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Foto: Aubrey Tinnaman

Pauline Anna Strom: Angel Tears in Sunlight

Von Mozart über Janis Joplin und Jimi Hendrix bis zu Kurt Cobain: Die populäre Musik schreibt sie gern, die Geschichte vom am Ruhm zerbrochenen und zu früh verblühten Genie. Sehr viel seltener, aber noch tragischer ist die umgekehrte Geschichte, die vom zeitlebens verkannten Genie, das erst nach seinem Tode den verdienten Ruhm erhält, die Geschichte von Pauline Anna Strom.

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Strom wurde 1946 geboren und wuchs auf im konservativen Süden der USA. Von Geburt an ohne Augenlicht, ging sie in den 70er-Jahren als Blumenkind nach San Francisco und entdeckte die geheimnisvolle Welt der synthetischen Klangerzeugung. Mit ihren Synthesizern schuf sie eine Melange aus der Klassik von Bach bis Chopin, die sie aus dem Elternhaus kannte, und den psychedelischen Klängen des Hippie-Rocks. Sie war eine Pionierin, nahm Genres wie Ambient, Chill-Out oder New-Age-Musik vorweg und revolutionierte nebenbei die Musikproduktion: Statt als Bandkollektiv Songs aufzunehmen, versuchte sie mit ihren Maschinen die Musik aus ihrem Kopf nachzubauen. Ein Verfahren, das heute Standard ist.

Aber die sieben Alben, die Strom in den 80er-Jahren unter dem Namen Trans-Millenia Consort veröffentlichte, erschienen meist im Selbstverlag und oft nur auf Kassette. Ignoriert von der Musikindustrie, musste sie ihre Geräte verkaufen und ein Auskommen als Reiki-Meisterin finden. Erst 2017, Strom lebte mit ihrem Mitbewohner, einem Leguan, immer noch in demselben Appartement in San Francisco, wurde sie entdeckt. Ein renommiertes Avantgarde-Label aus New York veröffentlichte eine Werkschau, die von der Presse enthusiastisch gefeiert wurde. "Ihre Musik erzählt davon, wie es ist, eine Seele zu besitzen", schrieb der "New Yorker".

Angestachelt von der späten Aufmerksamkeit, begann die alte Dame wieder mit der Musik und nahm mit Angel Tears in Sunlight ein Album mit neuen Stücken auf, und es beweist, dass gerade Ambient nicht einlullend, sondern spannungsgeladen sein kann. So lässt sie wundersame elektronische Sounds quer durch weitgefasste, luftige Klangräume mäandern wie eine Forscherin, die einen unbekannten Kontinent entdeckt. Mitunter drohen die nassforschen Laute auch über den Rand der bekannten Welt zu kippen, die Strom mit vibrierenden Klangflächen huldvoll abzumessen versteht.

Doch erleben konnte sie ihren künstlerischen Triumph nicht mehr. Im Dezember 2020, nur wenige Wochen, bevor die wundervolle Musik, die sie im hohen Alter noch komponierte, erscheinen konnte, ist Pauline Anna Strom im Alter von 74 Jahren verstorben. Thomas Winkler

Pauline Anna Strom: "Angel Tears in Sunlight", CD/Vinyl/Digital, RVNG Intl./Cargo, VÖ: 19.2.2021

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Diana Rasina: Romance

Die Musik der rumänischen Sängerin Diana Rasina wurzelt in der Tradition, klingt aber zugleich ganz zeitlos. Das hat sie schon mit ihren Bearbeitungen von Songs aus ihrer Heimat bewiesen. Ihre neue CD heißt Romance. Und das nicht nur wegen der Liebeslyrik, sondern auch wegen der Vielfalt der romanischen Sprachen, in denen Rasina singt. Neben ihrer Muttersprache Rumänisch singt sie auch in verschiedenen anderen romanischen Sprachen und Dialekten. Unter anderem in Französisch, Spanisch, Portugiesisch und Neapolitanisch. Einen Song gibt's sogar in der vierten Amtssprache der Schweiz – in Rätoromanisch. Wer mag, kann die Originaltexte und deren deutsche Übersetzung im Booklet verfolgen und sich in die frappierenden Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede vertiefen. Sehr sympathisch: Die Wahl-Wienerin Diana Rasina stellt ihren Gesang in den Dienst des Projekts und der poetischen Songtexte, ohne sich selbst zu wichtig zu nehmen. So bietet sich ihren Begleitern an Akkordeon und Gitarre immer wieder die Gelegenheit, durch improvisierte Parts die Tradition mit der Gegenwart zu verbinden. Peter Rixen

CD Bayla/Galileo Music Communication

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Masha Qrella: Woanders

Thomas Brasch war ein Star des Kunstbetriebs, ein Dichter, Theater- und Filmemacher, Sohn des SED-Funktionärs Horst, Bruder des Schauspielers Klaus, des Schriftstellers Peter und der Radio-Moderatorin und Autorin Marion, ein Staatskünstler, Dissident und Flüchtling, der in seiner Biografie und seinem Werk eine ikonografische Geschichte zwischen den beiden deutschen Staaten schrieb. Masha Qrella ist eine gefeierte Gitarristin und Sängerin in experimentellen Rockbands, ein Kind des wiedervereinigten Deutschlands, das seine Ostberliner Kindheit und Jugend nie zum Thema ihrer Songs machen wollte. Bis sie Braschs Gedichte und Texte fand, sie zu vertonen begann und dabei entdeckte, dass der bereits 2001 verstorbene Autor nicht nur mindestens so viel über die Gegenwart wie über die Vergangenheit zu erzählen hat, sondern sich in seinen Worten ihre eigene Identitätssuche spiegelt. Auf Woanders verschmelzen nun in berückenden Songs zwei Künstlerleben zu einem Kaleidoskop der deutsch-deutschen Gegenwart. Wohl nie klang ein gesellschaftspolitisches Essay so großartig. Thomas Winkler

CD/Vinyl/Digital, Staatsakt/Bertus, VÖ: 19.2.21