AnnaEbert9.jpg
Anna Elbert, 31, will nicht nur wählen, sondern auch redenFoto: Mario Moschel

Schon seit ihrer Ausbildung engagiert sich Anna Elbert für ver.di. Die 31-Jährige ist Gesundheits- und Krankenpflegerin am Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg und arbeitet seit 2016 auf einer Intensivstation. Gerade steckt sie mitten in einer Weiterbildung für Intensivpflege und Anästhesie. Mitte Februar wählt sie in der Bundesversammlung den neuen Bundespräsidenten mit.

ver.di publik: Wie waren die letzten zwei Jahre für dich?

Anna Elbert: Die Arbeit ist anstrengend und wird zunehmend schwieriger. Corona hat viel dazu beigetragen, aber anstrengend war es auch schon vorher.

Was macht die Arbeit auf einer Intensivstation mit Coronapatienten so schwer?

Zum einen die Schutzausrüstung, die wir tragen müssen, zum anderen der Krankheitsverlauf der COVID-Patienten selbst. Es geht diesen Patienten sehr schnell sehr schlecht, und das macht schon etwas mit einem, das mit anzusehen.

Zu Beginn der Pandemie standen viele Menschen am Fenster und haben für die Pfleger und Pflegerinnen geklatscht. Wie sieht es aus mit der Wertschätzung für die Menschen, die im Gesundheitssystem arbeiten?

Am Anfang waren wir wie euphorisiert! Wir dachten, dass die Pflegeberufe und das Gesundheitswesen endlich die Aufmerksamkeit bekommen, die nötig ist. Aber leider Gottes ist es beim Klatschen geblieben. Nichts hat sich zum Positiven entwickelt. Das System war ja schon vorher äußerst fragwürdig. Weil nichts gemacht wurde, hat sich die Situation von Jahr zu Jahr verschlimmert. Ich finde das traurig. Und irgendwie macht es mich tatsächlich sehr, sehr wütend.

Was hätte die Politik tun müssen?

Sie hätte schon vor der Pandemie genauer hinschauen müssen. Pflegenotstand und Fachkräftemangel waren schließlich bekannt. Das Thema hätte seit Jahren viel präsenter in der Politik sein müssen. Die Pandemie hat einmal mehr gezeigt, in welcher Situation wir uns befinden.

Die Politik hat schon versucht, etwas zu ändern.

Aber es ist beim Versuch geblieben. Den Beruf attraktiver zu machen und wertschätzender zu gestalten – das ist nicht gelungen.

Wie müsste man vorgehen?

Man müsste die Arbeit, die im Gesundheitswesen geleistet wird, besser honorieren. Und die Bedingungen generell verbessern. Jede Pflegekraft sagt: Es geht nicht nur darum, mehr Geld zu verdienen. Sondern darum, die Arbeit mal wieder so machen zu können, wie es würdevoll wäre für die Menschen, die in den Betten liegen. Wir wollen Zeit haben, um den Bedürfnissen der Patienten nachzukommen. Mir ist es ein Rätsel, warum das Gesundheitswesen am Profit ausgerichtet werden muss. Ich will, dass der Mensch und seine Gesundheit im Mittelpunkt stehen. Geschaffen wurden aber Rahmenbedingungen, die die Krankenhäuser zur Gewinnmaximierung zwingen.

Stehen die Ärzte auch so unter Druck?

Natürlich! Es stört mich sowieso, dass die Belastung der Intensivpflegekräfte immer so in den Fokus gerückt wird. Wir sind schließlich nicht die einzigen, die unter dieser Situation leiden. Auf den Normalstationen ist der Betreuungsschlüssel noch viel schlechter. Dabei liegen auch dort viele Schwerkranke. Und ohne Reinigungskräfte und Versorgungsassistenten würde ein Klinikum gar nicht funktionieren. Mein Lösungsansatz wäre, gemeinsam aufzustehen. Ärzte, Pflegekräfte und alle anderen Berufsgruppen. Wir sind schließlich alle voneinander abhängig. Darum würde ich mir wünschen, dass wir alle zusammen für unsere Rechte eintreten.

"Jedem da draußen ist bewusst geworden, wie wichtig ein funktionierendes Gesundheitswesen ist. Die Mehrheit der Bevölkerung will nicht, dass wir die Gesundheit wie eine Ware behandeln."

Du engagierst dich schon lange mit ver.di zusammen. Warum?

Ich glaube, das liegt in meiner Persönlichkeitsstruktur. Ich war schon immer ein Mensch, der sagt, was ihn stört. Ich kann doch nicht erwarten, dass das jemand anderes für mich tut. Gerade jetzt sehe ich viel Potenzial, etwas zu bewegen. Jedem da draußen ist bewusst geworden, wie wichtig ein funktionierendes Gesundheitswesen ist. Die Mehrheit der Bevölkerung will nicht, dass wir die Gesundheit wie eine Ware behandeln. Unsere Interessen sind auch die Interessen der Patienten. Darum kämpfe ich für bessere Bedingungen. 2018 haben wir hier an der Universitätsklinik die Entlastungstage erfunden und damit Tarifgeschichte geschrieben. Auch in der letzten Tarifrunde der Länder war ich Teil der Verhandlungskommission, die die Notdienstvereinbarung mit dem Vorstand ausgehandelt hat. Mir macht es Spaß, zu kämpfen. Und es freut mich sehr, wenn meine Fachkompetenz wertgeschätzt wird und ich damit weiterhelfen kann.

Was fordert ver.di für die Pflegekräfte?

Eine bessere Bezahlung; Entlastung; einen Freizeitausgleich; eine bessere Ausbildung der angehenden Pflegekräfte; mehr Zeit, um die Auszubildenden anzuleiten.

Was hältst du von der einrichtungsbezogenen Impfpflicht?

Ich finde sie schrecklich unverschämt! Warum sollte das nur bei uns gelten und anderswo nicht? Ich mag mir gar nicht ausmalen, was passiert, wenn das im März in Kraft tritt. Natürlich gibt es Menschen im Gesundheitswesen, die sich bewusst gegen eine Impfung entschieden haben. Zugleich herrscht Pflege- und Personalnotstand. Selbst wenn nur ein Bruchteil der Beschäftigten hinwirft, wird es eng. Ein marodes, jetzt schon wackliges System kommt dann noch mehr ins Stürzen. Das macht mir Angst.

Und die allgemeine Impfpflicht?

Die sehe ich ebenfalls sehr kritisch. Natürlich bin ich dafür, sich impfen zu lassen. Aber nach wie vor muss das jeder Mensch für sich selbst entscheiden. Wütend auf die ungeimpften Patienten, die bei uns auf Intensiv liegen, bin ich nicht.

Der Pflegebonus: Was hältst du davon?

Das gesamte Gesundheitswesen würde sich über eine Bonuszahlung freuen. Dies ist aber offenbar nicht vorgesehen. Die Pandemie verlangt ja nicht nur den Pflegepersonen auf Intensiv- oder Corona-Stationen extrem viel ab, sondern auch den Kolleginnen in der Langzeit- und der ambulanten Pflege und in der Behindertenhilfe sowie den Reinigungskräften und Funktionsdiensten. Mit einem Bonus ist allerdings das Kernproblem nicht behoben. Eine generelle Steigerung des Grundgehalts würde allen mehr helfen.

Wieviel sollte das sein?

Man muss sich angucken, wohin die Pflegekräfte abwandern: Einige arbeiten in einem völlig anderen Bereich, andere gehen in die Arbeitnehmerüberlassung, und die ist deutlich lukrativer. Würde man die Festanstellung diesem System finanziell angleichen, kämen wahrscheinlich viele Menschen an die Krankenhäuser zurück.

Willst du trotz aller Widrigkeiten im Beruf bleiben?

Ja. Weil ich ihn liebe. Auch wenn die Arbeit mit viel Frustration verbunden ist. Man geht oft nach Hause und hat ein komisches Bauchgefühl. Weil man weiß: Hätte man mehr Zeit gehabt, hätte man mehr tun können.

Was ist das Schöne an deinem Beruf?

Kein Tag ist wie der andere. Man geht zur Arbeit und weiß nicht, was auf einen zukommt. Das ist das Spannende. Immer muss man situationsabhängig entscheiden, was das Richtige ist. Dabei tauschen wir uns in einem interdisziplinären Team aus und versuchen, den bestmöglichen Weg für den Patienten einzuschlagen. Natürlich sieht man nur die schlimmsten Fälle. Aber wir begleiten die Patienten und ihre Angehörigen auf diesem Weg, wir hoffen und fiebern mit ihnen. Und es gibt einem schon viel, wenn man weiß, man hat dazu beigetragen, dass jemand in die Reha entlassen werden kann.

Was bedeutet es dir, Teil der Runde zu sein, die den Bundespräsidenten wählt?

Das ist eine große Ehre! Ich bin sehr dankbar dafür, diese Chance zu bekommen. Ich frage mich zwar, ob das seitens der Politik nur der Imagepflege dient, aber mein persönlicher Wunsch ist es, im Rahmen dieser Veranstaltung endlich auch für unsere Probleme Gehör zu finden.

Interview: Monika Goetsch

Anna Elbert, Intensivpflegekraft

Die Bundesversammlung

Die Bundesversammlung ist die größte parlamentarische Versammlung der Bundesrepublik. Sie wählt den Bundespräsidenten oder die Bundespräsidentin. Die nächste, die 17. Bundesversammlung, ist für den 13. Februar 2022 einberufen. Die Versammlung besteht aus allen Bundestagsabgeordneten und der gleichen Anzahl von Mitgliedern, die von den Volksvertretungen der Länder gewählt werden. In diesem Jahr gehören ihr 1.472 Mitglieder an. Mit Anna Elbert sind aus dem Saarland insgesamt neun Wahlberechtigte dabei.