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Wir, meine Mitinhaberin Anne Gregor und ich, haben die Buchhandlung "Die gute Seite" am Richardplatz in Neukölln 2014 gegründet. In dieser Gegend war das zu der Zeit schon ein Wagnis. Aber wir waren wohl zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Heute sind wir eine klassische Sortiments-Kiez-Buchhandlung. Das heißt von allem ein bisschen: Klassiker, Belletristik, Kinder-und Jugendbuch. Wir pflegen unsere Comic/Graphic-Novel-Abteilung sehr liebevoll. Wir sind ein Ort, wo man sich kennt, wo man sich austauscht, wo man Netzwerke schafft: von der Kitaplatz-Vermittlung bis hin zum Kontakt mit dem Baumpfleger, der dann mal in der Laube vorbeikommt.

Morgens geht's los: Bon-Drucker an, Computer an, Kaffeemaschine an, Rollo hoch, Bestellungen einsortieren. Bestellschluss ist abends 18 Uhr 30 zum nächsten Tag für über eine Million lieferbarer Titel – ein Dank an die Logistik! Die ist sowas Wunderbares, Geheimnisvolles. Die Pakete von der Großhändlerin werden nämlich nachts von den Fahrern in den Laden gestellt, die haben einen Schlüssel, und dann packen wir aus und sortieren die Titel ins Abholfach. Damit die Leute sie um 10 Uhr zur Ladenöffnung abholen können. Dann natürlich die Klassiker: Saugen, Wischen, Desinfizieren, E-Mails beantworten, und der Rest der Aufgaben verteilt sich über den Tag. Schwierig finde ich als Inhaberin, das Backoffice gut einzugliedern. Wenn ich eine Veranstaltung plane, die Buchhaltung erledige, eine Rezension für unsere Homepage schreibe, wenn ich einen Arbeitsvertrag aufsetze, wenn ich – wie vor zwei Wochen – die Info bekomme, dass hier eine Querdenker*innen-Demo vor unserer Tür stattfinden soll. Das alles kann ich mir nicht zwischen zwei Kund*innen-Gesprächen überlegen. Jeder, der mit Publikumsverkehr zu tun hat, kennt das: Man weiß nie, wie's wird. Aber dieser persönliche Kundenkontakt, der ist mir wichtig. Das fehlte in der Coronazeit. Sachen aus dem Fenster heraus zu verkaufen, hier ist das Buch, danke fürs Geld und tschüss – das fühlte sich seelenlos an.

Bei ver.di auf der Seite der Guten

Es ist schon ein bisschen kurios, jetzt bin ich ja selbst Arbeitgeberin und weiterhin bei ver.di organisiert. Aber es hätte sich für mich schlecht angefühlt auszutreten, weil das die Guten sind, und ich sehe mich auf deren Seite. Eingetreten bin ich aus Solidarität schon als Studentin, kurz vor der ver.di-Gründung 2001. Das gehörte für mich zum guten Ton. Ich finde es wichtig, dass Gewerkschaften nicht nur für Arbeitnehmer*innen da sind, sondern sich auch gesellschaftspolitisch einbringen, etwa bei der Mietenfrage. Und ich weiß den Rechtsschutz, das Mitgliedernetz und auch die Selbstständigenberatung sehr zu schätzen. Als nächstes wollen wir das Thema Ausbildung in den Blick nehmen, das wäre die Krönung. Wir haben uns jetzt hier etabliert und einen tollen sozialen Ort im Kiez geschaffen. Wir sind mit der Initiative Neuköllner Buchhandlungen gegen Rassismus am Start, wir bringen uns in der Nachbarschaft ein, und wenn wir jetzt noch ausbilden – das wäre das Sahnehäubchen obendrauf.