Ozan Ata Canani: Warte mein Land, warte

Er sagt immer noch „Gastarbeiter“. Denn das war sein Vater, der bis zu seinem Tod daran glaubte, in die alte Heimat zurückzukehren. Und das war Ata Canani selbst, nachdem er mit zwölf nach Deutschland kam. Er war ein Gastarbeiter, weil er Jahrzehnte lang hart arbeitete, und weil das neue Land ihn spüren ließ, dass es ihn als Gast sah. Damals schrieb er darüber Lieder. Nun, nahezu ein halbes Jahrhundert später, kann endlich jede*r diese Lieder hören.

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Foto: David Klammer

Warte mein Land, warte heißt das Album, das erste von ihm. Es erscheint Jahrzehnte zu spät, aber bezeichnenderweise im selben Jahr, in dem das sogenannte „Anwerbeabkommen“ zwischen Deutschland und der Türkei 60 Jahre alt wird. Manche der Lieder darauf haben türkische Texte, die meisten aber deutsche, manche sind neu, die meisten sind alt. „Ich hätte nie gedacht, dass meine Lieder nach 30, 40 Jahren doch noch ein Publikum in Deutschland finden würden“, sagt Canani. Er hatte die Hoffnung aufgegeben. Denn als er die Lieder schrieb, damals in den 70er Jahren, als er der erste Migrant war, der seiner neuen Heimat in deutschen Texten sein Herz öffnete und sich auf der Saz begleitete, wurde er zwar ein, zwei Mal ins Fernsehen eingeladen, aber ansonsten blieben Lieder wie Deutsche Freunde unbekannt. „Die Gastarbeiter haben mich nicht verstanden, weil sie der deutschen Sprache nicht mächtig waren“, erinnert sich Canani, „und den Deutschen war meine Musik zu orientalisch.“

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Diesen Schwebezustand zwischen den Welten, zwischen der alten Heimat und dem neuen Zuhause, der viele Migranten bis heute plagt, hat der heute 57-Jährige im Titelsong des Albums verarbeitet. In Import/Export geht es um Geflüchtete, Alle Menschen dieser Erde ist ein Plädoyer gegen Diskriminierung und Rassismus. „Jede Menge politische Sachen“ sind auf dem Album, sagt Canani. Und: „Ich bin froh, dass diese Lieder nun endlich erscheinen, und ich bin stolz, dass sie immer noch so aktuell sind – und ich fürchte, sie werden auch in hundert Jahren noch aktuell sein.“

Er war ein ungewürdigter Pionier, ein Vorläufer all der Rapper*innen und Popsänger*innen, die heute der Mehrheitsgesellschaft erklären, wie es sich anfühlt, in diesem Land mit einem Migrationshintergrund zu leben. „Ich habe für nachkommende Musiker den Weg eröffnet“, sagt Canani, und man hört den Stolz in seiner Stimme. Heute lebt er in Lever­kusen von Hartz IV, nach einem Herzinfarkt vor fünf Jahren kann er nicht mehr so hart arbeiten wie früher, er muss sich öfter hinsetzen, weil er keine Luft mehr bekommt. Aber er kann auftreten, seine Lieder spielen, kein Problem, sagt er, „hoffentlich geht das bald wieder“. Ja, hoffentlich. Es wird Zeit, dass diese Lieder endlich gehört werden.

Thomas Winkler

CD, Fun In The Church/Bertus

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Dota: Wir rufen dich, Galaktika

Die Selbstbezichtigung steht nicht allzu hoch im Kurs in der Popmusik. Dass man aus dem Thema aber durchaus einen intelligenten Song machen kann, beweist Dota auf ihrem neuen Album Wir rufen dich, Galaktika. Die Berliner Singer/Song­writerin, die als Kleingeldprinzessin mit Straßenmusik bekannt wurde, verarbeitet für Ich bin leider schuld die Zweifel und Ängste der Fridays-for-Future-Generation. Ihr Zugang ist ironisch, macht sich aber nicht lustig über die hehren Ideale. Eine Balance, die Dota Kehr immer wieder findet. Ob sie über das richtige Leben im falschen schreibt (Als ob) oder über den Feminismus (Bademeister*in), ob sie, um den Klimawandel zu verhindern, beschließt, Fotosynthese zu erlernen, oder im Titelstück ­eine lila Fee bittet, die Welt zu retten: Dotas Kunst besteht darin, in fein gedrechselten Sätzen und scheinbar harmlos-eingängigen Liedern die linksalternativen Befindlichkeiten zwischen Bioladen, Demo-Müdigkeit und genderpolitisch hinterfragtem Liebesleid nicht allzu ernst zu nehmen, aber sich trotzdem nicht über sie lustig zu machen. Thomas Winkler

CD, KLEINGELDPRINZESSIN/BROKEN SILENCE

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Toumanni Diabaté & London Symphony Orchestra: Kôrôlén

Der weltweit anerkannte Kora-Virtuose Toumani Diabaté aus Mali bildet mit fünf weiteren Musikern aus dem westafrikanischen Land Mali an den Instrumenten Balafon, Gitarre, Ngoni-Laute und Percussion plus Gesang den afrikanischen Teil des Projekts. Auf seinem neuen Album sind Diabaté & Co. gemeinsam mit dem renommierten London Symphony Orchestra, LSO, zu hören. Das ist das erste Mal überhaupt, dass die 21-saitige westafrikanische Harfengitarre Kora in einem sinfonischen Kontext erklingt. Die auf Jahrhunderte alten Traditionen beruhende Musik aus Afrika wird hier allerdings nicht einer orchestralen Breitseite ausgesetzt. Stattdessen geht das auf 30 Musiker*innen beschränkte LSO sehr behutsam vor: Es unterstützt die Sounds und Grooves der Afrikaner, lässt ihnen Raum, in dem sich ihre Improvisationen entfalten können und fügt ihnen aparte Sound-Texturen hinzu. So überwinden Toumani Diabaté und das LSO kulturelle Grenzziehungen und erschaffen eine archaisch-zeitlose westafrikanische Musik im Einklang mit europäischem Orchester-Sound. Eine faszinierende Pioniertat!

Peter Rixen

CD, LP & digital, World Circuit / BMG