, bei denen die Steuerersparnis noch am ehesten zu Buche schlägt.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge hat bis 2016 an der Universität zu Köln gelehrt. Kürzlich erschienen ist sein Buch "Ungleichheit in der Klassengesellschaft", PapyRossa Verlag, 183 S., 14,90 €.