Ausgabe 07/2021
Arbeit, Energie und Butter
À la Carte: Freiheit geht durch den Magen
Frankreich, am Vorabend der französischen Revolution. Der geniale Chefkoch Manceron geht ganz in seiner Bestimmung auf, die kulinarischen Gelüste seines Herzogs und seiner Gäste zu befriedigen. Die wollen immer nur dasselbe Blendwerk auf dem Teller sehen. Das Herz des Küchenchefs aber schlägt für die Lebensmittel aus der Region. Dazu brauche es nur noch "Arbeit, Energie und Butter!", und fertig sind Köstlichkeiten wie seine "Délicieuses" – delikate Pastetchen aus Kartoffeln und Trüffeln. Entgegen der strikten Anweisung, dem Herzog keinerlei Neuerungen zuzumuten, wagt er das Ungeheuerliche und schickt seine leckere Speise als Gruß aus der Küche raus.
Doch das geht gründlich schief. Eben noch schwadroniert der Herzog über die Qualitäten eines Gastgebers – Sinnlichkeit, Liebenswürdigkeit und Stil – da lassen er und seine dekadente Gesellschaft all dies gründlich vermissen. Der sanfte Manceron wird wegen der ordinären Kartoffel vor der Tafelrunde auf widerliche Weise beschämt und fristlos entlassen. Er und sein Sohn müssen zurück auf ihre ländliche Poststation und dort den Reisenden eine traurige Suppe servieren. Doch dann erscheint die schöne Louise, die beim Maître in die Lehre will – unerhört für eine Frau jener Zeit. Der Sohn hingegen ahnt bereits den nahenden Zeitenwandel und versucht die kulinarischen Instinkte des Vaters zu stärken: Möge er mit seinen Ideen aus dem eigenen Garten die französische Küche revolutionieren, das Volk werde es ihm danken. Mit viel Zeit für Gesten, Blicke und Landschaft erzählt Regisseur Éric Besnard hier die toll gespielte Romanze einer aufkeimenden späten Liebe zwischen Louise und Manceron.
Der historische Hintergrund bleibt dabei schön gemalte Kulisse. Vor ihr wird die Sinnlichkeit des Kochens zelebriert und nicht lange politisch gegründelt: Die Bevölkerung hungert, der Adel muss weg. In der neuen Zeit – der Sohn hat es geahnt – hat der Koch die Macht, ist der Kunde der König. Tatsächlich wurde das Restaurant in dieser Zeit erfunden, von einem Koch namens Boulanger. Mancerons Küche ist zauberhaft ausgeleuchtet wie die Bilder alter Meister. Bei Kerzenschein wird lustvoll geknetet, gebrutzelt und gerührt; zeitweise spielt hier der Ton die Hauptrolle, so delikat streicht der Pinsel über den Teigmantel, knacken die Eierschalen, rührt der kleine Reisigbesen die Mayonnaise an. Eine geschmackvolle Geschichte über große und kleine Revolutionen und die Geburt des Restaurants aus dem Geist von Kochkunst und Dienstleistung. Jenny Mansch
F/B, 2021, R: Éric Besnard, D: Grégory Gadebois, Isabelle Carré und Benjamin Lavernhe u.a., L: 115 Min., Kinostart: 25.11.21
JFK Revisited
Schon in seinem Thriller "JFK – Tatort Dallas" zweifelte Oliver Stone die offizielle Darstellung des Mordes am 35. amerikanischen Präsidenten an. 30 Jahre später kann er nun seinen Verdacht dank spektakulärer, inzwischen freigegebener Materialien untermauern. Sichtbar wird ein Berg aus Lügen, Vertuschungen und Korruption. Aus forensischer Sicht ist die Behauptung, Kennedy sei von einem Einzeltäter am Hinterkopf getroffen worden, nicht mehr haltbar. Schon 1963 diagnostizierte der beauftragte Gerichtsmediziner die Einschnitt-Wunde am Hals, revidierte aber sein Ergebnis einen Tag später, nachdem er wahrscheinlich bestochen worden war. Kennedys Leibarzt hüllte sich gänzlich in Schweigen, die größten Experten des Landes schloss die zuständige Warren-Kommission von der Obduktion aus. Der größte Skandal verbindet sich mit falschen Fotos von Kennedys Gehirn in einer streng vertraulichen Akte. Diese und noch weitere brisante Details deuten auf eine veritable Verschwörung hin, mit den Geheimdiensten und dem Pentagon als Hauptbeteiligten. Plausible Erklärungen dafür bietet die investigative Doku auch. Hochspannend! Kirsten Liese
USA 2021, R: Oliver Stone, 119 Min., Kinostart: 19. 11.21, Digitalstart 25.11.21
Stuck together
Wer wäre besser geeignet, unserer Corona-Gesellschaft mal eben die Hasskappe ab- und die Narrenkappe aufzusetzen, als der göttliche Dany Boon von den Sch'tis? Anfang 2020, die französische Hauptstadt befindet sich im Lockdown. Auch im Haus Nr. 8 in der "Straße der Menschlichkeit" liegen die Nerven der Mieter blank. Masken sind Mangelware, Tests und Impfstoffe noch nicht erfunden. Jeder geht auf seine Weise mit dem neuen Virus um und seinen Nachbarn mit entsprechenden Marotten auf die Nerven. Es wird geätzt, gezetert und desinfiziert. Vor dem Wissenschaftler aus dem Parterre ist auf der Suche nach einem Impfstoff kein Haustier mehr sicher, und der Eigentümer wartet nur darauf, dass die Barfrau von unten pleite geht oder stirbt, damit er dort seine E-Zigaretten verkaufen kann. Ohne die Tragik der Pandemie zu ignorieren, wird hier alles durch den Kakao gezogen, was die Menschheit angesichts der Corona-Krise an komischem Potential offenbart. Das Lachen über uns selbst als Ausweg aus der Spaltung? Mit Komödien wie dieser kann die Versöhnung gelingen.
Jenny Mansch
F 2021, R: Dany Boon, D: D. Boon, Liliane Rovére, Yvan Attal u.a., 125 Min., Netflix