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Nach dem Abitur habe ich eine Lehre zur Handweberin in Mecklenburg gemacht. In meinem Ausbildungsbetrieb webten wir Stoffe für das Kunsthandwerk, für Kirchen und Privatleute. Das Klappern der Webstühle habe ich noch heute im Ohr. Es entsteht, wenn das Schiffchen oder der Schützen den Faden hin und her schießt und mit der Schnelllade angeschlagen wird. Das klingt für mich wie Musik. Wie viel Stoff eine Weberin am Tag weben kann, hängt vom Material, von der Gewebebindung und der Feinheit des Gewebes ab. Es variiert von zehn Zentimetern am Tag bis zu mehreren Metern. Historische Stoffe werden auch heute noch von Handwebereien erstellt. Eine Revolution in der Geschichte der Weberei war 1805 die Erfindung der Jacquardmaschine, die im Prinzip wie Lochkarten funktioniert und jeden einzelnen Kettfaden automatisch heben und senken kann. Für jeden Schuss werden die teils hochkomplizierten Muster in der Maschine hinterlegt. Das geht bedeutend schneller als mit der Hand und hat in der Historie anfänglich zu erbittertem Widerstand der Zünfte geführt, die sich von der fortschreitenden Automatisierung bedroht fühlten.

Im Fernstudium zur Restauratorin

Nach der Ausbildung machte ich mich 1983 in Potsdam mit einem eigenen Webstuhl selbstständig und 1987 meinen Meister. Nach der Wende waren die besonderen Stoffe zu teuer und nicht mehr gefragt, ich musste mich umorientieren. Mein Glück war es, dass ich 1992 in der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg eine neue Arbeitsstelle in der Restaurierung bekam. Nebenbei machte ich über zehn Jahre berufsbegleitend eine Weiterbildung im Fernstudium für Restaurator*innen und schloss mit einem Diplom ab. Als Textilrestauratorin webe ich nicht selbst, sondern befasse mich mit den alten Stücken. Ich überlege aus mehreren Perspektiven in enger Zusammenarbeit mit Kunsthistoriker*innen, der Denkmalpflege und anderen das Vorgehen zu jedem Objekt – zum Beispiel Textilien in ihrem überkommenen Zustand zu konservieren, restaurieren oder eine originaltreue Kopie in Auftrag zu geben. Das ist ein langer Prozess von der Gewebe- und Faseranalyse über das Finden geeigneter Webereien bis hin zu Materialproben mit dem exakten Material und Muster.

Inzwischen bin ich Fachbereichsleiterin für Textilrestaurierung. Wir betreuen alle Textilien aus den über 30 Schlössern der Stiftung, die 400 Jahre preußische Geschichte erlebbar machen, und zirka 10.000 Textilien aus dem Depot der Kunstsammlungen. Ich habe fünf Textilrestauratorinnen und einen Polsterer im Team. Drei Kolleg*innen sind junge Leute, worüber ich sehr froh bin. Doch um für den Beruf zu begeistern, muss auch die Bezahlung stimmen. Dafür setze ich mich ein. Bei der Tarifrunde für die Beschäftigten der Länder im öffentlichen Dienst war ich aktiv, weil wir noch immer eine Entgeltordnung von 1968 haben. Bei Bund und Kommunen hat es bereits eine neue Entgeltordnung mit aktuellen Tätigkeitsbeschreibungen gegeben, unsere sind über ein halbes Jahrhundert alt. In dem Beruf hat sich eine Menge verändert, Restaurierung ist heute ein Hochschulstudiengang, die Aufgaben sind komplexer und wissenschaftlicher geworden. Das muss sich auch im Lohn widerspiegeln.

Protokoll: Marion Lühring; Foto: Stefanie Loos