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Ein Junge schreibt im Blindeninstitut, unterstützt von seiner Erzieherin, auf einer Braille-SchreibmaschineFoto: Karl-Josef Hildenbrand/picture alliance/dpa

Mütter, Väter, Omas, Opas, Erziehungsberechtigte, sie alle wissen, was es heißt, Kinder zu erziehen. Doch für den Beruf als Erzieher*in oder gar Heilerziehungspfleger*in genügt das nicht. Dazu gehört eine richtige Ausbildung – und die sollte in Praxis und Theorie gut sein, überall dieselben Aufstiegschancen eröffnen und anständig entlohnt werden.

Luis macht bei einer Diakonie in Baden-Württemberg eine Ausbildung in der Heilerziehungspflege (HEP). Dazu muss er jede Menge schriftliche Hausarbeiten abliefern und hat viel Unterricht, obwohl er schon mehrjährige Berufserfahrungen mitbringt. Andernorts wird in der Ausbildung die Praxis höher gewichtet. Luis findet, bei ihm stehe die Theorie zu stark im Fokus. "Am Ende zählt doch, wie gut ich arbeite." Auch bei der Bezahlung gibt es Unterschiede. "Manche verdienen 200 bis 300 Euro weniger als ich."

Aktuell gibt es in Deutschland viele Ausbildungswege für Erzieher*innen beziehungsweise in der Heilerziehungspflege. Mal mit viel Schule und wenig Praxis, mal umgekehrt. Einige Azubis bekommen eine richtig gute Vergütung, andere ein mickriges Praktikumsgehalt, und andere müssen sogar Schulgeld zahlen. Ständig wird etwas geändert, überall läuft es anders, sowohl in den einzelnen Bundesländern als auch bei den verschiedenen Trägern. "Das ist undurchsichtig. Dass jedoch Auszubildende in Berufen in denen dringend Personal gebraucht wird, teilweise auch noch Ausbildungsgeld mitbringen müssen, ist absurd", sagt Hanna Stellwag, bei der ver.di-Bundesverwaltung für Berufspolitik im Sozial- und Erziehungsdienst und für Ausbildungsfragen zuständig.

2030 werden 200.000 Fachkräfte fehlen

Doch warum ist das so? "Zum Großteil liegt das an der historischen Entwicklung des Erzieherinnenberufs. Im Grunde sind das ganz alte Zöpfe", sagt Stellwag. "Die ersten Kindertageseinrichtungen gab es vornehmlich ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Frauen kamen von höheren Mädchenschulen. Man schrieb ihnen zu, dass sie automatisch Kinder gut erziehen könnten. Nach der Heirat war es üblich, dass sie nicht mehr arbeiteten." 1942 wurde die Ausbildung zur Erzieher*in ins Berufsschulsystem ausgegliedert, erst 1967 hat sich zum ersten Mal die Kultusministerkonferenz (KMK) mit der Ausbildung von Erzieher*innen befasst und eine Rahmenvereinbarung abgeschlossen, aber eben kein Bundesgesetz. Darin steht nur, was das Ziel der Ausbildung ist, jedoch nichts zum Lohn. "Auf dem Niveau sind wir heute noch", sagt Stellwag. "Beide Berufsgruppen, Erzieher*innen und HEP, sind nach der KMK geregelt und kämpfen mit ähnlichen Problemen: Schulgeld, fehlender Anspruch auf Vergütung, Fachkräftemangel."

Daran müsse sich dringend etwas ändern, auch weil der Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften etwa in der Kindertagesbetreuung steigt. Eine vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegebene Untersuchung geht von einer Lücke von rund 200.000 Erzieher*innen bis zum Jahr 2030 aus. Die Folgen des Fachkräftemangels erlebt auch Tina. Sie macht die Ausbildung als HEP bei einem kommunalen Träger: "Die Arbeitszeiten werden nicht eingehalten, die gesetzliche Ruhezeit auch nicht und die Stellen sind befristet. Wir haben in meiner Wohngruppe nur eine Fachkraft, die anderen sind im Freiwilligen Sozialen Jahr oder Assistenzkräfte. Es kommen keine Bewerbungen. Viele sind unzufrieden und gehen nach der Ausbildung wieder, um noch zu studieren."

Immer mehr neue Ausbildungsmodelle

Die Bundesländer, private und kirchliche Träger reagieren auf den steigenden Fachkräftemangel mit einer Umgestaltung der Ausbildungen und ändern laufend irgendetwas. Neben der vollzeit-schulischen Ausbildung gibt es vermehrt neue Ausbildungsmodelle wie beispielsweise die berufsbegleitende Teilzeitausbildung oder zahlreiche Modelle praxisintegrierter Ausbildung. Bei der Suche nach Fachkräften erweisen sich dabei dual organisierte Ausbildungen nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) oder dem Gesetz zur Ordnung des Handwerks (HwO) als vorteilhafter gegenüber rein schulischen Ausbildungen, weil dort auch praktische Erfahrungen für den Arbeitsalltag gesammelt werden.

Hinzu kommen Erschwernisse beim Aufstieg wegen der unterschiedlichen Ausbildungswege. "In einigen Bundesländern liegt der Fokus bei der Ausbildung in der HEP beispielsweise mehr auf der Pflege, in anderen mehr auf der pädagogischen Arbeit. Bei einem Umzug wird die Ausbildung unter Umständen dann nicht voll anerkannt und eine Anstellung als Fachkraft verwehrt", sagt Hanna Stellwag. Wer sich aber für die Ausbildung entscheide, wolle verlässliche Bedingungen und überall dieselben Chancen, Rechte und beruflichen Möglichkeiten. Eine Modernisierung der Ausbildung für Erzieher*innen und Heilerziehungspfleger*innen ist aus ver.di-Sicht längst fällig. "Vor allem muss in den typischen Frauenberufen ein vernünftiges Ausbildungsgehalt gezahlt werden", betont Stellwag. ver.di will deshalb einen gesetzlichen Anspruch auf eine angemessene Vergütung für alle Auszubildenden erreichen.

Um die Ausbildungsbedingungen für Erzieher*innen grundlegend zu verbessern, hat ver.di in den vergangenen Monaten mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) und den kommunalen Spitzenverbänden intensive Gespräche geführt. Herausgekommen ist ein gemeinsames Eckpunktepapier zur Neuordnung der Erzieherinnen- und Erzieherausbildung, das Anfang November an verschiedene Bundesministerien und die Arbeitsgruppen, die den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung erarbeitet haben, versandt wurde. "In einer Zeit wachsenden Fachkräftemangels und deutlich steigenden Anforderungen an die Berufsgruppe der Erzieherinnen und Erzieher muss mit dem Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen Schluss gemacht werden", sagt die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Christine Behle und betont, gebraucht würden bundesweit einheitliche Regeln. Das Eckpunktepapier setze hierbei einen wichtigen Rahmen für eine Harmonisierung der Ausbildungsbedingungen. Den brauchen auch die Heilerziehungspfleger*innen.

Deshalb ist ver.di auch für die Auszubildenden der praxisintegrierten Ausbildung in der HEP aktiv und will in der Aufwertungstarifrunde 2022 für die Sozial- und Erziehungsdienste im öffentlichen Dienst erreichen, dass sie bei Bund und Kommunen eine tarifliche Vergütung nach dem TVöD bekommen.

Aufwertung Sozial- und Erziehungsdienste

Nachdem im März 2020 wegen Corona die Aufwertungsrunde für die Sozial- und Erziehungsdienste unterbrochen wurde, geht es für die Beschäftigten bei den kommunalen Arbeitgebern nun weiter. Die Forderungen werden Ende Dezember aktualisiert. Seit 2018 werden zum ersten Mal auch Erzieher*innen in Praxisintegrierter Ausbildung (PiA) vom Geltungsbereich des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) erfasst, 2020 haben sie ihre Vergütung in der Tarifrunde für Bund und Kommunen nochmal verbessern können. Jetzt geht es für die Sozial- und Erziehungsdienste bei Bund und Kommunen erneut um eine Aufwertung ihrer Tätigkeiten. Um verhandeln zu können, hat die ver.di-Bundestarifkommission für den öffentlichen Dienst die Tätigkeitsmerkmale zum 31. Dezember gekündigt. Im Frühjahr sollen die Verhandlungen mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) dann starten. Dabei soll dieses Mal auch für die Auszubildenden der praxisintegrierten Ausbildung in der Heilerziehungspflege die tarifliche Vergütung nach dem TVöD erreicht werden. Das bedeutet, die HEP im Geltungsbereich des TVöD bekämen dann auch endlich einen Tariflohn. Mehr Infos unter

Behindertenhilfe: Studie deckt hohe Belastungen auf

Wie es um die Arbeitsbedingungen in der Behindertenhilfe bestellt ist, macht eine Beschäftigtenbefragung der TU Darmstadt deutlich, deren zentrale Ergebnisse am 3. Dezember 2021, dem Tag der Menschen mit Behinderung, veröffentlicht wurden. Beschäftigte in rund 50 Betrieben beteiligten sich an dem Tag an öffentlichen Aktionen, verteilten Flugblätter und trugen an ihrer Kleidung einen Aufkleber mit der Aufschrift "Inklusion braucht uns. Wir brauchen Gute Arbeit." Laut der Studie denkt fast die Hälfte der Beschäftigten darüber nach, ihren Beruf aufzugeben, weil die Belastungen zu hoch und durch die Pandemie noch weiter gestiegen sind. Über 60 Prozent der mehr als 8.000 Befragten sind in den vergangenen zwölf Monaten krank zur Arbeit gegangen. Fast 80 Prozent berichten von gestiegenen Anforderungen infolge der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes. Die von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie deckt auf, dass auch die Versorgungsqualität unter den schlechten Arbeitsbedingungen leidet. So gaben nur gut 21 Prozent der Beschäftigten an, genug Zeit zu haben, um auf die Bedarfe und Anforderungen ihrer Klientinnen und Klienten eingehen zu können. Der hohen Belastung steht aus Sicht der Beschäftigten eine unzureichende Bezahlung gegenüber: Über drei Viertel der Befragten halten ihr Einkommen nur in geringem Maß oder gar nicht für angemessen. Mehr Infos unter