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Dierk Hirschel leitet den Bereich Wirtschaftspolitik bei ver.diKay Herschelmann

In der Pandemie lebt der Staat auf Pump. Rettungsschirme, Überbrückungshilfen, Konjunkturpakete, steigende Sozialausgaben und hohe Steuerausfälle belasten die Kreditkarte der Kassenwarte mit mindestens 340 Milliarden Euro. Der heimische Schuldenberg wächst auf über 2,2 Billionen Euro. Ein Grund zur Panik ist das nicht. Berlin kann problemlos mit den höheren Schulden leben. Die Schuldenquote – der Anteil der Staatsschulden am Sozialprodukt – liegt bei international niedrigen 71 Prozent. Davon können Washington oder Tokio nur träumen. Die Zinsen sind auf Rekordtief. Fast alle deutschen Staatsschulden sind negativ verzinst. In unsicheren Zeiten stehen die Investoren für sichere Wertpapiere Schlange. Wenn der deutsche Finanzminister sich von Anlegern 1.000 Euro leiht, muss er nach zehn Jahren nur 900 Euro zurückzahlen. Letztes Jahr verdiente Olaf Scholz mit neuen Staatspapieren sieben Milliarden Euro. Und wenn die Leihfrist abläuft, wird der alte Kredit einfach durch einen neuen Schuldschein ersetzt. In den nächsten Jahren könnten wir also bequem aus den Corona-Schulden herauswachsen.

Schulden sind kein Teufelszeug. Kreditfinanzierte öffentliche Investitionen stärken die wirtschaftliche Entwicklung. Für jeden investierten Euro steigt das Sozialprodukt um bis zu 1,8 Euro. Solange die Wachstumsraten höher sind als der Zins, sinkt sogar die Schuldenquote. Folglich spricht nichts dagegen, auch zukünftige Investitionen mit der Kreditkarte zu bezahlen. Schließlich haben wir einen gigantischen Investitionsbedarf. Allein der Investitionsstau der Städte und Gemeinden beläuft sich auf 147 Milliarden Euro. Berlin muss die äußerst günstigen Finanzierungsbedingungen nutzen, um jetzt in Klimaschutz, Gesundheit, Bildung,

„Bei Vermögen und Erbschaften ist Deutschland eine Steueroase.“

Digitalisierung, öffentlichen Personennahverkehr und Wohnen zu investieren. Ein ökonomisch vernünftiger Umgang mit Staatsschulden scheitert jedoch an nationalen und europäischen Schuldenregeln. Die Schuldenbremse zwingt Bund und Länder dazu, die Corona-Kredite zeitnah zu tilgen. Diese Rückzahlungs-pflicht frisst den künftigen Verschuldungsspielraum auf. Für zusätzliche Investitionen in Klimaschutz und Sozialstaat ist die Kreditkarte dann gesperrt. Die Schuldenbremse entpuppt sich in der Praxis als Investitions- und Zukunftsbremse. Deswegen sollte die Schuldenbremse endlich abgeschafft werden. Zur Not reicht es auch, kreditfinanzierte Investitionen vom Schuldenregelwerk auszunehmen. Eine solche Lockerung stößt aber auf massiven Widerstand. Als Kanzleramtsminister Helge Braun, CDU, kürzlich für eine Reform der Schuldenbremse warb, erntete er aus den eigenen Reihen einen Shitstorm. Der Streit um die Schuldenbremse ist Teil eines großen Verteilungs-konflikts. Ohne eine Reform der Schuldenregeln kann nur eine umverteilende Steuer- und Abgabenpolitik sicherstellen, dass noch ausreichend in Infrastruktur, Daseinsvorsorge, soziale Sicherung und Klimaschutz investiert werden kann. Geld ist genug da. Das private Nettovermögen beläuft sich auf 13 Billionen Euro. Das ist mehr als das Fünffache der Staatsverschuldung. Der private Reichtum konzentriert sich in wenigen Händen. Das reichste Zehntel der Bevölkerung besitzt fast zwei Drittel, die Superreichen – das reichste 0,1 Prozent – ganze 16 Prozent dieses Nettovermögens.

Eine einmalige Vermögensabgabe könnte die außergewöhnliche Finanzlast der Pandemie sozial gerecht bewältigen. Hohe Freibeträge und ein progressiver Tarif würden dafür sorgen, dass die Superreichen den Großteil der Abgabenlast – 90 Prozent – tragen. Insgesamt könnte eine solche Abgabe bis zu 470 Milliarden Euro einbringen. Verteilt auf 20 Jahre entspricht dies jährlichen Mehreinnahmen von 23 Milliarden Euro. Da diese Abgabe rückwirkend erhoben würde, gäbe es auch keine Möglichkeit zur Kapitalflucht. Nach der Krise brauchen wir eine Steuerpolitik, die den privaten Reichtum stärker in die Pflicht nimmt, um die öffent-liche Armut zu überwinden. Große Vermögen, sehr hohe Einkom-men, Erbschaften und Unternehmensgewinne tragen zu wenig zur Finanzierung des Gemeinwesens bei. Zwischen 1998 und 2015 wurden die reichsten 30 Prozent der Bevölkerung steuerlich ent-lastet, während die unteren 70 Prozent mehr Steuern zahlen mussten. Unternehmen zahlen heute auf ihre Gewinne weniger als 20 Prozent Steuern. Bei Vermögen und Erbschaften ist Deutschland eine Steueroase. Aktuell betragen die Einnahmen aus vermögens-bezogenen Steuern nur ein Prozent der Wirtschaftsleistung. Deswegen müssen Topverdiener, Großerben, Multimillionäre und Milliardäre sowie finanzstarke Unternehmen zukünftig stärker besteuert werden.