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Ya Tseen: Indian Yard

Alaska ist mitunter so unwirtlich, dass die Reise mit der Fähre von Sitka nach ­Juneau über zwölf Stunden dauert, obwohl die beiden Städte nicht einmal 150 Kilometer Luftlinie voneinander entfernt sind. Trotzdem nahm Nicholas Galanin den Weg immer wieder auf sich. Denn während er mit seiner Band Ya Tseen im heimischen Sitka im Studio war, musste er immer wieder die Reise nach Juneau antreten, um dort einen Totempfahl zu schnitzen.

Denn zuerst einmal ist Galanin ein erfolgreicher bildender Künstler. Seine Werke, inspiriert von der Kunst seiner Tlingit- und Aleuten-Vorfahren, sind seit Jahren auf Ausstellungen in der ganzen Welt zu sehen. Eingeladen war er auch schon zu den Biennalen in Venedig oder Sydney. Im Hyde Park der australischen Metropole errichtete Galanin ein Grab in der Form eines Denkmals des Eroberers James Cook – ein typisches Beispiel für seine Kunst, die sich vielschichtig auf Geschichte und Gegenwart bezieht, aktuelle Diskussionen aufgreift und stets ein eindeutiger Kommentar zu Kolonialismus, Kapitalismus und der Situation der Indigenen ist.

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„Der Kolonialismus war sehr erfolgreich damit, uns in Schubladen zu stecken“, hat Galanin einmal gesagt. Und sich immer gegen alle Schubladen gewehrt, aber genauso gegen das, was er „erzwungene Assimilierung“ nennt. Auch auf die bildende Kunst mochte sich der 1979 geborene Künstler nie beschränken. Er dreht kurze Filme, fotografiert, baut Installationen, stellt Schmuck her, tritt immer wieder als Politaktivist in Erscheinung – und macht zudem noch Musik. Nach verschiedenen, eher experimentellen Solo-Projekten und Kollaborationen, ist Ya Tseen nun der Versuch, international anschlussfähige, gar hitparadentaugliche Popmusik zu produzieren.

Für das Debütalbum Indian Yard hat sich das Trio, das neben Galanin aus Zak D. Wass und Otis Calvin III besteht, zudem Hilfe von anerkannten Größen wie „Portugal. The Man“ geholt. Und wäre einer der Songs nicht in der Eskimo-Sprache Yukip gesungen, würde man gar nicht bemerken, dass dieses Album auch ein selbstbewusstes Statement indigener Kultur ist, kommen doch Tracks wie Get Yourself Together als erdiger und tanzbarer Funk daher, während durch Close The Distance fröhlich die Sonne scheint. Immer wieder ist Galanins Hintergrund zu hören, und nicht zuletzt in den Texten verarbeitet er indigenen Alltag und Traditionen. Das Wichtigste aber: Ya Tseen lassen sich in keine Schublade sperren, erst recht keine, auf der der überholte und diskriminierende Begriff „Weltmusik“ steht. Thomas Winkler

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Marianne Faithfull & Warren Ellis: She Walks In Beauty

Sie ist 74 Jahre alt, diese Stimme – und jedes einzelne Jahr ist ihr anzuhören. Da ist es nur konsequent, dass Marianne Faithfull auf ihrem neuen, ihrem 21. Album nicht mehr singt, sondern spricht. Zugegeben, auch auf ihrem größten Erfolg Broken English war der Gesang eher ein unheilvolles Brummen. Das war 1979, auf dem Cover trug Faithfull eine Zigarette zwischen den Fingern, und viele Päckchen später sind Stimmbänder und Stimmung endgültig teerdunkel. Aber das passt: Denn während Warren Ellis, der vor allem als ständiger musikalischer Begleiter von Nick Cave bekannt wurde, elegante Ambient-Klangflächen aus Streichern und Klavier verlegt, trägt die Ikone Gedichte von ausschließlich großen Namen aus der britischen Literaturgeschichte vor, in denen der Tod allgegenwärtig ist. Diesem Tod war Faithfull, die während der Aufnahmen an Covid-19 erkrankt war, selbst sehr nah. Es ist diese Erfahrung, die sie nun auch mit beschädigter Stimme befähigt, den Reimen von Percy Bysshe Shelley, John Keats, Lord ­Byron oder William Wordsworth einen faszinierenden Facettenreichtum zu geben. Die Ernte, so heißt es in einem der Gedichte, ist lang schon eingefahren, aber der Sensenmann, das versichert uns Marianne Faithfull mit ihrer Stimme, muss keine Schreckensgestalt sein. Thomas Winkler

CD, BMG Rights Management/Warner

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Dagobert: Jäger

„Ich will nie wieder arbeiten/nur noch schön durch den Tag gleiten/nichts anderes tun, als an dich denken/mich von nichts und von niemandem ablenken“ – diese Wunschvorstellung erscheint ­einem in Corona-Zeiten ja eher düster als erstrebenswert. Käme sie nicht vom eremitenhaften Wahlberliner Dagobert, der sich, noch bevor wir alle uns isolieren mussten, geradezu prophetisch auf eine Berghütte in der Schweiz, seiner Heimat, zurückzog, um sich dort der Introspektion, der Musik und dem Sekttrinken hinzugeben. Das ­Ergebnis ist sein Album Jäger und klingt wie eine Mischung aus all den Schlagern, die man schon einmal gehört hat, aber gut fand. Da gibt es einerseits Schunkel-Chöre, Streicher und Glocken, Natur, Liebe, 80er-Synthie-Pop und süß­liche Refrains zum Mitsingen. Aber gleichzeitig eine alles durchdringende Coolness, einen Tiefsinn und durchre-flektierte Sorglosigkeit, die so nur von jemandem kommen kann, der mit sich selbst, der Liebe, dem Leben und dem Sterben im Reinen ist. Jäger ist die gute Art Kitsch. Die, bei der man sich selbst auf einer sonnigen Almhütte wähnt. Mit offener Jacke, vor sich ein großes Glas „G’spritztes“, sinnierend über die Liebe und das Leben. Feline Mansch

CD, Record Jet