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Nach einer ersten Bestandsanalyse, zu der auch das Öffnen der Klienten-Post gehört, arbeiten die Berater*innen der Schuldnerhilfe klar auf Ergebnisse hinFoto: Michael Bause

ver.di publik: Frau Rüther, die Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung hat Ihre Beratungsstelle gerade mit dem Innovationspreis ausgezeichnet. Was macht sie so besonders?

Nina Rüther: Wir ebnen die Wege mit einem wirklich guten, persönlichen und mittlerweile auch "hybriden" Service. Ein Anruf bei unserer Schuldenhelpline genügt und man wird zu Fachkräften mit dem spezifischen Know-How verwiesen und dort nötigenfalls länger weiterbetreut. Auch bieten wir verstärkt Online- und Videoformate in der Beratung an – die "Hybridberatung". Telefon, Online, persönliche Beratungsgespräche und Videoformate ergänzen sich. Auch unsere Webseite ist da sehr übersichtlich.

ver.di publik: Dort machen Sie sich auch für die digitale Vernetzung mit anderen Beratungsstellen stark. Welche Vorteile hat das?

Rüther: Wir arbeiten überregional und vermitteln Hilfesuchende nach einer ersten Beratung an Partner vor Ort. Dabei hilft, dass wir unsere Kundenakten digitalisiert führen. So können gesparte Ressourcen und Zeit wieder in die persönliche Beratung fließen. Uns wiederum gibt das mehr Flexibilität bis hin zur Möglichkeit von Homeoffice; es fördert Transparenz und hilft, hohe Standards durchzusetzen. Wir nutzen das Netzwerk zum fachlichen Austausch mit unseren Verbundpartnern und geben Know-How weiter – alles im Interesse hoher Beratungsqualität.

ver.di publik: Wer braucht die Schuldnerhilfe?

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Sozialpädagogin Nina Rüther ist seit Februar 2021 Geschäftsführerin der Schuldnerhilfe Köln gGmbHFoto: Michael Bause

Rüther: Unseren Rat suchen Bezieher*innen von Arbeitslosengeld, aber auch sozialversicherungspflichtig Angestellte, Selbstständige, Freiberufler*innen, Student*innen, Senioren, Menschen, die Eigenheime bauen und finanzielle Probleme dabei haben. Wir bieten unseren Service aber auch Unternehmen an, sollten ihre Mitarbeiter*innen oder Kund*innen in finanzielle Schwierigkeiten geraten.

ver.di publik: Sie werden auch vorbeugend tätig. Wie geht das?

Rüther: Die Prävention ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Wir gehen in Schulen und Berufsschulen und klären Schüler*innen auf, worauf sie achten müssen, wenn sie etwa einen Handyvertrag abschließen, bei welchen Werbeangeboten sie vorsichtig sein sollten, um nicht in eine Schuldenfalle zu tappen. Wir nutzen dabei eigene Arbeitsmaterialien, die methodisch-didaktisch aufbereitet sind. Solche Veranstaltungen kommen sehr gut an. Normalerweise sind das etwa 65 im Jahr, jetzt in der Pandemie leider weniger.

ver.di publik: Und trotz alledem können Sie natürlich nur Hilfe leisten, wenn die Menschen sich an Sie wenden.

Rüther: Meist kostet es Überwindung, sich an eine Schuldnerberatungsstelle zu wenden. Zuvor muss man sich eingestehen: Aus meiner finanziellen Situation komme ich allein nicht mehr heraus, ich bin nicht nur ver-, sondern ich bin überschuldet. Und ich brauche Hilfe. Unser Part ist es dann, die Leute da abzuholen, wo sie gerade stehen. Wir machen ihnen den Einstieg möglichst einfach, sind zugewandt und verlässlich.

ver.di publik: Hat Corona Ihre Tätigkeit verändert?

Rüther: Wir mussten uns 2020 auf die neue Beratungssituation einstellen und die technischen Voraussetzungen schaffen. Doch unser Angebot war über das gesamte Jahr gesichert und hat mit kleinen Einschränkungen bei offenen Sprechstunden auch das komplette Spektrum geboten. Wir müssen uns natürlich ständig auf den aktuellen Stand neuer Verordnungen und staatlicher Hilfsangebote bringen. Das stellt zusätzliche Anforderungen an unsere Berater*innen.

ver.di publik: Und mit Blick auf die Ratsuchenden?

Rüther: Corona ist ein Schuldentreiber. Seit März 2020 verzeichnen wir um ein Viertel mehr Anfragen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hat zugenommen, Kurzarbeit schmälert die Einkünfte. Viele wissen nicht, wie sie Hilfen beantragen und sind ratlos, wie sie mit laufenden Krediten umgehen können. Wir sehen aber auch eine Tendenz, dass Arbeitgeber über uns ihren Beschäftigten eine Schuldnerberatung anbieten, um Fachkräfte zu halten. Die Insolvenzverfahren haben auch zugenommen. Ende vergangenen Jahres wurde das Restschuldbefreiungsverfahren bei privaten Insolvenzen von sechs auf drei Jahre verkürzt. Eine wichtige Änderung, die Schuldner können also schneller wieder in ein normales Leben kommen. Dazu haben die Leute viele Fragen. Wir bieten deshalb spezielle Informationen, die wir auch nach Corona als Videoformate beibehalten und ausbauen werden.

ver.di publik: Kommen auch mehr Studierende zur Beratung?

Rüther: Ja, die Student*innen leiden besonders darunter, dass ihre Nebeneinkünfte – häufig aus der Gastronomie – wegfallen. Viele kommen zu uns, weil laufende Kosten für Wohnung, Versicherungen, ein kleines Auto oder Kredite dann schon große finanzielle Engpässe verursachen. Die Verdienstmöglichkeiten sind dauerhaft beschränkt, deshalb sind die Beratungsfälle wesentlich komplexer geworden.

ver.di publik: Und bei den Selbstständigen?

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Beratung auf allen KanälenFoto: Michael Bause

Rüther: Viele sind seit Monaten beruflich ausgebremst und haben Zahlungsschwierigkeiten. Die fragen sich: Wie bringe ich die Miete für Büro- oder Ladenfläche auf, die ich nicht öffnen darf? Speziell für Selbstständige und Freiberufler*innen haben wir seit Beginn der Corona-Krise unsere Beratung ausgeweitet, um Existenzen möglichst zu sichern. Wir bieten ihnen mit Kooperationspartnern zwischen Köln und Aachen unsere spezielle "Krisenhotline" an. Leider warten viele aber zu lange ab. Manche hofften wochenlang, dass für sie doch noch staatliche Hilfsangebote kämen, ohne selbst etwas zu unternehmen. Das verschleppt Entwicklungen, auch Insolvenzen.

ver.di publik: Erleben Sie mehr Verzweiflung?

Rüther: Die Not und der Druck sind schon sehr hoch. Manche sehen ihre private und berufliche Zukunft komplett auf der Kippe. Das ist eine Herausforderung in der Beratung. Wir brauchen oft mehr Zeit, mehr Einfühlungsvermögen im Gespräch. Wir versuchen zu vermitteln, dass wir alle einen langen Atem, Zeit und Durchhaltevermögen haben, um die Situation gemeinsam durchzustehen.

ver.di publik: Wie verläuft ein solches Gespräch, wenn Ihnen zum Beispiel eine Musikerin berichtet, dass sie seit Monaten kein Einkommen mehr hat, beantragte Hilfen nicht eintrafen und sie keinen Ausweg sieht?

Rüther: Wir informieren uns möglichst detailliert über die Ausgangssituation. Das ist die Bestandsanalyse. Dann klären wir: Worum geht es ihr, was will sie dringend lösen? Ziel ist eine Art gemeinsamer Fahrplan für das weitere Vorgehen. Unsere Beratung zielt sehr konkret auf nächste Schritte, wir schaffen subjektiv Entlastung. Die kann damit beginnen, dass wir für jemanden leidige Post öffnen. Wir übernehmen mit der Vollmacht der Ratsuchenden auch die Korrespondenzen mit Gläubigern. Wir stehen den Menschen einfach zur Seite. Schuldnerberatung ist sehr zielorientiert, die Ergebnisse lassen sich gut messen. Wie nachhaltig Lösungen dann sind, ist damit noch nicht gesagt. Aber wir zeigen Licht am Horizont und arbeiten klar auf Ergebnisse hin.

ver.di publik: Und wenn nach der Pandemie ein Neuanfang nötig ist?

Rüther: Einige werden nicht umhinkommen, sich umzuorientieren. Da gilt es kreativ zu sein, Möglichkeiten auszuloten, die Handbremse wieder loszulassen. Bei uns arbeiten Jurist*innen, Schuldnerberater und Sozialpädagog*innen, die gemeinsam mit den Kunden eine Perspektive entwickeln, die sie wieder hoffen lässt. Und wir geben die Starthilfe.

Experten in der Beratung

Die Schuldnerhilfe Köln gGmbH ist seit über 30 Jahren eine Anlaufstelle für Menschen in finanziellen Notlagen. Als gemeinnützige Schuldnerberatungsstelle und Mitglied im Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt Köln finanziert sie sich überwiegend durch Zuwendungen vom Jobcenter und von der Stadt Köln sowie durch Spenden. Sie ist zudem ÖKOPROFIT-zertifiziert.

2019 suchten fast 600.000 Menschen in Deutschland eine Schuldner- oder Insolvenzberatung auf. Häufigste Auslöser sind Arbeitslosigkeit, Scheidungen und persönliche Schicksalsschläge, Erkrankungen oder Sucht, mit steigender Tendenz auch dauerhafte Niedrigeinkommen.

Fast alle Beratungsleistungen sind unentgeltlich. Die 18 Mitarbeiter*innen, zwei Ehrenamtliche und eine Honorarkraft in der Schuldnerhilfe Köln geben fast 4.000 Beratungen jährlich. Schwerpunkte sind Verbraucherinsolvenzberatung, Bauschuldenberatung und Krisenberatung für Selbstständige. Als Einstieg dient die kostenlose telefonische Beratung über die Schuldenhelpline 0800/689 689 6 oder online unter