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Als Gag sage ich immer, ich heiße Schaffernicht wie schafft nix. Doch das gibt es in der Intensivpflege nicht. Die Arbeit ist seit Covid so schwer wie nie. Stundenlang sind wir unter Plastikkitteln und arbeiten mit Atemschutzmaske. Wir schwitzen und kriegen kaum Luft. Dazu ist die psychische Belastung enorm gestiegen. Die Patienten haben große Angst und verstehen nicht, was passiert. Sogar junge Menschen sterben an dem Virus.

Meine Ausbildung zur Krankenschwester habe ich 1981 in Gießen im Bundeswehrkrankenhaus gemacht. Auf 20 Stellen gab es 800 Bewerbungen. Der Ruf war gut, weil mit den Schülerinnen nicht die Löcher in der Personaldecke gestopft wurden. Nach meiner Ausbildung habe ich zunächst in einer Lungenfachklinik mit Schwerpunkt TBC und Lungenkrebs gearbeitet. 1987 wechselte ich zur Uniklinik Gießen auf eine neurologische Normalstation mit pflegebedürftigen Patienten, etwa nach Schlaganfall oder neuromuskulären Erkrankungen. Ab 1989 arbeitete ich auf einer 10-Betten-Intensivstation mit akut lebensbedrohlichen neurologischen Erkrankungen. Parallel machte ich nebenberuflich die zweijährige Zusatzqualifikation zur Intensivfachpflege. Mit zwei Kindern habe ich vorübergehend in Teilzeit gearbeitet und später, als mein Mann 2003 starb, wieder mehr Stunden. Die Uniklinik in Gießen war die erste, die privatisiert wurde. Ab dem Zeitpunkt habe ich miterlebt, wie sich das Profitdenken auf den Klinikalltag auswirkt und aus 10-Bett-Intensivstationen plötzlich 30 Betten wurden. Immer weniger Personal musste immer mehr Patienten betreuen. Die Politik hat uns da im Stich gelassen.

Immer an der Grenze von Tod und Leid

2013 ging ich zur Charité nach Berlin. Ich bin es gewohnt, in meinem Beruf immer wieder an die Grenze von Tod und Leid zu gehen. Doch jetzt mit Corona kommt der Tod so plötzlich. Die intubierten Patienten liegen auf dem Bauch. Wir sehen ihr Gesicht nicht. Angehörige dürfen nur alle zwei Tage eine Stunde zu ihnen rein. Nähe und Berührung sind nicht möglich. Ein Sterben in Würde ist erschwert. Die Toten werden in Säcke gepackt und der Reißverschluss zugezogen. Das geht nicht spurlos an uns vorbei. Trotzdem müssen wir immer hochkonzentriert arbeiten. Klar sind wir es gewohnt, in Verkittelung zu arbeiten. Wir sind auf Seuchen vorbereitet und auf Ebolainfektion trainiert. Doch diese ständige Hochleistung, als Level 1 Station in der Pandemie, das bringt uns an jegliche Grenzen. Covid trifft das Pflegepersonal doppelt hart, denn wir arbeiten mit einem hohen Infektionsrisiko, und der notwendige Lockdown nimmt uns, wie jedem in der Gesellschaft, den Ausgleich. Die Erschöpfung physisch und psychisch ist so massiv, ich fürchte, nach Covid wird das System kollabieren, weil die Pflegekräfte nicht mehr können. Doch wir werden mehr denn je gebraucht, weil die Welle an zu versorgenden Patienten nach Eindämmung der Pandemie enorm wird. Darum ist es uns so wichtig, eine Veränderung mit dem Tarifvertrag "Entlastung" auf den Weg zu bringen. Für eine Zukunft in der Pflege. Protokoll: M. Lühring, Foto: R. Koßmann