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Wie jedes Jahr sind Ende November die aktuellen Daten zur Armut in Deutschland veröffentlicht worden. Und wie immer trennt sich die Berichterstattung in zwei entgegengesetzte Lager. Während die Hälfte der Leitmedien das Armutsrisiko „auf statistischem Tiefpunkt“ sieht, verkündet die andere Hälfte, das besagte Risiko sei „so hoch wie seit der Wiedervereinigung nicht“. Manch ein Magazin berichtet gar je nach Ausgabe, dass die Armutsquote entweder „deutlich gesunken“ oder „auf Rekordhoch“ sei. Das nennt man Meinungspluralismus! Jeder darf sich nach Gutdünken positive oder negative Fakten aussuchen. Es wird vielleicht verwundern, dass die divergierenden Einschätzungen auf denselben, vom Statistischen Bundesamt stammenden Zahlen basieren.

Nun haben wir spätestens seit Corona gelernt, dass rohe Zahlen nichts sagen. Sie müssen noch aufgearbeitet und interpretiert werden. Und damit fängt das Problem an. Vorgestellt wird nämlich der Armutsbericht vom Paritätischen Gesamtverband, laut Zeitung Die Welt dem „radikalsten aller Wohlfahrtsverbände“. Hinter dem Anschein der Objektivität werde das Ziel verfolgt, „ein hässliches Bild von Deutschland“ zu zeichnen. Wer vom Fieber nichts hören will, beschuldigt das Thermometer. Freilich wird dem Paritätischen nicht vorgeworfen, Zahlen zu manipulieren. „Radikal“ sei bloß der Schluss, den der Verband aus seinem Befund zieht: „Gegen Armut hilft Geld“.

Schlechtes Framing, wie man heute gerne sagt, sozusagen eine Frage der Deutung. Letztes Jahr ist die Armutsquote bei älteren Menschen wieder angestiegen? Sei’s drum, die Süddeutsche Zeitung bringt die Schlagzeile: „Vielen Rentnern geht es gut“ – was natürlich auch stimmt und einen optimistischeren Eindruck hinterlässt. Eine alternative Lesart der amtlichen Statistik ist auch deswegen möglich, weil EU und Bundesrepublik unterschiedliche Kriterien und Defini­tionen von Armutsgefährdung anwenden, weil manche Angaben uneindeutig sind und der Teufel zuweilen in den Fußnoten steckt. Durch den Zahlensalat haben sich digitale Portale wie Makronom gewühlt, und ihre Recherche bestätigt die unerfreuliche Botschaft des Armutsberichts. Die Schönrederei mancher Medien wird indes nicht ohne Wirkung gewesen sein. Über die Lage der Spitzenver­mögenden sind hingegen keine widersprüchlichen Deutungen zu erwarten. Für einen Reichtumsbericht fehlen nämlich die zuver­lässigen Daten, denn unsichtbarer noch als die Armen sind die Reichen.