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Romy Liebs mit zweien ihrer vier KinderFoto: ver.di Hamburg

"Im Frühjahr habe ich jeden Tag durchgehend von 6 bis 21 Uhr gearbeitet", beschreibt Romy Liebs, Bankkauffrau mit vier Kindern und einem Mann im Homeoffice, ihren Alltag im ersten Lockdown in Hamburg. Ihr Arbeitgeber habe sich vorbildlich gezeigt und allen, die es wollten, Homeoffice ermöglicht. Dann kam die Realität. "Ich musste mich in mein provisorisches Büro einschließen, um eine Zoomkonferenz durchführen zu können. Es ist kaum möglich, mitzukriegen, was der Chef sagt, wenn die Lütte gerade den Fußboden anmalt."

Pausen hatte Romy nur, wenn sie mal drei Minuten zur Toilette ging. Sonst rieb sie sich zwischen Arbeit und den Homeschooling-Aufgaben einer weiterführenden Schule und einer Grundschule für ihre beiden schulpflichtigen Kinder auf. Mittlerweile ist sie in Elternzeit, die Belastungen sind aber kaum weniger geworden, sagt sie. Das Homeschooling ist geblieben, dazu ein Kitakind und jetzt noch ein Säugling. Das mache die Nerven dünn und die Geduld superkurz. Dem patzigen: "Ihr wolltet ja Kinder", hält Romy die neuen Rahmenbedingungen und das stressige Vollprogramm für Eltern im Lockdown entgegen. "Eine Entlastung ist nicht in Sicht. Wenn Corona vorbei ist, brauch ich `ne Kur."

Von den Schulen wünscht sich Romy eine Verkleinerung der Klassenstärken. "Die Konferenzräume in Hotels stehen leer, warum wird dort kein Präsenzunterricht für kleine Gruppen angeboten?" Und für sich selbst? "Eine Freistellung von der Arbeit wäre das Allerbeste."

Corona-Soli muss her

Die Dreifachbelastung für Eltern, vor allem für Frauen, kritisiert Karin Schönewolf, Vorsitzende des ver.di-Landesbezirksfrauenrates.Meist sind sie es, die die Aufgabe der Ersatzlehrerin zusätzlich zu Job und Haushalt übernehmen. Sie warnt, dass Frauen dadurch beruflich zurückfallen werden und vor allem Alleinerziehenden Armut drohe. Richtig wäre Schönwolfs Meinung nach ein voller Nettolohnersatz, der von Unternehmen und/oder aus Steuergeldern zu bewerkstelligen sei. Die Neuregelung der Kinderkrankentage löse die Probleme nur bedingt. Schönewolfs Vorschlag: "Der Soli für den Osten ist so gut wie abgeschafft. Jetzt muss ein Corona-Soli her."

Der würde auch Doreen Knölke helfen. Sie ist Zustellerin bei der Post und arbeitet im Schichtdienst. Ihr Mann ist im Homeoffice, sie haben ein Grundschulkind und leben in Rahlstedt. Doreen ärgert besonders, dass bei der Notbetreuung in den Schulen tatsächlich nur betreut werde und quasi kein Unterricht stattfinde: Von insgesamt 24 Schüler*innen in der Klasse ihres Kindes sind 13, also mehr als die Hälfte, in Notbetreuung, also tatsächlich in der Schule, sagt sie. "Warum wird das nicht genutzt und echter Wechselunterricht angeboten? Zwölf Kinder zu Hause und zwölf in der Schule, und dann wird hybrid und präsent unterrichtet."

Das Lernen müsse wieder in den Vordergrund rücken, nicht die Betreuung. "Alles wird auf Kinder und Eltern abgewälzt." Die Politik solle dafür sorgen, dass Hybridunterricht an Grundschulen möglich gemacht wird, fordert Doreen.

Um Betroffene wie Doreen Knölke und Romy Liebs zu Wort kommen zu lassen, haben die Hamburger ver.di-Frauen jetzt einen Aufruf als digitale Aktion gestartet. "Bei dieser Aktion bekommen die Forderungen Gesichter", sagt Anna Janzen, Gewerkschaftssekretärin bei ver.di Hamburg. "In Kurzfilmen, die die Betroffenen – Mütter und Väter – von sich selbst zum Beispiel mit dem Handy drehen, beschreiben sie ihre Situation und benennen, was sich verändern muss."

Das seien Themen, die auch zum Internationalen Frauentag am 8. März, gehören und die die Hamburger ver.di-Frauen deshalb auch genau an diesem Tag platzieren werden.

Corona-Schutzschirm für Eltern und Kinder

Wir fordern:

Ein Recht auf individuelle Freistellung von der Erwerbsarbeit bei gleichzeitigem vollständigen Nettoeinkommensersatz für Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuen/beschulen und eine analoge Vergütung für arbeitssuchende oder aus anderen Gründen nicht erwerbstätige Eltern (Schluss mit der Verlagerung von bezahlter zu unbezahlter Care-Arbeit!)

Finanzierung des Volllohnersatzes bzw. der Vergütung über Arbeitgeber- oder steuerfinanzierte Modelle

Keine negativen Auswirkungen auf die berufliche Karriereperspektive von berufstätigen Frauen und Männern, die aufgrund der Kinderbetreuung/-beschulung zu Hause in dieser Zeit nicht arbeiten

Angebot zur Notbetreuung/-beschulung von Kindern in Kita oder Schule, wenn die Eltern in systemrelevanten Berufen arbeiten oder aus anderen Gründen ein besonderer pädagogischer Bedarf vorhanden ist

Auszug aus dem Aufruf der Hamburger ver.di-Frauen. Mehr unter

Klare Haltung gefordert

"Die Kinder von heute sind die Fachkräfte und Unternehmer*innen von morgen. Deshalb sind die Folgen der Kita- und Schulschließungen und damit die aktuelle Situation der Eltern und Kinder kein Privatproblem, hier muss gesamtgesellschaftlich Verantwortung übernommen werden – auch und gerade, um die sozial schwachen Haushalte zu erreichen und zu unterstützen. Wenn Lernerfolg wieder von der sozialen oder sprachlichen Herkunft oder dem Bildungsstand der Eltern abhängig wird, hat Hamburg (und auch ganz Deutschland) einen Riesenschritt rückwärts gemacht.

Wir brauchen auch die klare Haltung der Arbeitgeber, dass es ok ist, wenn Eltern jetzt sagen, dass sie ihrer Erwerbsarbeit nur eingeschränkt oder gar nicht nachkommen können, weil sie sich zu Hause um die Bildung ihrer Kinder kümmern müssen. Sie bewegen sich dabei oft genug am Rande ihrer Belastungsgrenze und benötigen die Solidarität ihrer Kolleg*innen und Vorgesetzten. Es darf ihnen dadurch kein Nachteil entstehen."

Sandra Goldschmidt, stellvertretende Landesbezirksleiterin ver.di Hamburg.